Freising:Immer mehr Senioren sind suchtkrank

Die Sozialverbände verzeichnen mehr Betroffene, doch Angebote speziell für betagte Abhängige gibt es kaum. Der Verein Prop nimmt jetzt an einer internationalen Studie für ein altersgerechtes Behandlungskonzept teil

Von Gudrun Regelein, Freising

Eine Frau will ihre Mutter in ein Heim geben und diese entmündigen lassen. Der Grund: Die Mutter ist Alkoholikerin und zunehmend desorientiert. Erst kürzlich, berichtet Bärbel Würdinger, Leiterin der Psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstelle des Vereins Prop, hatte sie diesen Fall. Sie schlug ein betreutes Einzelwohnen mit engmaschigem Kontakt vor, um die alkoholkranke Seniorin zu stabilisieren. "Die Frau versucht, abstinent zu werden, vielleicht schafft sie es ja", sagt Würdinger.

Die Zahl der suchtkranken älteren Menschen im Landkreis ist laut Würdinger hoch - und die Dunkelziffer noch viel höher. Bereits 2012 initiierte die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft (PSAG) gemeinsam mit der Gerontopsychiatrischen Fachberatung deshalb eine Bedarfserhebung im Landkreis Freising. Alle Befragten - Sozialpädagogen, Altenhelfer, Krankenschwestern sowie Ärzte - bestätigten, dass die Suchtproblematik bei Menschen im höheren Lebensalter stetig zunähme: Durchschnittlich 11,3 Prozent der Klienten seien betroffen. Alkohol steht als Suchtmittel ganz oben in der Häufigkeitsskala, gefolgt von Psychopharmaka und Schmerzmitteln. Beklagt wurde zudem, dass es an Angeboten im ambulanten wie stationären Bereich fehle.

"Wir müssen die Gruppe älterer Suchterkrankter, für uns die ab 65-Jährigen, bedienen. Aber derzeit gibt es für diese kein Konzept und kaum Angebote", sagt Würdinger. Deren Zahl aber steigt: 2013 waren es bereits 31 ab 65-Jährige, die bei Prop Unterstützung suchten - nahezu doppelt so viele wie im Vorjahr. Seit kurzem gibt es nun bei der Prop-Beratungsstelle zwei speziell geschulte Ansprechpartnerinnen für ältere Menschen, eine Suchttherapeutin und eine Psychologin. Im Rahmen einer internationalen Studie wird außerdem ein auf das Alter zugeschnittenes Behandlungskonzept angeboten, das zwischen vier und zwölf Wochen dauert. Der Klient entscheidet dabei selbst, ob er seinen Alkoholkonsum reduzieren oder einstellen möchte.

Jeder Mensch - auch im Alter - müsse selbst entscheiden können, ob er den Weg aus der Sucht wähle, betont Würdinger. Bei Prop könne man nur Hilfen anbieten und motivieren, "aber eine klare Entscheidung muss jeder selber treffen". Zu einem Entzug und einer Therapie könne niemand gezwungen werden: "Wenn jemand nicht bereit ist, können wir nichts tun." Bei der Gruppe der älteren Suchterkrankten aber kommen in vielen Fällen die Kinder ins Spiel, die sich als Erwachsene für die Eltern verantwortlich fühlen. "Die Rollen verkehren sich: Haben früher die Eltern die Verantwortung für das Kind gehabt, so dreht sich das nun um", sagt Würdinger. In den vergangenen Jahren bemerke man bei Prop eine steigende Zahl von Angehörigen, die Unterstützung suchen. Waren es 2011 noch 183 Angehörige - Kinder, aber auch Partner - stieg die Zahl in 2013 auf 254 an. Ist der Suchterkrankte willens, schlägt Prop beispielsweise eine Entgiftung, ambulante Therapie oder Einzel- und Gruppengespräche vor.

Sucht im Alter ist auch beim Sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas Freising, die eine Beratung für psychische Gesundheit im Alter anbietet, immer häufiger ein Thema, berichtet Leiterin Kristina Kluge. Oft sei die Sucht - gerade bei Alkohol - nicht offensichtlich, häufig handele es sich um versteckte Süchte. "Die Betroffenen sprechen nicht darüber, versuchen, ihre Sucht zu verbergen", sagt Kluge. Viele der psychisch Kranken würden auch eine Selbstmedikation praktizieren - die Tablettenabhängigkeit sei dabei ein großes Thema. Bei Hausbesuchen fände man oft eine "wilde Mischung", schildert Kluge. Noch aber gebe es im Landkreis für die Betroffenen kaum Hilfsangebote, "da stecken wir noch in den Kinderschuhen". Mitarbeiter ihrer Fachstelle lassen sich deshalb beim Caritasverband München, der suchtkranken älteren Menschen bereits mehr Unterstützung anbietet, schulen. "Das Thema ist für uns relativ neu, aber wir beschäftigen uns damit", sagt Kluge. Man sei dabei, in Kooperation mit den Fachleuten von Prop passende Konzepte für ältere Suchterkrankte im Landkreis zu erarbeiten.

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