Freising:Einfach so leben wie alle anderen

Menschen mit Behinderung erzählen in einer öffentlichen Diskussionsrunde, wie sie sich ihren Alltag vorstellen

Von Gudrun Regelein, Freising

Stefan würde gerne einmal in einen normalen Beruf hineinschnuppern, Bianca mit ihrem Freund zusammenziehen. Für die beiden ist das nicht so einfach möglich, denn Stefan Kraus und Bianca Augustin sind Menschen mit einer Behinderung. Bei einem Gesprächsforum der Lebenshilfe mit der Bundesbehindertenbeauftragten Verena Bentele schilderten sie und die anderen Mitglieder des Rats der behinderten Menschen der Lebenshilfe am Mittwochabend ihre persönlichen Probleme. Die Bundesbehindertenbeauftragte, Politiker und Experten aus der Region hörten aufmerksam zu - und versuchten, in der sich anschließenden Diskussionsrunde Lösungen zu finden.

Freising: Mitglieder der Lebenshilfe schilderten Mittwochabend der Bundesbehindertenbeauftragten Verena Bentele (rechts) ihre persönlichen Probleme.

Mitglieder der Lebenshilfe schilderten Mittwochabend der Bundesbehindertenbeauftragten Verena Bentele (rechts) ihre persönlichen Probleme.

(Foto: Marco Einfeldt)

Derzeit werde auf Bundesebene das neue Bundesteilhabegesetz diskutiert, mit dem die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung weiter verbessert werden soll. Mit diesem Gesetz solle die "selbständige Entscheidung über das eigene Leben gefördert werden", erklärte die von Geburt an blinde Verena Bentele in ihrem Impulsreferat. Inklusion bedeute für sie, seine persönlichen Möglichkeiten zu kennen - und diese auch umsetzen zu können. Dass die Betroffenen, die behinderten Menschen, aber immer wieder auf Stolpersteine treffen, kam bei dem Forum deutlich zum Ausdruck. Bianca Augustin beispielsweise, die gerne mit ihrem Freund zusammenziehen würde, kritisierte den Mangel an bezahlbaren Wohnraum in Freising. Stefan Kraus erzählte, er habe bei einer Fahrschule die Auskunft bekommen, als Mensch mit Behinderung könne er keinen Führerschein machen. Thomas Sturde würde eigentlich gerne öfter eine kulturelle Veranstaltung besuchen, aber die Eintrittspreise sind ihm zu teuer. Und Manuela Mühlhammer wünschte sich, dass Ärzte mit ihr in einer verständlichen Sprache reden und nicht so viele Fremdwörter benützten. Noch immer - trotz Inklusion - fühlen sich viele der behinderten Menschen ausgegrenzt. "Ich bin schon häufig von Jugendlichen wegen meiner Behinderung blöd angeredet worden", erzählte eine Teilnehmerin. Tatsächlich sei die Ausgrenzung ein großes Problem, sagte die Behindertenbeauftragte. "Ich selber gehe in solchen Situationen oft auf die Leute zu und rede mit ihnen."

Teilhabegesetz

Mit dem Bundesteilhabegesetz soll die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessert und ihre Selbstbestimmung gestärkt werden. Leistungen an behinderte Menschen sollen aus dem bisherigen Fürsorgesystem herausgeführt werden und sich zukünftig am persönlichen Bedarf orientieren. Zahlungen sollen unabhängig von Einkommen und Vermögen erfolgen. Bislang dürfen Behinderte, die Eingliederungshilfe beziehen und zugleich arbeiten gehen, nicht mehr als 2600 Euro ansparen. Allerdings ist derzeit die Finanzierung der Reform unklar: Im Koalitionsvertrag wurde zwar festgelegt, dass Städte und Gemeinden bei der Eingliederungshilfe, die an Behinderte gezahlt wird, entlastet werden. Der Bund wollte dazu fünf Milliarden Euro beisteuern. Da die Hilfsgelder in einigen Bundesländern jedoch mehrheitlich von den Ländern direkt ausgezahlt werden und nicht von den Gemeinden, legten die betroffenen Länder Protest ein. SZ

Auf gesetzlicher Ebene sei für die Inklusion bereits eine Grundlage geschaffen worden, meinte Thomas Winter von der Offenen Behindertenarbeit der Lebenshilfe. Auch in Freising gebe es bereits Aufbrüche, wie erst kürzlich beim "Zamma"-Kulturfestival, "das war super." Aber es gehe ihm mit der Inklusion in der Stadt Freising und im Landkreis zu langsam. Winter würde sich für viele Bereiche - beispielsweise beim Wohnen, im Nahverkehr und bei der Kultur - klare Zielsetzungen wünschen. Die Stadt wolle gemeinsam mit den Schulen ein Inklusionskonzept erarbeiten, versprach OB Tobias Eschenbacher. "Wir versuchen bereits in vielen Bereichen, Barrieren abzubauen." Die Innenstadt beispielsweise werde barrierefrei gestaltet. "Wir arbeiten schon ganz gut - trotzdem muss man ein bisschen Geduld haben", sagte Eschenbacher. Der Wunsch nach Barrierefreiheit sei im Landkreis da, bestätigte Landrat Josef Hauner. In Schulen und im Krankenhaus sei das Miteinander bereits realisiert worden, "aber es gibt noch viele Bereiche, in denen wir uns anstrengen müssen."

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