Ex-Landrat Michael Schwaiger:Inklusion geht nicht nebenbei

Ex-Landrat Michael Schwaiger: Michael Schwaiger (links), Geschäftsführer der Lebenshilfe Freising, im Gespräch mit Koch Mario Strejc.

Michael Schwaiger (links), Geschäftsführer der Lebenshilfe Freising, im Gespräch mit Koch Mario Strejc.

(Foto: Marco Einfeldt)

Fünf Monate hat sich der frühere Landrat eine Auszeit genommen, bevor er sein neues Amt als Geschäftsführer der Lebenshilfe Freising angetreten hat. Jetzt genießt er es, dass er nicht mehr so im Fokus steht.

Interview von Petra Schnirch, Freising

Seit eineinhalb Jahren ist der frühere Landrat Michael Schwaiger Geschäftsführer der Lebenshilfe Freising. An seiner neuen Wirkungsstätte steht er weniger stark im Mittelpunkt, aber auch hier muss er in der Öffentlichkeit informieren und moderieren - etwa bei der Vorstellung der Pläne für das neue Wohnheim in Sünzhausen. Die SZ sprach mit Schwaiger über seine neue Aufgabe und die damit verbundenen Herausforderungen.

SZ: Genießen Sie es, dass Sie jetzt wieder mehr Freizeit haben?

Schwaiger: Das genieße ich natürlich. Die Abendtermine sind deutlich weniger geworden, das meiste lässt sich in der regulären Bürozeit erledigen.

Würden Sie im Rückblick sagen, dass die vielen Abend- und Wochenend-Termine das Belastendste in Ihrer Zeit als Landrat waren?

Das ist ein sehr belastender Aspekt, weil du als öffentliche Person immer greifbar bist, wenn du irgendwo aufschlägst. Es ist mein Naturell, auf Menschen zuzugehen. Die Leute kommen meistens mit Sorgen und Nöten, seltener mit angenehmen Dingen - und als Kommunalpolitiker hat man da ein offenes Ohr.

Was haben Sie aus dieser Zeit für sich mitnehmen können?

Man hat einfach ein großes Netzwerk, auf das man zurückgreifen kann. Es macht den Weg oftmals leichter, wenn man sich kennt, wenn man früher schon vertrauensvoll zusammenarbeitet hat, davon profitieren, denke ich, alle Seiten.

Wo liegen denn jetzt die großen Unterschiede im Vergleich zu Ihrer aktuellen Tätigkeit?

Ich habe jetzt weniger mit Menschen direkt zu tun. Meine Aufgabe ist, auf Verwaltungsebene den Weg zu bereiten, um die Möglichkeiten der Betreuung zu verbessern. Den Fachleuten den Rücken freihalten - da sehe ich meinen Part. Und die Verantwortung zu übernehmen, dass die Betreuung der Menschen dem Leitbild der Lebenshilfe entspricht.

Vermissen Sie die direkten Kontakte?

Jein, ich habe ja nach wie vor die Möglichkeit, viele Kollegen zu treffen. Ich bin jetzt halt in einer anderen Funktion dabei. Als ehemaliger Landrat ist man außerdem bei der einen oder anderen Veranstaltung mit eingeladen. Es freut mich, dass es nicht heißt: aus den Augen, aus dem Sinn. Ich genieße aber, dass es weniger geworden ist, das sage ich ganz ehrlich. Alles zu seiner Zeit. Noch ein Punkt: Was ich hier jetzt tue, wird in der Öffentlichkeit bei weitem nicht so wahrgenommen. Als Landrat ist jeder Wortbeitrag öffentlich, da bist du immer im Fokus.

Was sind bei der Lebenshilfe Ihre größten Herausforderungen?

Der bürokratische Aufwand ist nicht unerheblich. Das Allerallerwichtigste aber ist der Personalmangel sowohl in den Kindertagesstätten als auch im stationären Wohnbereich.

Wie viele Stellen sind derzeit offen?

Beim gesamten Lebenshilfe-Verein gibt es derzeit etwa 25 freie Stellen, einige davon für Teilzeitkräfte. Ein Problem sind zum Beispiel die Arbeitszeiten: In der stationären Wohnbetreuung haben wir morgens Bedarf, tagsüber sind die Menschen in der Arbeit. Um 16 Uhr kommen sie zurück - ein geteilter Dienst aber ist nicht so wahnsinnig attraktiv, das kann man sich vorstellen.

Ex-Landrat Michael Schwaiger: Michael Schwaiger hat beruflich schon einiges erlebt.

Michael Schwaiger hat beruflich schon einiges erlebt.

(Foto: Marco Einfeldt)

Wie kann das Problem dann gelöst werden?

Das ist sehr schwierig. Es kann eine Lösung geben, die uns aber aus fachlicher Sicht widerstrebt: Wir werden bei den Standards Abstriche machen müssen. Vielleicht können wir jemanden einstellen, der nicht den strengen Vorgaben entspricht, wenn er nachweist, dass er schon einmal in einer ähnlichen Einrichtung gearbeitet hat. Allerdings kommt dann sofort der Kostenträger und reduziert den Pflegesatz, das ist ein Teufelskreis. Wenn wir an den Standards festhalten, wird man irgendwann jedoch die Zahl der Betreuungsplätze reduzieren müssen. Vielleicht kann der eine oder andere Flüchtling einmal in dieses Berufsfeld einsteigen und den Mangel dadurch beheben.

Wo sind die Probleme besonders groß?

Engpässe gibt es derzeit vor allem in der heilpädagogischen Tagesstätte und im stationären Wohnbereich. Unsere ganze Arbeit hängt davon ab, dass wir ausreichend qualifiziertes Personal haben. Wenn wir das nicht finden, können wir die Aufgabe als Lebenshilfe irgendwann nicht mehr vollumfänglich erfüllen. Das ist leider eine düstere Zukunftsprognose. Wir gehen schon soweit, dass wir versuchen, Mitarbeitern Wohnungen anzubieten, wenn wir denn welche hätten - aber auch das ist ziemlich aussichtslos. Sozialer Wohnungsbau ist ein dringendes Thema, das hier in der Region den nötigen Anschub bekommen muss.

Welche Projekte stehen in nächster Zeit an?

Wir bauen ja gerade ein neues Wohnheim in Sünzhausen, da entstehen auch Räume für die Tagesbetreuung von Senioren. Ein zweites größeres Projekt können wir zurzeit nicht stemmen, Sünzhausen ist mit fast fünf Millionen Euro schon eine Hausnummer. Aber wir arbeiten an neuen Wohnformen. In Marzling wird eine sogenannte Lebens-Wohngemeinschaft gegründet. Da werden vorerst vier Menschen mit Behinderung in einem Reihenhaus, das wir angemietet haben, zusammenleben. Betreut werden sie von einem ambulanten Pflegedienst und Fachleuten der Lebenshilfe. Starten soll das Ganze am 1. Mai. Ziel ist, dass sich Bewohner mit unterschiedlich schweren Behinderungen auch gegenseitig unterstützen. Wenn das Pilotprojekt funktioniert, soll das mittelfristig ausgebaut werden.

Wie steht es denn um die Inklusion insgesamt?

Inklusion ist ein hehres Ziel, bei der Verwirklichung aber hakt es noch. So nebenbei geht das nicht. Es ist ein relativ großer finanzieller Aufwand und es gibt auch noch Vorbehalte. Bei Erwachsenen gibt es noch Denkblockaden, bei Kindern ist das viel einfacher. Wir planen, zum Schuljahresbeginn in unserer Förderschule eine Regelschulklasse unterzubringen. Das war ja von Anfang an gewünscht - jetzt passiert es hoffentlich tatsächlich. Die Eltern zeigen durchaus Interesse. Die neue Generation ist bei dem Thema vielleicht ein bisschen offener.

Wenn Sie eine Vision für 2030 entwickeln, wie sieht die aus?

Ich würde mir wünschen, dass es eine Lebenshilfe gar nicht mehr braucht und behinderte Menschen wie Sie und ich am Leben teilhaben, egal ob sie im Rollstuhl sitzen oder geistig behindert sind. Das wäre die absolute Traumvision, wenn man sagen könnte: Menschen mit Behinderung gehören zur Gesellschaft einfach dazu.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: