Malen statt Jammern:Ein bisserl hinterfotzig, ein bisserl schräg

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Bunt und bis auf den letzten Zentimeter voll, das Keller-Atelier von Wolfgang Sell ist selbst ein Gesamt-Kunstwerk. (Foto: Marco Einfeldt)

Der 67-jährige Wolfgang Sell jammert nicht, obwohl ihm beide Beine amputiert wurden. Stattdessen malt er knallbunte Bilder, die er für den guten Zweck verkauft.

Von Alexandra Vettori, Eching

Wolfgang Sell ist kein Typ, der jammert. Auf dem T-Shirt des 67-Jährigen steht "Mir fehlt nix, nur die Haxn", sonst verliert er nicht viele Worte über die Umstände, die das Leben des Künstlers vor acht Jahren schlagartig veränderten. Also fragt man nach, Sell sitzt im Rollstuhl, wohnt alleine in einer alten Souterrain-Wohnung in Günzenhausen.

Dort erzählt er die Kurzfassung, mehrere Schlaganfälle, Diabetes, Unachtsamkeit mit den gefühllosen Beinen, dann die Amputation; es kommt zu Komplikationen, auch das zweite Bein wird unter dem Knie amputiert.

Knallbunte Farben sind Wolfgang Sells Markenzeichen. (Foto: Marco Einfeldt)

"Konditor, Schausteller, Kabarettist, Wirt, Tortillabäcker, Rentner"

Doch Wolfgang Sell, der seine Berufsbezeichnung so angibt: "Konditor, Schausteller, Kabarettist, Wirt, Tortillabäcker, Rentner", redet lieber von dem, was in der Welt so abgeht, vom Krieg in Syrien, den Flüchtlingen, den USA. Die Themen greift er in seinen Werken auf, so, wie es seinem Wesen entspricht, ein bisserl hinterfotzig, ein bisserl schräg. Auf einem Bild sind bunte Ballone mit Körben voll winziger Menschen zu sehen, "ein Weg, die Flucht anzutreten", sagt er lächelnd, erst der zweite Blick zeigt die Flicken auf den Ballons, die aus orientalisch anmutenden Decken und aus Flaggen von Ländern genäht sind, in denen Krieg herrscht.

Kreativ war Wolfgang Sell, Künstlername Wose, immer, schon während seiner Lehre als Konditor. Die schloss er ab, jobbte dann aber lieber, unter anderem zog er eine Zeitlang mit Schaustellern durchs Land. Ende der Siebzigerjahre war Sell Kabarettist, in der Gruppe "Machtschattengewächse, in der auch Ottfried Fischer war, ein Schwarz-Weiß-Foto der sehr lässigen Combo hängt an Wolfgang Sells Wand, zwischen unzähligen Bildern, Collagen und Postern. Später übernahm Sell in München das Wirtshaus am Hart.

"Konstruktiv und skeptisch", nennt er seine Malstile

Die Achtzigerjahre waren geprägt von der Pleite, die er mit einem zweiten Wirtshaus machte, von Trennungen, und so kam er zurück nach Günzenhausen, wo er schon als Kind mit Mutter und Stiefvater gelebt hatte. Er renovierte seine jetzige Wohnung, "da sind die alten Fenster vom Gasthaus Grill eingearbeitet", erzählt er. Die Malerei wurde wichtiger, "in Günzenhausen hatte ich endlich den Platz dazu", erzählt Sell, der sich alles selbst beigebracht hat. "Konstruktiv und skeptisch", nennt er seine beiden Malstile. Die knallbunten konstruktiven Werke, die manchmal auch zu Pop Art werden, entstünden meist beim Malen. Die "skeptischen" Bilder sind hintersinniger. "Sie kommen daher wie naive Malerei, aber es sind immer leichte Irritationen drin, da kommt der Kabarettist in mir durch", sagt er lächelnd.

Derzeit, da ist er ganz offen, leide er an einer Malhemmung. Vielleicht liegt es daran, dass er seit einem Jahr nicht mehr mit seinem behindertengerecht umgebauten Piaggio fahren kann und deshalb in Günzenhausen fest sitzt. "Ich habe zwei fertige Ausstellungen hier, aber ich brauche jemanden, der das transportiert und aufhängt - und der mich transportiert", fügt er hinzu, und es klingt nicht bitter. Zur Überbrückung hat er ein Songbuch geschrieben, bekannte Rock und Popsongs, mit bayerischen Texten hinterlegt. Den Erlös seiner Ausstellung "Bruchstücke", die bis zum 11. Dezember im Alten- und Service-Zentrum in Eching lief, spendet er den Helfern dort.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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