2017 entscheidet sich, wie es weitergeht:Kulturkampf um eine Kneipe

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Für die einen ist das Abseits am Herrenweg in Neustift ein Stück Heimat und ein Juwel der Baukultur. Für andere ist es eine Spelunke, die abgerissen gehört

Von Birgit Goormann-Prugger, Freising

Es hat in der Vergangenheit viele Lokale in Freising gegeben, in denen irgendwann das letzte Bier gezapft worden ist. Die Gründe dafür mögen so vielfältig sein wie die Freisinger Gastroszene in den vergangenen 100 Jahren. Doch um kein Lokal hat sich vermutlich ein solcher Kulturkampf entsponnen wie um das "Abseits" am Herrenweg 1 in Neustift. Am 31. Dezember 2015 hat die letzte große Party in der Kultkneipe stattgefunden, weil der Besitzer, Guy von Moy, das dringend sanierungsbedürftige Haus abreißen und stattdessen Wohnungen errichten will. Nun sagen die einen, das sei nicht weiter schlimm, denn es rieche in dem alten, feuchten Gemäuer, Baujahr so um die 1750, ohnehin ein wenig streng. Und viele Gäste hätten dort berauschenden Getränken so ausgiebig zugesprochen, dass ihre davon resultierende Ausgelassenheit des nächtens für die Anwohner immer mal wieder ein Grund zur Klage gewesen sei.

Die anderen, das sind in diesem Fall die Fans der Kultkneipe, weisen plumpe Verallgemeinerungen dieser Art entrüstet von sich. Für sie ist das "Abseits" ein Stück Heimat, das nicht verloren gehen soll, ein Juwel der Baukultur, das die Stadt Freising nicht aufgeben darf. Ein Kulturzentrum sei das Abseits außerdem und ein Treffpunkt für die Völker dieser Welt, in Zeiten wie diesen sozusagen Leuchtturmprojekt der Integration - jetzt mal überspitzt ausgedrückt.

Nun kann man dazu stehen, wie man will. Mit einigem Erstaunen jedoch konnte man im Verlauf des Jahres beobachten, wie viel Aufmerksamkeit der Abseits-Rettungsverein mit seinem Vorsitzenden Norbert Bürger auf sich ziehen konnte. Hätten sich die Kneipenkulturverfechter irgendwann zu wöchentlichen Schweigemärschen aufgemacht, man hätte sich nicht weiter gewundert. "Wir kaufen dem Grafen einfach alles ab." So lautete der erste Plan des Vereins. Für das Crowdfunding machten Norbert Bürger und sein Verein erst einmal das, was sie am besten können: feiern. Alle zwei Wochen fanden zu Jahresbeginn im Freisinger Lindenkeller Abseits-Partys statt, mit den DJs aus der alten Kneipe und mit ihrer Musik. Sogar der alte Kickertisch wurde dort hingewuchtet. Merchandising-Artikel wurden aufgelegt und bei allen nur möglichen Gelegenheiten zum Verkauf angeboten, um Spenden zu sammeln. Ein legendäres Benefizkonzert ging über die Bühne und es kamen so viele, dass die Schlange der Wartenden bis an den Fuß des Lindenkellerberges reichte. Der Abseits-Chor sang sich die Seele aus dem Leib und eine Abseits-Wandertheke wurde zusammen gezimmert. Auch Münchner Größen wie Ottfried Fischer, Lisa Fitz, Ecco di Lorenzo oder Michael Altinger forderten die Rettung des Abseits und begründeten wortreich, warum diese Spelunke nicht sterben darf.

Doch trotz größter Anstrengungen gelang es dem Abseits-Verein nicht, die immer wieder kolportierten 1,5 Millionen Euro aufzubringen, um von Moy das Areal abzukaufen. Da half es nichts, dass der Vereinsvorsitzende Norbert Bürger zum Schluss noch mit dem Passauer Scharfrichterbeil ausgezeichnet wurde - in diesem Fall für seine Kunstfigur "Bürger from the Hell". Plan B musste her und der brachte die Stadt Freising ins Spiel. Zunächst war von einem zinslosen Darlehen in Höhe von mindestens einer Million Euro die Rede. Das wurde wieder verworfen, weil die Rechtsaufsicht im Landratsamt eine derartige Förderung einer ,im wirtschaftlichen Leben stehenden' Kneipe mit einiger Sicherheit kassieren dürfte. Finanzielle Hilfe wurde dem Abseits-Verein dennoch in Aussicht gestellt. Angelehnt an die Sportförderung der Stadt sollten zehn Prozent der Investitionssumme als Zuschuss fließen und noch einmal so viel als zinsloses Darlehen. Doch auch das half dem Verein nicht weiter. In einer Stadtratssitzung im Dezember schließlich hielt Grünen-Stadtrat Sebastian Habermeyer, seit seiner Jugend selbst Stammgast im "Abseits", eine flammende Rede für den Erhalt der Kneipe. "Es geht nicht darum, dass sich 20-Jährige in einer Saufbude zudröhnen, sondern darum, ein Stück Freisinger Identität zu erhalten", sagte Habermeyer unter dem Beifall von etwa 40 Abseits-Freunden im Sitzungssaal des Rathauses.

Kurz vor der Sitzung, so versicherte er glaubhaft, sei ihm nun eine zündende Idee gekommen und er schlug vor, die Stadt solle das Areal kaufen und dem Verein in Erbaurecht überlassen. Ein paar Tage später hat der Finanzausschuss des Stadtrats die Verwaltung beauftragt, die finanziellen und rechtlichen Bedingungen für einen Kauf der "Abseits"-Immobilie und eine anschließende Verpachtung an den Abseits-Verein zu prüfen. Über den Kauf des Lokals sei damit zwar noch nicht entschieden, das betonte Freisings Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher ganz ausdrücklich. Doch eines hat der "Abseits"-Verein erreicht. Er hält das Thema weiter am Kochen und wird wohl auch 2017 von sich reden machen.

© SZ vom 29.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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