Ein andere Sicht der Dinge:Unterwegs mit Rollstuhl und Blindenstock

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Die Gruppe "Perspektivwechsel" zeigt den Buben und Mädchen im Echinger Kinderhort an der Heidestraße, wie Menschen mit Behinderungen mit und ohne Hilfsmittel zurecht kommen und wie viel Spaß sie im Leben haben können.

Alexandra Vettori

- Doch, es geht. Auch wenn man die Finger nicht richtig bewegen kann, ist es möglich, selbständig seine Knöpfe zu öffnen. Das und vieles mehr haben 25 Echinger Hortkinder am Mittwoch gelernt. Da war die Gruppe "Perspektivwechsel" im Gemeindehort an der Heidestraße zu Gast, vier Menschen mit Behinderungen samt ihren Betreuern. Sie zeigten den Kindern, wie die Welt für Menschen mit Behinderungen so ist, wie viel Spaß sie doch haben und wie viele Hilfsmittel es gibt.

Tanja, zum Beispiel, eine junge Frau mit spastischen Behinderungen, hat eine Einfädelhilfe dabei, eine Drahtschlaufe mit dickem Griff. Die bohrt sie durch das Knopfloch, fängt den Knopf ein und zieht ihn durch das Loch. Die Kinder tragen weiße Baumwollhandschuhe, die an verschiedenen Fingern zusammen genäht sind, um die Greifbehinderung zu simulieren. Es ist ein arges Gepopel, bis einer einen Knopf erwischt. "Ich habe schon Übung", sagt Tanja, "ich kann es inzwischen mit einer Hand, muss mich aber konzentrieren." Wenn sie nicht mit der Gruppe "Perspektivwechsel " unterwegs ist, oder in einer Werkstatt arbeitet, dann reitet sie am liebsten, erzählt sie den Kindern, oder schwimmt, "das ist alles gut, damit meine Muskeln sich lockern", erzählt sie freimütig.

Dieser lockere, selbstverständliche Umgang mit Behinderungen war das, was der Münchnerin Anita Donaubauer vorschwebte, als sie vor zehn Jahren die Gruppe "Perspektivwechsel" gründete. Auch sie leidet seit ihrer Geburt an spastischen Behinderungen und sitzt im Rollstuhl. "Ich wollte Kinder und Jugendliche informieren über die Situation von Menschen mit Behinderungen, aber ohne Zeigefinger, mit Spaß", erklärt die 42-Jährige. Heute gehören der Gruppe zwölf Menschen mit Behinderungen an, Blinde, Rollstuhlfahrer, Spastiker.

Bei ihren Einsätzen bieten sie diverse Stationen an, altersgemäß präsentiert. Bei den Grundschulkindern des Hortes, erzählt Helfer Daniel, werde ein kreatives Element aufgenommen, "da kann man noch nicht das Problembewusstsein von Jugendlichen voraussetzen." Bei ihrem Einsatz im Echinger Hort haben sie ein Blindenmodul aufgebaut, eines für Greifbehinderungen, einen Rollstuhlparcours und ein Kreativmodul, bei dem es um den Alltag geht. Hier können die Kinder Bilder malen von Häusern, Möbeln oder Hilfsmitteln, die behinderten Menschen das Leben leichter machen. Konstantin zum Beispiel hat einen Schreibtisch gemalt, "da kann man an einem Band ziehen, um das Licht anzumachen, das ist leichter, als ein kleiner Knopf." Bei Lisas Schreibtisch sind die Schubladen oben, bequem zu erreichen. "Weil die Leute im Rollstuhl können sich ja nicht so gut bücken", erklärt sie. Hortleiter Stefan Tiebel ist zufrieden mit den Lernerfolgen. "Es geht darum, einen unverkrampften Umgang mit Behinderten zu lernen. Sie haben sich zum Beispiel alle per Handschlag begrüßt. Da sehen die Kinder, das fühlt sich anders an." Gleichzeitig geht es um soziale Kompetenzen den eigenen Mitschülern gegenüber. "Andersartigkeit akzeptieren", nennt das Tiebel. Im Hort, betont er, gehe es schließlich nicht nur um Hausaufgabenbetreuung und Mittagessen. Vielmehr würden hier auch viele Projekte durchgeführt.

Im Gymnastikraum daneben geht es derweil hoch her, hier dürfen die Kinder mit Rollstühlen durch einen Hütchenparcours fahren. Wie viel ein Rollstuhl kostet, da waren sie geschockt. Mit ihrer Vermutung, "59 Euro, 99 Euro", lagen sie weit daneben. 5000 Euro kostet ein solcher Kinderrollstuhl, wird dafür aber auch an den Fahrer angepasst.

© SZ vom 22.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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