Muscab und seine Pflegefamilie:Diskutiert wird nur über Fußball

Muscab und seine Pflegefamilie: Die Ausstattung in der Turnhalle der Freisinger Wirtschaftsschule, wo die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wohnen, ist spartanisch. Die meisten von ihnen würden deshalb gerne in einer Pflegefamilie leben.

Die Ausstattung in der Turnhalle der Freisinger Wirtschaftsschule, wo die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wohnen, ist spartanisch. Die meisten von ihnen würden deshalb gerne in einer Pflegefamilie leben.

(Foto: Marco Einfeldt)

Nur wenige der 166 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Landkreis haben das Glück, in einer Pflegefamilie unterzukommen. Dabei kann das ganz unproblematisch laufen.

Von Gudrun Regelein, Freising

Sie haben immer wieder aus den Nachrichten erfahren, dass Menschen auf ihrer Flucht im Mittelmeer ertrinken, haben mitbekommen, wie schlimm die Situation der Flüchtlinge ist, erzählen die Maibachs (Name geändert). "Wir selber haben drei gesunde erwachsene Söhne", sagt Katharina Maibach. "Wir wollten etwas Gutes tun, etwas zurückgeben - und zumindest ein Leben verändern."

Als sie und ihr Mann dann Muscab, den 16-jährigen Somalier, der zuvor in der zur Notunterkunft umfunktionierten Turnhalle der Wirtschaftsschule in der Wippenhauser Straße untergebracht war, kennenlernten, hätten sie ihn sofort gemocht. "Das war Sympathie auf beiden Seiten." Seit etwa fünf Wochen lebt der junge unbegleitete Flüchtling nun bei ihnen, in seiner Pflegefamilie, das Zusammenleben laufe unproblematischer als sie gedacht habe, erzählt Katharina Maibach.

Vor etwa eineinhalb Jahren ist Muscab aus Somalia geflohen. Er erzähle sehr offen und relativ viel von seiner Familie, seiner Mutter und den fünf Geschwistern und seinem früheren Leben: Von den Übergriffen auf die Dörfer, von dem herrschenden Chaos und den schwierigen Umständen, mit denen seine alleinerziehende Mutter zurechtkommen muss. Als Muscab erfuhr, dass er gezwungen sei, entweder in die islamistische Al-Shabaab-Miliz oder in die Armee einzutreten, wurde ihm bewusst, dass es für ihn keine Chance auf ein freies Leben gebe.

Er wollte kein Soldat werden, er entschloss sich zur Flucht. Nach vielen Monaten kam er schließlich nach Deutschland, seit dem vergangenen Sommer lebt er in Freising, zuletzt gemeinsam mit anderen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in der Turnhalle der Wirtschaftsschule. Sein großer Wunsch sei gewesen, von dort wegzukommen, bei einer Pflegefamilie leben zu dürfen.

"Einer mehr fällt gar nicht auf"

"Einer mehr fällt gar nicht auf, bei uns geht es immer zu wie im Taubenschlag", sagt Katharina Maibach. Muscab hat das Gästezimmer der Familie bezogen, derzeit besucht er die Ganztagesklasse der Mittelschule in Neufahrn. "Er ist ein ganz normaler 16-jähriger Junge", meint seine Pflegemutter. Er habe bald Freunde gefunden und spiele schon im örtlichen Fußballverein mit. In den vergangenen Wochen sei Muscab in seiner neuen Familie endlich zur Ruhe gekommen.

"Er ist sehr tough, stellt sich der Situation sehr tapfer", sagt Katharina Maibach. Nur manchmal müsse man ihm erklären, wie es in Deutschland funktioniere - was bei den kulturellen Unterschieden nicht verwunderlich sei. Aber eigentlich passe alles. "Wir sind auf dem Weg zur Normalität." Nur ab und an gebe es Diskussionen: Muscab nämlich ist Manchester-Fan, die Maibachs dagegen Anhänger von Bayern München.

Nicht alle der 166 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die derzeit vom Jugendamt Freising betreut werden, hatten so viel Glück wie Muscab. Nur 20 leben derzeit in Pflegefamilien. 90 sind in Jugendhilfeeinrichtungen in und außerhalb des Landkreises untergebracht, 56 in der Notunterkunft in der Turnhalle der Wirtschaftsschule. Die 56 jungen Flüchtlinge dort sind alle männlich und zwischen 15 und 18 Jahre alt. Sie kommen aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Eritrea und einige wenige aus Pakistan, Sudan und Iran, berichtet Freisings Jugendamtsleiterin Arabella Gittler-Reichel. "Ihr großer Wunsch ist, in Pflegefamilien zu kommen", sagt sie.

Mittelfristig wolle man die Turnhalle gerne auflösen und die Jugendlichen woanders unterbringen. Zwar biete sie eine gute Übergangslösung, dennoch sei die räumliche Situation nicht optimal, sagt Gittler-Reichel. Der private Bereich fehle, trotz der Bemühungen, Rückzugsmöglichkeiten für die Jugendlichen zu schaffen. Normalerweise sei ein Zimmer mit höchstens zwei Bewohnern bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Standard.

Das könne man in einer Notunterkunft nicht bieten, genauso wenig wie die eigentlich geforderte intensive Betreuung. Zwar würden sich immer wieder Familien melden, die bereit wären, einen jungen Flüchtling bei sich aufzunehmen. "Aber dennoch können nicht alle sofort in eine Familie wechseln, auch wenn es die meisten gerne täten."

Seit einigen Wochen leben die Jugendlichen alleine in der Turnhalle, seitdem habe sich die Situation verbessert, denn nun müssen sie sich nicht mehr wie zu Beginn mit noch vielen anderen Asylbewerbern arrangieren. Damals sei es auch zu kritischen Situationen gekommen, als beispielsweise verschiedene religiöse Gruppen in Streit gerieten. Aber noch immer seien dort viele verschiedene Persönlichkeiten auf engem Raum untergebracht: Jugendliche, die eigentlich viel Ruhe bräuchten, und andere, die sehr kontaktfreudig seien.

Gelöst werden viele dieser Konflikte in intensiven Gruppen- und Einzelgesprächen mit den pädagogischen Betreuern. "Diese Gespräche sind sehr wichtig. In ihnen wird den Jugendlichen aber auch vermittelt, welche Werte, Gewaltfreiheit oder Toleranz beispielsweise, in Deutschland wichtig sind", berichtet Gittler-Reichel. Das alles brauche Zeit, "aber wir sind auf einem guten Weg".

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