Freimann:Leben extrem

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Ein Taliban demütigt einen jungen Mann - in "Die letzte Karawanserei". (Foto: Jean-MarcTurmes)

Mini-Dramen im Metropoltheater

Von Barbara Hordych, Freimann

Eine Mutter drängt ihre vierzehnjährige Tochter zur Prostitution, um das Schleusergeld für die Flucht nach Europa zusammenzubekommen; eine Tschetschenin hat heimlich lesen gelernt, will sich der Enge des Dorfes entziehen und in den Westen fliehen; muslimische Sittenwächter treten hinter einer Gazewand hervor, um ein Liebespaar zu bestrafen, während der Imam zahlreiche Verbote mit einem Megafon verkündet. Und schließlich ist da das Geschwisterpaar, das von einem elenden Auffanglager aus den Vater daheim anruft: Der hat seine ganze Habe weggegeben, damit Sohn und Tochter anderswo ein neues Leben anfangen können. Was bleibt ihnen also anderes übrig, als von den Sehenswürdigkeiten in Paris zu schwärmen und den Ausblick aus ihrer großen Wohnung direkt auf die Champs-Élysées zu loben?

Diese und andere Mini-Dramen bringt Jochen Schölch in seinem Metropoltheater auf die Bühne, bedrückend, beklemmend, ein ums andere Mal berührend. Als Vorlage diente ihm das Stück "Die letzte Karawanserei" der großen französischen Theaterfrau Ariane Mnouchkine, Mitbegründerin und Leiterin des Théâtre du Soleil. Die mittlerweile 77-jährige führte zwischen 2001 und 2003 Interviews mit 400 Flüchtlingen und Asylsuchenden zwischen Frankreich und Zentralasien, komponierte daraus ein dokumentarisches Werk, das Schölch wiederum als deutsche Erstaufführung mit einem zehnköpfigen Ensemble auf die Bühne an der Floriansmühle bringt. Dass Schölch als Meister der szenischen Miniatur gelten mag, hat er im Metropoltheater schon öfters unter Beweis gestellt. Dieses Mal zeigt er aber auch, dass er eben so gut das technisch aufwendige Spektakel beherrscht: Gleich in der ersten Szene wird auf einen halbtransparenten Vorhang ein wild schäumender Fluss projiziert, der verzweifelt auf einem Floß dahintreibende Menschen zu verschlingen droht. Wer nicht in die Fluten stürzt, läuft Gefahr, vom anderen Ufer aus beschossen zu werden.

Mit der neuen Produktion "Die letzte Karawanserei" nimmt sich das Metropoltheater einem der momentan politisch und humanitär drängendsten Themen an - und schafft es, in exemplarischen Episoden den häufig als diffuse Masse empfundenen Flüchtenden individuelle Gesichter zu verleihen.

Die letzte Karawanserei, Sa., 2. Juli, 20 Uhr, So., 3. Juli, 19 Uhr, Metropol, Floriansmühlstraße 5

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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