Organisationsaufwand:Der tägliche Kampf mit der Bürokratie

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In diesem Hotel Am Söldnermoos in Hallbergmoos waren von 2015 an junge unbegleitete Flüchtlinge untergebracht. Das Amt für Jugend und Familie rechnet für dieses Jahr erneut mit vielen Ankömmlingen aus dieser Personengruppe. (Foto: Marco Einfeldt)

In Hallbergmoos ist die Bereitschaft, Asylbewerbern zu helfen groß. Vor allem die Jugendlichen freuen sich, wenn sie etwas Sport treiben können. Vom Verband würde man sich beim VfB aber mehr Unterstützung wünschen

Von Gerhard Wilhelm, Hallbergmoos

Fast genau ein Jahr ist es her, dass in Hallbergmoos - sozusagen über Nacht - 68 minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge in einem zum Hotel umgebauten Bürogebäude eingezogen sind. Die Aufregung war damals groß, hat sich aber schnell gelegt. "Die Stimmung gegenüber Flüchtlingen ist zurzeit sehr positiv", sagt Martina Wilkowski, die Leiterin der Nachbarschaftshilfe Hallbergmoos/Goldach, die sich sehr in der Flüchtlingshilfe engagiert. Und Andreas Dexheimer, Leiter des Geschäftsbereichs Jugendhilfe bei der Diakonie München, die das Flüchtlingsheim Am Söldnermoos betreut, gerät sogar ins Schwärmen: "Wenn man eine Kommune herausnehmen wollte, wo es ideal läuft, dann ist es Hallbergmoos. Sei es auf der politischen Ebene mit dem Rathaus oder mit all den Helfern im Ort".

39 Asylbewerber sind derzeit dezentral in zwei Häusern in der Gemeinde untergebracht. Angesichts der großen Flüchtlingsströme ist man sich aber im Rathaus und bei den ehrenamtlichen Helfern sicher, dass es bald mehr werden. Und deshalb soll nun ein Arbeitskreis Asyl ins Leben gerufen werden. "Wir wollen die gute Stimmung nutzen, um den Helferkreis zu erweitern. Auch, um die gute Stimmung noch mehr in die Bevölkerung zu tragen, damit es auch ein Mehr an Informationen statt Desinformationen gibt." Und weil es definitiv noch mehr Flüchtlinge würden, ist es aus Sicht von Martina Wilkowski "besser, jetzt schon vorbereitet zu sein."

Während die Nachbarschaftshilfe mit Deutschkursen, bei Behördengängen oder bei der Beschaffung von Kleidern oder Kinderbetreuungsplätzen über die Gemeinde hilft, unterstützt der Sportpark die Flüchtlinge mit seinem Angebot an Freizeitmöglichkeiten, wie Sportparkmanager Benjamin Henn sagt. Zum Beispiel sei die Jugendspielanlage frei zugänglich und werde entweder mit Fußball oder Basketball durch die Flüchtlinge in Anspruch genommen. Dies passiere bei gutem Wetter täglich. Freitagvormittags seien die Jugendlichen mit "Bunt kickt gut" immer auf dem Kunstrasenplatz zu finden, der vom VfB Hallbergmoos dafür zur Verfügung gestellt wurde. Außerdem stünden ihnen der Beachvolleyball-, der Fußballbolzplatz und die Skateranlage zur Verfügung.

Wenn Jürgen Kussauer, Abteilungsleiter Fußball des VfB Hallbergmoos, auf die Flüchtlinge angesprochen wird, kommt er indes schnell auf den eigenen Bayerischen Fußballverband zu sprechen. Und so gut, wie er über die jugendlichen Flüchtlinge redet, die aus der nahen Unterkunft kommen, so wenig ist er vom Verhalten seines eigenen Verbandes angetan. Seit bald einem Jahr trainieren zwischen vier und zwölf der dort lebenden Jugendlichen bei der A- und B-Jugend des Vereins mit. Trikots, Schuhe, Fußbälle, Sporttaschen - alles organisiert der Verein. Zuletzt hat Kussauer einen Satz falsch bedruckter Trikots gespendet bekommen. Wenn es sein muss, kauft er aber schon mal selber ein paar neue Fußballschuhe. Für diese Flüchtlingshilfe ist der VfB sogar im Mai von der Egidius-Braun-Stiftung mit einem 500-Euro-Scheck ausgezeichnet worden.

Der Abteilungsleiter würde die Jugendlichen aber gerne nicht nur am Training mitmachen lassen, sondern auch aktiv im Spielbetrieb einsetzen. Doch dafür braucht es laut Vorschrift einen Spielerpass. Seit Monaten kämpft Kussauer darum, dass der Verband vorläufige Spielerpässe ausstellt, "ohne erst in Afghanistan anzurufen, ob der Jugendliche dort schon mal gespielt hat". Das Problem sei, dass viele der jungen Flüchtlinge nur für ein paar Wochen oder Monate da seien und nicht ewig warten könnten. Richtig mitspielen zu dürfen, wäre laut dem Abteilungsleiter auch eine Motivation für sie. "Das würde auch ein Problem vieler Vereine lösen, denen der Nachwuchs fehlt. Wir haben im Umfeld 39 Vereine mit nur 17 A-Jugendteams. Was spricht dagegen, gemischte Teams zu schaffen?"

Zurzeit überlegt Jürgen Kussauer, ob es nicht möglich sein könnte, den jungen Flüchtlingen einen eigenen Couch für ein Training am Nachmittag zur Verfügung zu stellen, damit der Tag für sie etwas erfüllter wäre. Die jugendlichen Flüchtlinge wäre wohl froh darüber. Mittlerweile sind alle 94 Betten Am Söldnermoos belegt, sagt Andreas Dexheimer von der Diakonie. Aber er könnte das Zehnfache belegen. 40 bis 60 unbegleitete jugendliche Flüchtlinge würden derzeit in München ankommen. Zum Glück kämen derzeit aus Syrien überwiegend Familien an.

Ein "Experte" in der Jugendbetreuung ist das Jugendwerk Birkeneck. Schon seit 1997 ist dort eine Inobhutnahme- und Clearingstelle für unbegleitete, jugendliche Flüchtlinge in Bayern. Mit dem Ansteigen der Flüchtlingszahlen kommt aber auch die Einrichtung an ihr Limit. "Unsere Arbeit verschiebt sich", sagt Geschäftsführer Otto Schittler. Der Druck von oben, noch mehr Jugendliche aufzunehmen, steige von Tag zu Tag, "aber wenn das letzte Bett belegt ist, ist es eben belegt". Vor allem formelle Dinge würden viel Zeit kosten. "Wenn ein Betreuer mit dem Jugendlichen deshalb nach München fahren muss, ist er für den halben Tag damit beschäftigt." Letztlich bedeute es, dass vieles andere auf der Strecke bleibe, da man Prioritäten setzen müsse. Vor allem spare man an den eigentlich nötigen Verschnaufpausen, an der Zeit, über die eigene Arbeit konzeptionell nachzudenken. Was sich auf Dauer schon bemerkbar machen wird, wie Schittler sagt.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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