Menschen mit Behinderung:Nicht mehr isoliert

Menschen mit Behinderung: Farbe im Schulalltag: Die Lebenshilfe in Freising unterrichtet Kinder mit Behinderung. Im Neubau an der Gartenstraße werden auch Schüler ohne Handicap aufgenommen.

Farbe im Schulalltag: Die Lebenshilfe in Freising unterrichtet Kinder mit Behinderung. Im Neubau an der Gartenstraße werden auch Schüler ohne Handicap aufgenommen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Seit 50 Jahren kümmert sich die Lebenshilfe in Freising um das Wohl behinderter Menschen. In dieser Zeit hat sich vieles zum Positiven verändert: Die Angebote sind umfangreich, die Berührungsängste sinken.

Von Gudrun Regelein, Freising

Grund zur Freude bei der Lebenshilfe Freising: Sie wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Das Jubiläum wird gleich mehrmals gefeiert. So findet an diesem Samstag, 2. Juni, ein großer Festakt statt, der traditionelle Lebenslauf im Oktober wird mit einem großen Straßenfest kombiniert - und es wird sogar ein eigenes Jubiläumsbier gebraut, das in Zusammenarbeit mit der Forschungsbrauerei Weihenstephan entwickelt wurde.

Was 1968 als Initiative betroffener Eltern begann, hat sich in den vergangenen Jahren zum größten Träger der Behindertenhilfe im Landkreis entwickelt. Es war Tom Mutters, der vor über 60 Jahren die Idee für eine Lebens-Hilfe für Menschen mit Behinderung hatte - als eine im Wortsinn "Hilfe zum Leben". Auf seine Initiative hin entstand 1958 die Bundesvereinigung der Lebenshilfen. Unter der Leitung Mutters, des damaligen Geschäftsführers der Bundesvereinigung, wurde dann auch zehn Jahre später der Verein Lebenshilfe Freising ins Leben gerufen. Viele der Mitbegründer, unter ihnen Herrmann Altmann, der bis 1979 der erste Vorsitzende des Vereins war, hatten selbst ein behindertes Kind. Ihr Ziel war es, in Freising Ausbildungsstätten zu schaffen, in denen geistig behinderte Menschen von ihrer Kindheit bis ins Alter gefördert und angemessen betreut werden.

Mit schulischen Angeboten fing es an, später kamen Wohnen, Arbeit und Freizeit dazu

Die Lebenshilfe Freising startete mit der Betreuung zweier Klassen mit insgesamt 24 Kindern in der Freisinger "Hilfsschule", deren Rektor Altmann war. Dort waren geistig behinderte Kinder, die als nicht förderfähig galten, bislang untergebracht. Schon im gleichen Jahr wurden die Fröbelschule und eine Tagesstätte im alten Schulhaus in Freising-Neustift eröffnet, die beide eine wesentlich bessere Förderung erlaubten. Die Lebenshilfe Freising wuchs rasant, ihre Angebote wurden immer zahlreicher und umfangreicher. "Jedes Jahr ist etwas Neues dazugekommen - wir haben uns den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung angepasst", sagt Geschäftsführer Michael Schwaiger. Mit dem Bereich Schule habe es begonnen, dann seien immer mehr Lebensbereiche dazugekommen: Wohnen, Arbeit, Freizeit. Mittlerweile werden über 2000 Menschen von gut 770 Mitarbeitern betreut, davon 567 beim Verein Lebenshilfe, 116 in den Isar-Sempt-Werkstätten und 90 beim Integrationsprojekt Freising. Unter den 2000 Betreuten sind auch 620 ohne Behinderung, berichtet Schwaiger. Die meisten darunter sind Kinder in den integrativen Kindertagesstätten, inzwischen gibt es acht davon. "Als die Inklusion stärker Thema wurde, hat die Öffnung nach außen begonnen", sagt Schwaiger.

Bis ins hohe Alter können Menschen mit Behinderung betreut werden

Inzwischen bietet die Lebenshilfe Menschen mit Behinderung Angebote von der frühesten Kindheit bis ins hohe Alter - von der extrem nachgefragten Frühförderung, für die es lange Wartelisten gibt, über Kindergarten, Schule, Arbeitsplatz bis hin zu verschiedenen Wohnformen und Freizeitangeboten. "Wir möchten jedem die Unterstützung bieten, die er braucht", betont Schwaiger. Auch die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen mit Behinderung seien unterschiedlich, jeder solle sein Leben so gestalten können, wie er es sich wünsche. Die Teilhabe aber sei wie ein roter Faden, der immer eine Rolle spiele. So ist für den Geschäftsführer die Gründung des Integrationsprojekts Freising mit den Betrieben Viva-Vita und Ser-Vita, das Menschen mit Behinderung einen Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt bietet, ein "großer Meilenstein" in der Geschichte der Lebenshilfe.

Genauso das 2012 eröffnete Bildungszentrum Gartenstraße, in dem nicht behinderte und behinderte Kinder gemeinsam lernen können. Das habe zwar einen auch finanziell riesigen Kraftakt bedeutet, biete nun aber eine inklusive Anlaufstelle im Landkreis. So viel sich auch verbessert hat, ein Anliegen hat der Geschäftsführer dennoch: "Wir würden uns wünschen, dass die Individualität, die wir anbieten und die natürlich etwas kostet, auch übernommen wird." Noch seien die Verteilungskriterien der Kostenträger zu pauschaliert, nicht individuell genug, kritisiert er.

Früher, vor 50 Jahren, seien Menschen mit Behinderung nur "aufbewahrt" worden, sagt Schwaiger. Sie waren isoliert, lebten in abgeschlossenen Einrichtungen. Heutzutage seien sie in der Gesellschaft angekommen. "Auch, wenn es noch immer Berührungsängste gibt." Gerade bei Menschen mit einer geistigen Behinderung müsse man erst lernen, mit deren Offenheit und Vertrauen umzugehen. "Das ging auch mir so", sagt Schwaiger offen. Inzwischen sieht er es als Bereicherung.

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