Die Schattenseiten des Booms:Mieter in Not

Immer mehr Menschen suchen die Beratungsstelle der Diakonie auf, um die drohende Obdachlosigkeit zu vermeiden. Vor allen Beschäftigte im Niedriglohnsektor können sich eine Wohnung in der Flughafenregion kaum noch leisten.

Gudrun Regelein

Die Zahl der von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen im Landkreis ist im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2010 nach oben geschnellt. Zwar blieb die Zahl der Beratungsfälle bei der Diakonie nahezu konstant, aber die Anzahl der Betroffenen stieg erheblich an. Und darunter sind erschreckend viele Kinder.

Insgesamt 326 Menschen waren im Jahr 2011 von Obdachlosigkeit bedroht (2010: 202 Betroffene) - und fast ein Drittel von ihnen, nämlich 99, sind Kinder, sagt Angelika Nothnagel, Sozialpädagogin bei der Fachstelle der Diakonie zur Verhinderung von Obdachlosigkeit im Landkreis Freising (FOL). Immer mehr Familien, Alleinerziehende und Paare suchen Hilfe: Im Jahr 2011 war es bereits mehr als die Hälfte aller Klienten. Insgesamt hat die Diakonie im vergangenen Jahr 235 so genannte Wohnungsnotfälle beraten. Besonders betroffen sind die Gemeinde Neufahrn und die Stadt Moosburg, was Nothnagel mit der guten Anbindung zum Flughafen, dem größten Arbeitgeber der Region, erklärt. Dieser biete viele Jobs im Niedriglohnsektor an. Im Fall der Arbeitslosigkeit und bei fehlenden Rücklagen sei früher oder später für viele ihrer Klienten die Miete nicht mehr bezahlbar.

Und immer mehr Angestellte seien von der Obdachlosigkeit bedroht: 2011 waren das bereits 46 Beratungssuchende; übertroffen wird diese Zahl nur durch die Bezieher von Arbeitslosengeld II, nämlich 65. "Für uns eine Bestätigung, dass eine Erwerbstätigkeit - oft im Niedriglohnbereich - in unserem Landkreis nicht garantiert, seinen Wohnraum erhalten zu können", sagt Nothnagel. Die meisten Klienten kommen erst zu ihr und ihrer Kollegin Martina Schiepe-Schönberger zur Beratung, wenn bereits die Räumungsklage eingereicht wurde, also relativ spät. Die drohende Obdachlosigkeit sei oft nur die "Spitze des Eisbergs". Im Hintergrund stehe eine ganze Reihe anderer Probleme, wie Trennung oder Scheidung, Krisensituationen, wie Trauer und Jobverlust. Schiepe-Schönberger sieht ihre Aufgabe dann auch in der Prävention, Mediation, Motivation und in der Existenzsicherung. Es gehe immer um Ermutigung und um die "Selbstermächtigung" ihrer Klienten, die häufig von existenziellen Ängsten betroffen seien. Insgesamt 168 Fälle konnten im vergangenen Jahr zumeist durch einen Umzug "positiv" abgeschlossen werden, in elf Fällen war die Obdachlosigkeit nicht zu vermeiden. Die 31 Betroffenen, darunter 14 Kinder, mussten in von den jeweiligen Kommunen zur Verfügung gestellten Notunterkünfte umziehen. "Erschwerend für unsere Arbeit sind unter anderem der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die zu geringe Zahl an Sozialwohnungen", moniert Nothnagel.

Bei den Beratungsstellen der Caritas beobachtet man seit längerem, dass die Schere zwischen Einkommen und Mietforderung immer mehr auseinandergehe, berichtet Günter Miß, Leiter der Sozialen Beratung und der Schuldnerberatung. "Die Miete nimmt einen immer höheren Anteil am gesamten Familienbudget ein", sagt er. Selbst bei Vollbeschäftigung sei das Einkommen oft zu gering, um einen angemessenen Lebensstandard in einer angemessenen Wohnung zu sichern.

Insofern seien auch immer mehr Familien in Freising von Obdachlosigkeit betroffen. Insgesamt 101 Klienten kamen im Jahr 2011 zur Caritas, die bereits obdachlos gewordene Menschen in Freising betreut - mit dem Ziel, diese möglichst rasch wieder in einen eigenen Wohnraum zu vermitteln. In mehr als 50 Prozent der Fälle war Arbeitslosigkeit oder ein geringes Einkommen die Hauptursache für die Obdachlosigkeit.

Wir greifen früh ein: Diese Menschen quartieren wir normalerweise in kostengünstigere Wohnungen um", sagt Freisings Sozialamtsleiter Robert Zellner. So seien diese nicht obdachlos und könnten zudem durch die geringeren Mietkosten ihre Schulden tilgen. Grundsätzlich aber, erläutert Zellner, stagniere die Zahl der Obdachlosen in der Stadt seit Jahren. Und: "Familien mit Kindern waren schon immer betroffen. Auch da beobachten wir keinen Anstieg."

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