Freimann:Tonnenweise Sprengstoff im Garten: Familie soll 200 000 Euro zahlen

Hausbesitzerin Melitta Meinberger kann es kaum fassen, als ihr die Experten sagen, wie viel die Räumung des Zehn-Tonnen-Munition-Funds in Freimann kosten. Stadt und Freistaat halten sich jeweils für nicht zuständig.

Von Dominik Hutter und Stefan Mühleisen

Der Chef der Sprengtechnik-Firma seufzt. Er blickt in das sorgenvolle Gesicht von Melitta Meinberger und er weiß, was sie gerne hören würde: Alles nicht so schlimm. Genauer gesagt: Alles nicht so teuer. Heinrich Scho ist anzumerken, dass er gerne bessere Nachrichten für die Hausbesitzerin hätte. Doch die Frau verlangt nach einer ehrlichen Einschätzung. Die Summe von 200 000 Euro, die komme schon hin, sagt er. Meinberger schüttelt den Kopf, sie kann es nicht fassen. Immer noch nicht. "Das ist doch der Wahnsinn", sagt sie.

Es ist neun Uhr morgens am Zwergackerweg, einer üblichweise ruhigen Nachkriegssiedlung, nicht weit von Stadtrand und Stadion entfernt. Meinbergers Haus bildet jetzt das Zentrum eines Sperrgebiets: Unterm Garten lagern wohl zehn Tonnen Sprengstoff aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.

Umringt von Nachbarn, Polizisten, Mitarbeitern einer Kampfmittelräumfirma, Vertretern des Kreisverwaltungsreferats (KVR) und Journalisten bekommt Melitta Meinberger an diesem Vormittag am Gartenzaun ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Dass sie mit Kosten von bis zu 200 000 Euro rechnen muss, die ihre Familie qua Gesetz bezahlen muss. "Es ist eine Katastrophe", sagt die 72-Jährige.

Indes ist seit 2012 bekannt, dass unter dem Grundstück an der Ecke Zwergackerweg und Oberer Hausbreite explosive Altlasten lagern. Damals baggerte eine Baufirma das Nachbarareal für einen Neubau auf und stieß auf ein zugeschüttetes Löschbecken mit Kampfmitteln und Munition. Das KVR stellte zu dieser Zeit fest, dass das Becken auch auf das Grundstück der Meinbergers reicht - und dass sie als Eigentümer für einen Teil der Entsorgungskosten aufkommen müssen.

Damals war noch unklar, wie viel Explosives tatsächlich dort lagert. Die Familie versuchte vier Jahre lang, sich juristisch zu wehren. Währenddessen blieb der Sprengstoff im Boden - der Behördenbescheid war wegen aufschiebender Wirkung des Rechtswegs "nicht vollziehbar", wie es aus dem KVR heißt. 2016 gaben die Meinbergers mangels Erfolgsaussichten auf. Sie kamen nicht umhin, eine Räumungsaktion zu organisieren. Heinrich Scho rückte mit seinen Kollegen an.

Der steht nun vor dem Fundort, dem inzwischen völlig umgepflügten Garten der Meinbergers. Er legt dar, dass das ganze Ausmaß der gefährlichen Hinterlassenschaft erst vor einigen Tagen ans Licht kam: eine wesentlich größere Menge als prognostiziert; zudem wird die Bergung viel komplizierter als zunächst angenommen. 25 Meter lang, elf Meter breit und bis zu sechs Meter tief sei das ehemalige Löschwasserbecken, erklärt Scho. Heikel - und folglich auch teuer - ist die Bergung, weil das Fundament von Meinbergers Haus mit dem Becken verbunden ist.

"Wenn wir Pech haben, ist in das Fundament auch Munition einbetoniert", sagt der Kampfmittel-Entsorgungsexperte. Die Folge: Ein Statiker muss aufpassen, dass die Stabilität des gesamten Hauses nicht gefährdet wird. Laut Scho wird zunächst ein Erdwall als Schutzschirm für die Umgebung aufgehäuft. Dahinter tasten sich die Arbeiter mit einem speziellen Betonschneidegerät langsam im Fundament vor.

37 665,88 Euro - für den Abtransport der Erde

So häufen sich immer mehr Kosten an, die Meinberger tragen muss; unter anderem muss während der Arbeit der Fachfirmen stets ein Sanitätswagen bereit stehen. Meinberger muss allerdings nur die Arbeiten direkt vor Ort bezahlen, die Grabungen vor allem. Abtransport und Vernichtung der Kampfmittel übernimmt der Freistaat, der Transport des Kampfmittelräumdienstes kommt zweimal am Tag.

40 Werktage soll die ganze Aktion dauern.

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Entgeistert präsentiert Meinberger ein Schriftstück, es ist eine Kostenrechnung allein für den Abtransport des Erdaushubs. Die Summe: 37 665,88 Euro. Meinberger erzählt, dass ihre Eltern das Haus 1950 bezogen und damals zunächst Pacht an die Bayerische Landessiedlung abführten. Der damalige Staatsbetrieb hatte vom Bund die Verwertung der Grundstücke übernommen. 1960 kauften die Meinbergers das Haus. "Damals hieß es, das Haus ist für Wohnzwecke freigegeben", beteuert sie.

Sie ist ziemlich geladen, was sie auch Alain Langefeld spüren lässt, den zuständigen KVR-Mitarbeiter der Abteilung Allgemeine Gefahrenabwehr. Der beantwortet auf der Straße die Fragen der Journalisten. "Wir haben alles Notwendige getan, doch grundsätzlich ist der Grundstückseigentümer für die Kosten zuständig", sagt er.

Langefeld verspricht: Man wolle der Familie helfen. Es gebe einen Fonds für Härtefälle, den das bayerische Innenministerium vorhalte. Er nennt dabei das Beispiel der Schwabinger Bombe: 2012 hatte die kontrollierte Sprengung eines Blindgängers an der Feilitzschstraße große Schäden verursacht. "So viel ich weiß, sind aber viele bis heute auf ihren Kosten sitzen geblieben", mischt sich Meinberger ins Gespräch ein. Langefeld beteuert: Seine Behörde werde prüfen, ob der Freistaat Geld bereit stellt. Das Innenministerium stellt jedoch am Montag klar: "Es gibt keinen solchen Fonds des Freistaates", sagt ein Sprecher. Über etwaige Entschädigungen müsse die Stadt München entscheiden, "denn die hat den Eingriff angeordnet".

Allerdings: Meinbergers Eltern haben ihr Haus von einem Staatsbetrieb gekauft. Walter Hilger, Vorsitzender der Siedlerschaft Kieferngarten, liegt ein Gutachten aus dem Jahr 1959 vor: Die Bayerische Landessiedlung leitet darin den Kaufpreis pro Quadratmeter ab. Auf 67 380 D-Mark beziffere das Unternehmen in dem Papier den Wert des 72 Hektar großen Gebiets im Münchner Norden, eingerechnet sind 8123 D-Mark "Sprengungs- und Räumkosten". "Damals wie heute versteht die Vorstandsschaft das so, dass das Gelände von Kampfmitteln geräumt wurde", sagt Hilger. Sollte es nicht so sein, dann müsse der Staat für die damaligen Versäumnisse aufkommen. Der aber zeigt sich unbeeindruckt. "Wenn die Eigentümer das Gefühl haben, sie sind übers Ohr gehauen worden, ist das eine zivilrechtliche Frage", sagt der Ministeriumssprecher. Das heißt: Die Meinbergers müssten wohl erneut vor Gericht ziehen.

Die CSU-Fraktion im Stadtrat beantragte am Montag finanzielle Hilfe für die Familie. Bund und Freistaat als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches und damit auch der Wehrmacht dürften die Freimanner Anwohner, die ohne Schuld in eine Notlage geraten seien, nicht im Stich lassen. "Sollten sich die zuständigen Stellen quer stellen, soll die Stadt einspringen", sagt Stadtrat Richard Quaas. Das sei man den eigenen Bürgern schuldig.

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