Clearingstelle Birkeneck:Freie Wähler besuchen junge Flüchtlinge

Im Haus Chevalier wollen die Freien Wähler die Welt der unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge erleben. Diese lernen aber gerade selbst Neues zu verstehen: etwa, dass Gewalt nicht normal ist.

Von Gerhard Wilhelm

Sadio ist 17 Jahre alt. Dafür, dass er erst seit fünf Monaten in Deutschland ist, spricht er schon recht gut Deutsch. Sadio ist einer der vielen unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge, die Aufnahme im Haus Chevalier, der Clearingstelle des Jugendwerks in Birkeneck, gefunden haben. Seine Flucht aus Guinea in Westafrika dauerte 14 Monate. Der größte Teil der Menschen dort lebt in Armut, die politische Lage ist instabil. Das Auswärtige Amt schreibt: "Generell ist bei Reisen nach Guinea erhöhte Wachsamkeit geboten, insbesondere sollten größere Menschenansammlungen gemieden werden."

Über das, was er auf seiner Flucht alles erlebt hat, redet Sadio nicht. Obwohl das die Landtagsabgeordneten der Freien Wähler schon sehr interessieren würde. Gabi Schmidt, Hans Jürgen Fahn, Florian Streibl und Benno Zierer hatten zur "Fraktion vor Ort" geladen, um sich über die Lebenssituation von minderjährigen Flüchtlingen in Bayern zu informieren.

Offen sprechen die Jugendlichen nicht über ihre Erlebnisse, aber Rolf Schwerdt, Leiter von Haus Chevalier, bekommt sie natürlich mit. "Es ist alles dabei. Erpressung, Gewalt, Vergewaltigung. Sie werden von den Schleusern ganz brutal abgezockt", sagt er. Im Haus leben derzeit 26 Jugendliche aus unterschiedlichsten Regionen der Welt, aber vor allem aus Afrika und dem Bereich Syrien und Afghanistan. Und damit auch aus verschiedenen Kulturen mit verschiedenen Religionen, wie Schwerdt berichtete.

Der Hauptaspekt, den man in Birkeneck versucht abzudecken, ist, dass die jungen Flüchtlinge "ein Dach über dem Kopf haben, dass ihre Grundbedürfnisse erfüllt werden und dass sie schnell Deutsch lernen". Schließlich, so der Hausleiter, "muss man sie in eine völlig neue Welt einführen". Offen gab er auf Nachfrage der Landtagsabgeordneten zu, dass trotz der guten Betreuung Konflikte immer wieder vorkämen - das liege in der Natur der Sache. "Sie haben vielleicht jahrelang den Bürgerkrieg erlebt, so dass Gewalt völlig normal in ihrem Leben ist." Sie müssten erst lernen, dass "das Recht des Stärkeren" in Deutschland nicht gelte.

In den Clearinggruppen wird festgestellt, was für Defizite die Jugendlichen haben und welche individuelle pädagogisch-therapeutische Betreuung sie brauchen. Die Flüchtlinge sind zwischen zwölf und 17 Jahre alt. Natürlich wünscht sich die Geschäftsleitung von Birkeneck mehr Geld, aber auch mehr Anerkennung der Arbeit von den Politikern. Das größte Problem bei allem sei, genügend qualifiziertes Personal zu finden. Der Druck steige täglich, da immer mehr Flüchtlinge kämen.

Für Sadio scheint die Welt jetzt wieder in Ordnung zu sein - soweit das für ihn überhaupt noch möglich ist. Er freut sich, Fußball zu spielen oder im Internet zu surfen. Auf die Frage, was ihm hier nicht gefällt, muss er erst einmal nachdenken. Doch dann kommt die Antwort: Eigentlich gefällt ihm alles.

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