Für Kurt Scholz und seine Mitstreiter von der örtlichen Bürgerinitiative ist die Sache klar: Ein Tunnel muss her. Sonst nichts. Sollte der Freistaat, wie schon lange geplant, die Trasse der S 8 im Münchner Osten zwischen Daglfing und Johanneskirchen ausbauen, dann müssen die Gleise unter der Erde verschwinden. Alles andere kommt für ihn nicht in Frage. Denn alles andere würde schlicht mehr Lärm bedeuten für die Anwohner entlang der Trasse. Und es würde die Stadt behindern bei der Anbindung der geplanten neuen Wohn- und Gewerbegebiete östlich der Bahngleise.
Um den Münchner Airport besser mit der Innenstadt zu verbinden, plant der Freistaat sogenannte "überregionale Flughafenexpress-Züge", abgekürzt: "Üfex". Diese sollen - sofern die Trasse denn jemals gebaut werden wird - durch die zweite S-Bahn-Stammstrecke unter der Innenstadt hindurchrauschen, am Leuchtenbergring wieder auftauchen und dann über die Gleise der S 8 zum Flughafen fahren.
Um dies zu ermöglichen, muss allerdings die Engstelle zwischen Daglfing und Johanneskirchen entschärft werden. Denn diesen Gleisabschnitt teilen sich die S-Bahnen und die zahlreichen Güterverkehrszüge, die vom Bahn-Nordring kommend über ein Gütergleis südlich von Daglfing nach Trudering geleitet werden und weiterfahren nach Salzburg oder zum Brenner. Sollen also mehr Züge zum Flughafen rollen, müssen dort zusätzliche Gleise gebaut werden. Darin sind sich alle einig.
Uneinigkeit besteht aber darüber, wie der Lärmschutz entlang der dann ausgebauten Trasse gestaltet werden soll. Der Freistaat als Auftraggeber der Planungen will lediglich Schallschutzwände errichten lassen und gegebenenfalls bei besonders belasteten Anwohnern den Einbau von Schallschutzfenstern bezahlen. Zu mehr, so die Argumentation, sei man vom Gesetzgeber her auch gar nicht verpflichtet. Wer mehr will, der müsse dieses Mehr aus eigener Tasche bezahlen.
Und die Stadt will mehr: Sämtliche Fraktionen im Stadtrat haben sich im Interesse der Anwohner für einen Tunnel ausgesprochen, in dem Güter- wie S-Bahn-Züge verschwinden sollen. Mit diesem Tunnel würde man zudem noch ein weiteres (Verkehrs-)Problem lösen: Denn östlich der S-8-Trasse will die Stadt in den nächsten Jahrzehnten ein riesiges Wohngebiet entwickeln mit bis zu 10.000 Wohnungen. Bliebe die Situation so, wie sie jetzt ist, würden sich die Autos an den Bahnübergängen entlang der S-8-Trasse in langen Reihen stauen. Auch U- oder Trambahnen müssten die Trasse irgendwie queren können.
Zuletzt hatte daher die Stadt zusammen mit dem Verkehrsministerium eine Alternative prüfen lassen: In einer Studie hatten Landschaftsarchitekten vorgeschlagen, die Lärmschutzbauten in die Landschaft zu integrieren und sie durch "großzügige Grünverbindungen" zu kaschieren. Die begrünten, mit flachen Hängen geneigten Lärmschutzwälle sollen dabei "fließend in die Umgebung übergehen". Fußgänger und Radfahrer sollen die Trasse über Brücken queren können - das soll ihnen "neue Perspektiven auf die Umgebung" sowie "ein anderes Landschaftserlebnis" ermöglichen.
Der die Trasse querende Autoverkehr soll unter den Gleisen hindurchgeführt werden. Zudem sah die Studie - insbesondere an den Bahnhöfen - Gebäuderiegel vor, die so konzipiert sind, dass sie als Lärmschutz dienen. Die Kosten dafür schätzten die Autoren der Studie auf 300 Millionen Euro - etwa 100 Millionen mehr als vom Freistaat bislang veranschlagt.
Am morgigen Mittwoch wird sich der Stadtrat mit den Vorschlägen aus der Studie befassen - und den Vorschlag vermutlich mit großer Mehrheit verwerfen. Die Stadträte wollen den Tunnel, auch wenn er deutlich teurer kommt: Eine komplette Untertunnelung des Abschnitts würde 670 Millionen Euro kosten; davon müsste die Stadt etwa 500 Millionen Euro übernehmen, weil der Freistaat ja zu keinem Tunnel verpflichtet ist.
Vergangene Woche hatte Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) angekündigt, dass die Stadt auf jeden Fall für den Teil der Kosten aufkommen werde, der sich aus ihren (Sonder-)Wünschen ergeben werde. "Das zahlt ganz klar die Stadt", sagte Ude. Mit dem Freistaat will er nun klären lassen, welche städtischen Wünsche für welche Kostensteigerungen genau verantwortlich sind.
Lediglich die Grünen im Stadtrat hatten zuletzt signalisiert, die Alternativplanungen nicht sofort verwerfen zu wollen. Sie hatten angeregt, die Studie intensiver prüfen zu lassen - insbesondere die niedrigeren Kosten spielen für die Fraktion eine nicht ganz unbedeutende Rolle. Allerdings wirft Grünen-Stadträtin Sabine Nallinger auch die Frage auf, "ob der Güterverkehr nicht besser gleich an München vorbeigeführt werden kann".
Ein solcher "Bypass" schwebt auch Klaus-Dieter Josel vor, dem Konzernbeauftragten der Bahn für Bayern. Sinnvoll wäre aus seiner Sicht, wenn zumindest ein Teil der Güterverkehrsströme östlich an München vorbeigeführt würden - also aus Norddeutschland kommend über Regensburg, Landshut und Mühldorf nach Rosenheim. Um das zu erreichen, müssten diese Schienenwege ebenfalls ausgebaut werden. Allerdings warnt Bayerns oberster Bahner: Um den in Zukunft weiter wachsenden Güterverkehr bewältigen zu können, brauche man beides - den Bypass im Osten und den Ausbau der S-8-Trasse in München.