Beruf Bademeister:Morgens um sechs ist die Welt noch in Ordnung

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"Nicht vom Beckenrand springen": Im Freisinger Krakenbecken hält sich auch nicht jeder an die altbekannten Regeln. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Stille, die am Morgen über dem Freisinger Freibad lastet, steht in krassem Gegensatz zu dem Getümmel, das sich von Mittag an entfaltet. Insbesondere Jugendliche testen die Nervenstärke der Wächter über die Benimmregeln aus.

Von Anne Gerstenberg, Freising

Jeden Morgen um sechs betritt Bademeister Zebisch sein Reich. Seinen Vornamen verrät er nicht, für die Badegäste soll er eine Autoritätsperson sein. Er trägt seine Uniform, ein weißes Polo-Shirt, bei dem seine Frau wegen der Hitze sauber die Ärmel abgeschnitten hat. So blickt er auf das verlassene Bad, in dem er der Wächter ist über die Umkleidekabinen und die Sonnenschirme, den Sprungturm und die zwei Rutschen, das Kinderbecken und die Fußballwiese. Er kümmert sich um die Wasserqualität und so ein bisschen auch um den Badespaß, obwohl er in den Augen der Kinder und Jugendlichen ja eigentlich der Spielverderber ist.

Die Stille, die am Morgen über dem Freibad liegt, steht im krassen Kontrast zu dem Schlachtengemälde am Nachmittag, der vermüllten Liegewiese, dem Tumult in den Becken, dem Lärm. "Dann sieht es hier aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen", sagt Zebisch. Doch jetzt noch nicht. Der Tag im Freibad kann beginnen.

Der Tag beginnt für die Bademeister damit, das Chaos vom Vortag zu beseitigen. Stammgäste stehen dann schon vor dem Eingang. Senioren und Berufstätige, die ihre Bahnen ziehen wollen, während die Welt noch schläft. "Wir sind wie eine kleine Familie", sagt Bademeister Rothkopf. Und die Sportschwimmer kämen jeden Tag. "Wenn es stürmt und regnet, dann kommen sie halt in ihrem Neoprenanzug."

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(Foto: Marco Einfeldt)

Ein wachsames Auge hat Bademeister Rothkopf über all jene, die im Freisinger Freibad Fußball spielen,...

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...sich auf der Liegewiese räkeln,...

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...ins Krakenbecken rutschen...

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...oder vom Beckenrand ins Wasser springen.

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(Foto: Marco Einfeldt)

"Ich kenne meine Pappenheimer", sagt der Bademeister, "die habe dann besonders gut im Auge."

Zunächst gehört das Freibad den Senioren und den Schwimmern, die in Ruhe ihre Bahnen schwimmen möchten. Um die Mittagszeit trudeln die ersten Kinder ein und übernehmen lautstark das Regiment. Das Freibad wird zum Ballungsraum. Die Bademeister müssen jetzt aufpassen, dass keine Anarchie ausbricht. "Jeder hat seine ganz eigene Vorstellung von Spaß. Es gibt tausende Arten von Spaß", sagt Zebisch.

Verbringt man einen Juli-Tag zwischen Kinderbecken und Liegewiese, lassen sich rasch verschiedene Badegasttypen identifizieren. Auf dem Sprungturm steht der "Springer". Wagemutig vollzieht er die tollkühnsten Sprünge: den Hecht, die Arschbombe, den Salto vorwärts und rückwärts, die Schraube. Besonders Wagemutige laufen auf Händen bis zur Kante des Sprungbretts, wo sie sich aus dem Handstand elegant ins Wasser fallen lassen. Der Springer stürzt sich aber auch vom Beckenrand ins Wasser und landet fast auf einem nichts ahnenden Schwimmer. Die Empörung gehört ins Becken wie das Chlor. Der Wächter über den Badespaß ist dann sofort zur Stelle. "Ich kenne da schon so meine Pappenheimer", sagt Zebisch, "die habe ich dann besonders gut im Auge."

Am Sprungturm steht ein weiterer Badegasttypus, das "Mädchen vom Beckenrand". Die Frisur und das Make-up sitzen und dürfen nicht nass werden. Das Mädchen präsentiert seine Bikinifigur, streckt die noch nicht ganz vorhandene Brust nach vorne, zieht den Bauch vornehm ein. In ihm wüten die Hormone. Mit unverhohlenem Blick fixiert es die Springer, die sich mit ihren Sixpacks vom Sprungturm ins Wasser werfen. Die Balz vollzieht sich nicht am Beckenrand, sondern eher in den Köpfen der Mädchen, die sich unnahbar und erhaben geben. Die Jungs bekommen davon während ihrer kunstvollen Springerei nur rein gar nichts mit.

Der Typus des "Jugendlichen" hat es sich zur Aufgabe gemacht, ausschließlich den Bademeister zu provozieren. Wie schon Sokrates, beklagt der Bademeister den Mangel an Disziplin und Respekt bei den Jugendlichen. Bei ihrer Lebensaufgabe Grenzen auszutesten, wird der Bademeister zum Prellbock jugendlicher Energie. "Dann werde ich immer als der Spielverderber beschimpft", sagt Zebisch, der sich oft missverstanden fühlt. "Die Regeln sollen den Spaß und das harmonische Miteinander doch erst möglich machen. " Dabei sind die Bademeister Meister der Konfliktbewältigung: "Es ist wichtig, sich nicht sofort einzumischen", sagt Rothkopf: "Viele Jugendliche wollen nur Aufmerksamkeit. Gibt man ihnen diese nicht, erlischt der Konflikt meist von selbst wieder. Der Jugendliche sei nur in der Gruppe stark, sagt Rothkopf, einzeln verhalte er sich ganz anständig.

Derweil ist im Krakenbecken der Powerrutscher zugange. Er ist zwischen vier und zehn Jahre alt. Mit Schwimmflügeln an den Ärmchen wird gerutscht, was das Zeug hält: vorwärts, rückwärts, auf Knien, sogar seitwärts und auf dem Rücken. Sein Revier teilt der Powerrutscher höchst ungern. Deshalb tritt der "Störenfried" auf den Plan. Er drängt den Powerrutscher zur Seite und erklimmt selbst triumphal die Stufen der Rutsche. Dort oben steht er und blickt stolz über das Becken, in dem alle, die friedlich planschen, aufgemischt werden wollen. Das sind die "Planschenden". Sie tun so, als hätten sie noch nie Wasser gesehen. Gäbe es die Pumpe nicht, die das Wasser zurück ins Becken pumpt, wäre es schon lange leer, so fleißig wird hier gespritzt.

In maximaler Entfernung dazu liegt der "Sonnenbader". Dieser spezielle Badegasttypus legt Wert darauf, so viel Sonne wie nur irgend möglich abzubekommen. Gebadet wird nur alle zwei Stunden fünf Minuten. Danach wird in der Sonne weiter die lederne Haut gebrutzelt.

Pause machen im Freibad alle offenbar nur für eine in der Sonne vor Fett triefende Portion Pommes rot-weiß. In der Schlange vor dem Kiosk werden die Badegasttypen alle gleich und drängeln sich vor dem Tresen. Am Kiosk ist auch dieser Duft von Chlor, gemähter Wiese, Sonnencreme und Frittierfett, den es nur im Schwimmbad gibt. Sind die Fritten fertig, wird gemampft und gemopst, gemault und gemogelt, bis die Ketchup- und Mayo- Flecken auf Handtüchern, Bikinis und Badehosen verteilt sind.

Darüber kann sich dann prächtig die "Übermutter", ein weiterer Badegasttyp, aufregen. Mit Ausrufen wie "Schätzelein, was ist denn schon wieder mit deinem Bikini passiert?" oder "Schätzelein, komm mal wieder in den Schatten!" und "Schätzelein, Du musst Dich gleich noch mal eincremen!" stört sie mit spitzer Stimme den Frieden ihres Kindes und der Nachbarn. Ein Schwimmbadbesuch kann für die Übermutter eine aufreibende Angelegenheit sein. Sie muss zunächst mit unzähligen Taschen und Decken ein Nest bauen. Wenn die Kinder mit einer dicken Sonnencremeschicht überzogen sind, kann sie sich zurücklehnen, alle halbe Stunde den Badeanzug wechseln und das Geschehen im Kinderbecken überwachen.

Und inmitten dieses Durcheinanders, das wie ein Gemälde anmutet, sind immer und überall die Bademeister. Alle Unglücke können jedoch auch sie nicht verhindern: "Wenn sich jemand bei einem Sprint im Nassbereich langlegt, dann ist er ja wohl selbst schuld", sagt Bademeister Rothkopf. Früher saß er auf einem roten Stuhl vor dem Kinderbecken und überblickte das Geschehen. "Aber der ist mittlerweile ganz morsch", sagt Rothkopf. Heute sitzt er in einem Kontrollraum, wo sie auf Bildschirmen alle Areale im Blick haben. Hier ist der Bademeister die Kontrollinstanz.

So vergeht der Tag und der Trubel wird weniger. "Der schönste Moment des Tages ist, wenn um 19.45 Uhr alle Becken verlassen sind und ich Feierabend machen kann", sagt Zebisch. Dass diese Vorstellung utopisch ist, weiß er. Trotzdem freut er sich über die Tage, die ohne großen Ärger verlaufen. An denen sich alle an die Regeln gehalten haben. "Dann weiß ich, dass ich meinen Job gut gemacht habe." Um 20 Uhr sind die Badegäste verschwunden. Nur die Überbleibsel auf der Wiese zeugen noch von einem lebhaften Badetag. Wieder steht Zebisch da, der stolze Wächter seines stillen Reichs. Und das einzige Geräusch, das man noch hört, ist das Schwappen des Wassers über den Rand des Ablaufgitters.

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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