Ludwig Grüll hegt Zweifel am Rechtsstaat. Für den Attachinger Startbahngegner arbeiten Staatsanwaltschaft, Finanzministerium, Rechnungshof und Flughafen GmbH zusammen, um unter der Decke zu halten, was an die Öffentlichkeit gehört. Grüll hatte Anfang April 2016 der SZ entnommen, dass die Flughafen GmbH der Lufthansa Vorteile von über einer Milliarde Euro verschaffe und der Oberste Rechnungshof (ORH) dies als Verschwendung von Steuergeld bezeichnet habe (). Um zu verhindern, dass dieser in seinen Augen ungeheuerliche Vorgang im Sande verläuft, erstattete er am 4. Mai mit dem Freisinger Christian Franck Strafanzeige wegen Untreue in besonders schwerem Fall. Bisher erfolglos.
Die Staatsanwaltschaft Landshut hat die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgelehnt, weil "bloße Vermutungen es nicht rechtfertigen, jemandem eine Tat zur Last zu legen". Wie aus dem der SZ vorliegenden Schriftverkehr hervorgeht, hat der zuständige Staatsanwalt Jürgen Rohrmüller am 15. Juni so entschieden, die Beteiligten aber erst nach mehreren Erinnerungen am 4. Oktober informiert. Er bezieht sich auf eine Stellungnahme des Finanzministeriums, wonach es sich bei den Vereinbarungen zwischen FMG und Lufthansa "um unternehmerische Entscheidungen handele mit dem Ziel, die Lufthansa langfristig als Partner an den Flughafen München zu binden". Eine Umorientierung, schreibt Rohrmüller, hätte nach Ansicht des Ministeriums weitreichende negative wirtschaftliche Konsequenzen. Bei Zugrundelegung dieser "überzeugenden Argumente", so der Staatsanwalt weiter, sei eine Untreue nicht ersichtlich.
Akteneinsicht wurde nur der FMG-Anwältin gewährt
Der Münchner Anwalt Florian Mangold, der Franck und Grüll vertritt, forderte daraufhin Akteneinsicht, die aber, wie die Staatsanwaltschaft einräumte, erst einmal drei Tage lang nur der FMG-Anwältin Anette von Stetten gewährt wurde. Erst danach bekam Mangold die Akten - unvollständig. Er vermisse unter anderem Teile des ORH-Prüfberichts und die Stellungnahme des Finanzministeriums, teilte er dem Staatsanwalt mit, Unterlagen, die der FMG-Anwältin vorgelegen hätten. Einsicht in diese Akten wurde Mangold nicht gewährt. Am 8. Dezember teilte der Staatsanwalt mit, die ORH-Unterlagen seien ihm mit dem Hinweis übersandt worden, dass dafür "Geheimhaltungsinteresse" bestehe. Der FMG-Anwältin sei vollständige Akteneinsicht gewährt worden, weil die FMG an dem Prüfungsverfahren beteiligt war.
Vier Jahre lang hat der Oberste Rechnungshof (ORH) die Geschäftsjahre von 2003 bis 2011 und den FMG-Gesellschaftervertrag unter die Lupe genommen. Im Prüfbericht vom Mai 2014, der unter Verschluss gehalten wurde, kritisieren die Prüfer, dass die FMG der Lufthansa weitreichende exklusive Nutzungsrechte für das 2002 eröffnete Terminal 2 eingeräumt habe. Kosten und Nutzen stünden in einem eklatanten Missverhältnis.
Lufthansa und FMG hatten seinerzeit den Betrieb des Terminals in eine Betriebsgesellschaft ausgelagert, an der die FMG 40 und die Lufthansa 60 Prozent hält. Mit ihren Verbundpartnern der Star Alliance, so wurde vereinbart, darf die Lufthansa das Terminal bis 2036 exklusiv nutzen. Danach sollte die FMG das Terminal betreiben und allein von den Erträgen profitieren. Doch 2011, so rügt der ORH, hätten Gesellschafterversammlung (Bund, Land, Stadt München) und Lufthansa kurz vor Fertigstellung des Satelliten-Terminals ein "Memorandum of Understanding" unterschrieben, wonach die Lufthansa Terminal 2 samt Satellit für 20 weitere Jahre exklusiv nutzen dürfe. Nach Berechnungen des ORH ein Vermögensvorteil von 880 Millionen Euro.
Weiter sei vereinbart worden, dass die Betriebsgesellschaft 2051 zum Restbuchwert an die FMG verkauft werde, danach sollte die Lufthansa Miete zahlen. Nach Berechnungen des ORH ein Gewinn von weiteren 180 Millionen Euro für die Lufthansa. Diese sei zwar die mit Abstand wichtigste Fluglinie im Erdinger Moos, schreibt der Rechnungshof, gleichwohl sei das Verhandlungsergebnis "nicht interessengerecht und unausgewogen", es sei "betriebswirtschaftlich nicht darstellbar" und als "einseitige Vorteilsgewährung" zu werten.
Zunächst schien wohl auch den Gesellschaftern die Vereinbarung nicht ganz koscher. In einer Aktennotiz des Finanzministeriums vom 29. April 2010 heißt es: "Es ist gemeinsame Auffassung, dass die von der Lufthansa verlangten vertraglichen Bindungen ab dem Jahr 2036 nicht zugestanden werden sollten, zumal keine Gegenleistungen in Sicht sind." Nur zwei Wochen später aber heißt es in einem Gesprächsprotokoll, die staatliche Seite habe dem Vorstandsvorsitzenden der Lufthansa unentgeltlich die Verlängerung des gemeinsamen Betriebs von Terminal 2 inklusive Satelliten um 20 Jahre eingeräumt. Wie es dazu kam, geht aus dem der SZ vorliegenden ORH-Bericht nicht hervor.
FMG und Finanzministerium bezeichneten den Bericht des Rechnungshofs als "falsch berechnet und völlig überzogen", der ORH verkenne "die Bedeutung der strategischen Partnerschaft zwischen FMG und Lufthansa für das Luftverkehrsdrehkreuz". Der ORH wollte sich wegen des laufenden Verfahrens zur Stellungnahme des Ministeriums nicht äußeren. Außerdem gehöre die FMG zu den Unternehmen, deren Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse besonders geschützt seien.ki
Markus Söder ist FMG-Aufsichtsratsvorsitzender und Finanzminister
Grüll und Franck können das Geheimhaltungsinteresse nicht nachvollziehen. Markus Söder sei nicht nur FMG-Aufsichtsratsvorsitzender, sondern verwalte als Finanzminister öffentliches Geld. Deshalb gehörten alle Fakten auf den Tisch. Mangold forderte, die Stellungnahme des Ministeriums einsehen zu dürfen. Die Staatsanwaltschaft blockte ab, weil diese Teil des ORH-Berichts sei. Mangold wendete sich an den Präsidenten des Rechnungshofes, ohne Erfolg: Christoph Hillenbrand ließ am 30. Januar mitteilen, dass es sich um "Geschäftsgeheimnisse der Erhebungsstelle" handele, für die "Bedürfnis zur Geheimhaltung" bestehe. Mangold hat dafür kein Verständnis und hat am 1. Februar bei der Staatsanwaltschaft "Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung weiterer Akteneinsicht" gestellt. Inzwischen hat das Gericht jedoch entschieden, dass die Geheimhaltung rechtens sei, wie Thomas Steinkraus-Koch, Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte.
Für Franck und Grüll steht fest, dass sie bei ihrem Versuch, "Klarheit in einen wirtschaftlich und steuerpolitisch hochbrisanten Vorgang" zu bringen, "nach allen Regeln der politischen Kunst hinters Licht geführt werden". In einem Rechtsstaat dürfe es nicht sein, dass "der Verteidigung des Beklagten entscheidende Waffen zugestanden, dem Kläger aber verweigert werden". Es gehe nicht an, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Stellungnahme des indirekt angezeigten Finanzministeriums eine Anzeige einstellt, die Stellungnahme aber nicht zur Einsicht freigibt. Folgerung von Franck und Grüll: "Irgendjemand in der Politik hat die Finger auf diesem Vorgang, anders ist das nicht zu erklären". Diesen Vorwurf weist Steinkraus-Koch zurück. Die Staatsanwaltschaft habe die Unterlagen unter Vorbehalt der Geheimhaltung bekommen. Niemand habe das Recht, dem ORH Weisungen zu erteilen.