Debatte im Stadtrat:Alle Stühle schon besetzt

Es wird keine Stelle für einen Fair Trade-Koordinator im Rathaus geben - wohl auch, weil man nicht weiß, wo er sitzen soll

Von Kerstin Vogel, Freising

Der erste Antrag im Finanzausschuss? Vertagt wegen zu wenig Informationen. Der zweite, besser vorbereitete Anlauf: überraschend knapp abgelehnt, obwohl die Verwaltung Zustimmung empfohlen hatte. Dieser Beschluss dann reklamiert für den Stadtrat, dort eine eineinhalbstündige, emotionale Debatte und eine namentliche Abstimmung: Fast hätte man meinen können, es wäre um eines der millionenteuren Innenstadtprojekte gegangen oder jemand hätte den Ausbau der Westtangente auf acht Spuren gefordert. In Wahrheit aber ging es um eine kaum kostenintensive Personalstelle, die gleichwohl abgelehnt wurde.

Freising ist seit 2011 Fair Trade-Kommune, ein Titel, der Städten nur nach Erfüllung bestimmter Kriterien verliehen wird. So muss unter anderem im Rathaus "fairer" Kaffee ausgeschenkt werden, lokale Einzelhändler müssen sich beteiligen, es braucht eine Steuerungsgruppe und die Zivilgesellschaft muss einbezogen sein. Weil das in der Domstadt bis hin zur Gründung eines ehrenamtlich arbeitenden Fairen Forums alles recht gut klappt, wurde die Zertifizierung 2014 erneuert. Weil das aber auch viel Arbeit bedeutet, erschien den Verantwortlichen des Fairen Forums ein entwicklungspolitisches Projekt gerade recht zu kommen, das den Einsatz eines Koordinators für fairen Handel und faire Beschaffung in der Stadtverwaltung fördern würde - und zwar zwei Jahre lang mit 90 Prozent der Kosten für diese Personalstelle.

Im Finanzausschuss allerdings hatte man sich bei der ersten Vorlage Mitte Mai nicht so recht vorstellen können, was so ein Koordinator eigentlich tun sollte, weshalb das Hauptamt der Stadt und die Mitglieder des Forums für die Juli-Sitzung ein Aufgabenprofil erarbeitet hatten, das unter anderem den Aufbau von Netzwerken, "Bildungs- und Informationsarbeit zu entwicklungspolitischen Themen" und eine Professionalisierung des ehrenamtlichen Forums auflistete. Ohne inhaltliche Diskussion wurde das im Finanzausschuss dann allerdings abgelehnt - was wiederum zehn Stadträte so erboste, dass sie die Reklamation für eine Entscheidung im Stadtrat unterschrieben.

Dort waren am Donnerstag nun teilweise leidenschaftliche Plädoyers für den Fairen Handel zu hören, von Jürgen Maguhn (Grüne) und Monika Hobmair (ÖDP) beispielsweise. Tenor: Wir leben auf Kosten anderer, es gilt Fluchtursachen zu bekämpfen, generell muss mehr getan werden, damit die Stadt Freising das Fair Trade-Siegel auch verdient. Das wiederum wies Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher mehrfach wortreich zurück: Sehr wohl habe die Stadt von Anfang an viel getan, um den fairen Handel zu fördern, große Unterstützung sei dabei auch aus der Stadtverwaltung gekommen.

Die hat sich nun allerdings in Teilen offenbar gegen die Schaffung einer neuen Stelle ausgesprochen. Kein Platz und keine Zeit, sich zu kümmern, übermittelte Hauptamtsleiter Rupert Widmann als Botschaft aus dem zuständigen Referat - eine schöne Vorlage für Grünen-Stadträtin Susanne Günther: "So eine Chance nicht zu nutzen, weil man nicht weiß, auf welchem Stuhl die Person dann sitzen soll, ist politisch sehr schwach", ätzte sie.

Weil aber am Ende SPD, Freie Wähler, CSU und Teile der Freisinger Mitte den Personalbedarf in der Stadtverwaltung auch eher an anderer Stelle sahen und den fairen Handel lieber anderweitig unterstützen würden, offenbar gerne auch finanziell, endete die von Maguhn dann beantragte namentliche Abstimmung mit 18 zu 16 gegen die Schaffung der Stelle für den Fair Trade-Koordinator. Sebastian Habermeyer (Grüne), der das wohl kommen sah, konnte der Sache kurz vor der Abstimmung dennoch etwas Positives abgewinnen: "Ich werde mit dem Ergebnis wahrscheinlich nicht zufrieden sein, aber mit der Debatte."

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