Freimann:Verkehrte Welt

Meist wehren sich Bürger gegen Zuzug in der Nachbarschaft. In Freimann aber hätten es viele gern, dass sich das neue Quartier an der Freisinger Landstraße auch auf den angrenzenden Golfplatz ausdehnt

Von Julian Raff, Freimann

"Höhere Dichte" steht am Ende des Abends auf einem jener Wunschzettel, die gerne an Stellwände gepinnt werden, wenn sich Bürger vorab zu Neubauprojekten äußern dürfen. Gleich darunter prangt, in anderer Handschrift, ein "Bitte nicht!". Trotzdem wird auch in der mündlichen Diskussion ums künftige Wohnquartier an der Freisinger Landstraße 40-44 weniger um die reine Baumasse gerungen, sondern vor allem um die Qualität. Die zentrale Größenfrage blieb ohnehin außen vor, nachdem die Stadträte im vergangenen Juli dagegen gestimmt hatten, das Baugebiet um die angrenzende Golf-Übungswiese nach Norden zu erweitern, also in etwa zu verdoppeln. Gefordert hatten dies sowohl die Bürgerversammlung, als auch der Bezirksausschuss (BA) Schwabing-Freimann. Letzterer verweigerte übrigens aus anhaltender Verärgerung die offizielle Teilnahme am nun gestarteten Bürgerdialog.

Noch ungewöhnlicher als der Boykott ist, dass die Interessenlage hier quasi kopfsteht: Üblicherweise treten die Bürger und ihre Stadtbezirksvertreter eher auf die Wachstumsbremse. Dass es hier anders läuft, liegt nicht zuletzt am Sportverein Turnerschaft (TS) Jahn. Der würde seinen wenig frequentierten, 4,4 Hektar großen Golf-Übungsplatz gerne verkaufen, um so eine Dreifachturnhalle am Nordende des Vereinsgeländes zu finanzieren. Die Stadtoberen beharren jedoch darauf, die Grünfläche zwar nicht zwangsläufig fürs Golfen, aber doch für sportliche Nutzung zu reservieren - vorerst zumindest.

"Ein Leichtes" dürfte es sein, die Planung nachträglich nach Norden zu erweitern, schätzt Immobilienmanager Jürgen Büllesbach, auch wenn er persönlich den städtischen Standpunkt teilt. Als Geschäftsführer der Bayerischen Hausbau ist Büllesbach Bauherr an der Freisinger Landstraße und spricht zugleich für die Hypovereinsbank (HVB/ Unicredit). Der Bank gehören der Südteil des Baugebiets sowie die östlich angrenzende frühere Liegewiese des Floriansmühlbades. Aus dem seit 28 Jahren versperrten Gelände soll nun eine öffentliche Grünfläche werden.

Auf dem Streifen westlich des Garchinger Mühlbaches plant die Hausbau rund 30 000 Quadratmeter Geschossfläche, aufgeteilt in etwa 350 Wohnungen für 800 Bewohner. Das Quartier bekommt eine Kita mit drei Krippen- und zwei Kindergartengruppen. Geplant sind außerdem Nachbarschaftsläden mit rund 800 Quadratmetern Verkaufsfläche. Die Geschossflächenzahl (GFZ), also die Relation aller Innenflächen zum Baugrund, liegt mit 1,25 im üblichen Rahmen.

Die Option auf dichteres Bauen und mehr Wohnungen sollen die zehn geladenen Büros nun im Rahmen eines Planerwettbewerbes erarbeiten, dessen Ergebnisse im Juli vorliegen werden. Zur erweiterten Aufgabenstellung gehören auch Ideen für den sinnvollen Anschluss an ein eventuelles Nord-Baugebiet. Im Kern geht es aber darum, wie die oben genannte Baumasse am besten über den schmalen Grundstücksstreifen zu verteilen ist.

Ein Problem bleibt: Wie schirmt man die Bewohner vom Lärm der Freisinger Landstraße ab, ohne Riegelbauten vorzusehen, die vom Bürger klar abgelehnt werden? Einfacher gestalten dürfte sich die Verbindung zum östlichen Park über neue Fußgängerbrücken. Über den gewünschten freien Zugang zum darunter fließenden Mühlbach entscheiden am Ende womöglich nicht Planer, sondern Juristen - es drohen Haftungsprobleme. Die Autobahn A 9 braucht hingegen, anders als von Bürgern gemutmaßt, keinen neuen Übergang für Kinder aus dem Neubaugebiet und seiner Umgebung: Diesseits der Autobahn, an der Situlistraße, ist eine neue, fünfzügige Grundschule geplant.

Natürlich zeigte sich längst nicht jeder Anwohner glücklich über den künftigen Zuzug. Kontrovers diskutiert wurde auch, ob die geplante Einkaufsversorgung ausreicht, oder gar übers Ziel hinausschießen könnte, was FDP-Stadtrat Wolfgang Heubisch für möglich hält. Insgesamt aber scheint die aktuelle Planung weniger Stoff für Kontroversen zu bieten als zuvor die Umgriffs-Frage: Der Saal im Freizeittreff füllte sich mit weniger als 60 Teilnehmern kaum zur Hälfte. Abzüglich der Offiziellen, beteiligten sich höchstens 40 Bürger an der Diskussion. Deren ästhetischen Plus- und Minuspol bildeten, wie meist bei solchen Anlässen, hier die Borstei, dort der Arnulfpark. Dass Münchner Neubauprojekte oft eher Letzterem ähneln, liege weniger an der Einfallslosigkeit der Kollegen als vielmehr am Wärmedämmverbundsystem und anderen Sachzwängen, verteidigte Architekturprofessor und Wettbewerbsjuror Franz Pesch seinen Berufsstand.

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