Freising:Imagekampagne für Ökostrom

Ein rascher Atomausstieg ist zu schaffen, wenn Anwohner Verständnis für Windkraft- und Biomasseanlagen aufbringen. Das ist das Ergebnis einer Podiumsdiskussion im Freisinger Lindenkeller.

Tobias Schulze

Am Ende war Florian Herrmann ratlos. "Ich habe ihre Frage nicht verstanden. Wirklich nicht", sagte der CSU-Landtagsabgeordnete. Warum Atomkraftwerke nicht versicherbar seien, hatte ein Zuschauer von ihm wissen wollen. Ausschweifend erklärte er im nächsten Atemzug den Hintergrund seiner eigenen Frage, so dass Herrmann irgendwann nicht mehr mitgekommen ist. Schließlich sprang Christian Magerl für ihn ein. "Sie könnten ein Atomkraftwerk vielleicht versichern, nur könnten sie es dann nicht mehr wirtschaftlich betreiben", erklärte der Landtagsabgeordnete der Grünen.

Fast drei Stunden lang hatten Podium und Publikum da schon debattiert. Die Diskussion veranstaltet hat das Freisinger Bündnis für den Atomausstieg (BüfA). Thema am Donnerstagabend im Lindenkeller: "Das Ende der Atomkraft - eine Chance für Freising?" Dass die Veranstaltung für Herrmann kein Heimspiel wird, war also von Beginn an abzusehen.

Es war dann auch tatsächlich der CSU-Politiker, dem das Publikum die kritischsten Fragen stellte. Manch einer redete sich dabei so sehr in Rage, dass Herrmann gar nicht zur Antwort kam. Und das, obwohl er sich der eigenen Ansicht nach mit den anderen Podiumsgästen grundsätzlich einig war: "Ich denke, die Zielsetzung ist eindeutig: Wir müssen raus aus der Kernkraft. Nur über den Zeitraum gibt es unterschiedliche Meinungen."

Beunruhigende Ergebnisse des Stresstests

Erfüllung des Levels eins für möglich gehalten So schnell wie möglich aus der Atomkraft aussteigen will Andreas Henze vom BüfA. Die Ergebnisse des Stresstests für Atomkraftwerke, die diese Woche erschienen sind, beruhigen ihn nicht. "In dem Bericht steht: Bei Isar 1 wird die Erfüllung des Levels eins für möglich gehalten." Level eins ist dabei der geforderte Mindeststandard. Magerl kritisierte mit Blick auf die Tests: "Wir müssen uns von der Überheblichkeit verabschieden, dass unsere Kraftwerke so sicher seien." Ihm zufolge muss die Politik bei Anwohnern geplanter Ökostromanlagen verstärkt um Verständnis werben, um Widerstände aus dem Weg zu räumen.

Die Freien Wähler im Landtag haben sich laut Manfred Pointner schon vor Fukushima mit dem Atomausstieg befasst. Die Forderung des FW-Abgeordneten: "Wir müssen Ökostromanlagen vor Ort bauen und die Bürger daran beteiligen, damit das Geld in der Region bleibt." Brisantes berichtete Pointner aus dem Freisinger Landratsamt. Während seiner zwölf Jahre als Landrat habe er nie ein Katastrophenszenario für die beiden Reaktorblöcke in Ohu durchspielen lassen. "Von oben wollte man die Sache nicht thematisieren und isoliert können sie sowas nicht machen", sagte Pointner.

Was im Fall eines Atomunglücks zu tun wäre, schilderte zu Beginn der Veranstaltung der Wiener Risikoforscher Wolfgang Kromp: "Auf keinen Fall ins Auto steigen und irgendwo hin fahren." Hinter Mauern sei die Bevölkerung vor Strahlung nämlich besser geschützt als im Stau auf der Autobahn. Kromp war es auch, der in einer Studie im letzten Herbst die Sicherheit von Isar 1 anzweifelte. Als Schwachpunkt hat er darin eine Schweißnaht im Reaktordruckbehälter ausgemacht. Der Befund basiert auf Berechnung, wegen der Strahlenbelastung im Behälter kann die Naht selbst nicht kontrolliert werden. Der TÜV Süd beschäftigt sich Kromp zufolge erst seit der vorigen Woche mit dem Problem.

Der Atomausstieg der Stadtwerke

Einer der Podiumsgäste erhielt derweil schon Zwischenapplaus, bevor er überhaupt ein Wort gesagt hatte: Stadtwerkechef Andreas Voigt. Dazu genügte der Hinweis des Moderators - dem Freisinger SZ-Redakteur Johann Kirchberger - dass die Stadtwerke per Aufsichtsratsbeschluss vor kurzem aus der Atomenergie ausgestiegen sind. Laut Voigt besteht der Strommix der Stadtwerke fortan zu etwa vierzig Prozent aus erneuerbaren und zu sechzig Prozent aus fossilen Energien. Langfristig wolle man den Anteil des Naturstroms weiter ausbauen. In zwei bis drei Jahren sei beispielsweise der Bau einer Biogasanlage in Freising vorstellbar, um so das Gebiet der ehemaligen Steinkaserne mit Wärme zu versorgen.

Diese Ankündigung hat Florian Herrmann womöglich versöhnlich gestimmt. Zuvor wollte er in den Beifall für Voigt nämlich nicht einstimmen. "Sechzig Prozent fossile Energien", hatte er gemahnt, "wie stark kann man denn da applaudieren?" Ohne Widerspruch blieb der Einwand nicht. Herrmann behielt in einem Punkt also recht: Aus der Atomenergie aussteigen, das wollen alle, die auf dem Podium saßen. Viel weiter geht der Konsens aber nicht.

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