Freimann:Klotz zwischen Klötzchen

In der Siedlung am Blütenring ist ein Wohnheim für 130 Studenten geplant. Anwohner sehen ihre fast ländliche Idylle gefährdet, Bezirksausschuss und Bauherr sprechen von Bereicherung und guter Nachbarschaft

Von Stefan Mühleisen, Freimann

Die Siedlung am Blütenring ist ein idyllischer Flecken im Stadtviertel Freimann, einem mit beschaulichen Quartieren nicht eben reich gesegneten Teil der Stadt. Der Bezirk am nördlichen Stadtrand ist in weiten Teilen von Gewerbebetrieben geprägt; doch es gibt heimelige Inseln: In der Siedlung am Blütenring schmiegen sich schmucke Einfamilienhäuser an die Isarauen. Seit Jahrzehnten leben die Menschen hier in trauter Nachbarschaft mit einer Wohnanlage für Behinderte, dem Spengelhof, sowie mit Studenten eines evangelischen Studienkollegs. Doch seit Kurzem herrscht Eiszeit zwischen den Menschen in den Eigenheimen und dem Eigentümer des Spengelhof-Grundstücks, dem Evangelischen Waisenhausverein. "Wir fühlen uns überrannt", sagt Monika Classen.

Die 50-jährige Architektin wohnt mit ihrer Familie am Maiglöckchenweg und wehrt sich mit etwa einem Dutzend Anwohnern gegen ein Bauprojekt des Vereins. Der will, in Sichtweite der Classens, an der Nordseite des zweieinhalb Hektar großen Grundstücks einen Gebäuderiegel errichten, ein Wohnheim für etwa 130 Studenten. Unlängst lud der Waisenhausverein zu einer Infoveranstaltung über diese Pläne. Einige der Besucher sollen ziemlich erzürnt gewesen sein, hört man. "Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt", formuliert es Monika Classen. Vor den Kopf gestoßen fühlten sie und ihre Nachbarn sich. "Es ist klar, dass wir keinen Anspruch auf unsere wunderbare Idylle haben. Aber ein so großes Studentenwohnheim in einer reinen Wohngegend ist nicht angemessen."

Freimann: Der Bezirksausschuss findet, das Wohnheim in L-Form füge sich gut in die Siedlung am Blütenring ein.

Der Bezirksausschuss findet, das Wohnheim in L-Form füge sich gut in die Siedlung am Blütenring ein.

(Foto: Hirner und Riehl Architekten)

Die Auseinandersetzung erinnert an den Aufstand der Bürger in den Gartenstadt-Vierteln. Diese, meist ebenfalls Hauseigentümer, wehren sich gegen die grassierende Nachverdichtung in ihrem Umfeld, gegen den Einzug der Klötze in die Kleinhäusler-Siedlungen. "Die geplante Bebauung (...) passt sich im Habitus nicht der kleinteiligen Umgebungsbebauung an und zerstört somit das fast ländliche Gefüge dieses idyllischen Wohngebietes, das in München nahezu einzigartig ist", schreiben Monika und Stefan Classen im Namen von Nachbarn in einem Brief an die Lokalbaukommission. Wie in vielen Fällen in den Gartenstädten, so sehen auch die Freimanner den Paragrafen 34 des Baugesetzbuches nicht erfüllt, wonach sich Neubauten "in die Eigenart der näheren Umgebung" einfügen sollen.

Als "Gummiparagraf" wird dieser Gesetzespassus von Kritikern oft bezeichnet, weil er der Behörde Ermessensspielraum einräumt. Eine Rolle spielt dabei oft die Politik im Stadtviertel - doch die hat kein Problem mit dem Projekt, im Gegenteil. "Wir haben begeistert zugestimmt", sagt der Bezirksausschuss-Vorsitzende Werner Lederer-Piloty (SPD). Man sei sehr angetan von dem Entwurf, auch was Höhe und Dichte anbelangt. "Das fügt sich ein. Überdies braucht eine Universitätsstadt dringend Studentenwohnheime. Es könnte eine Bereicherung für das Viertel sein."

Freimann: Anwohner aus der Maiglöckchenstraße sind entsetzt über das geplante Wohnheim.

Anwohner aus der Maiglöckchenstraße sind entsetzt über das geplante Wohnheim.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Anwohner sehen dagegen die derzeit lockere Bebauung des 25 000 Quadratmeter großen Grundstücks als Bereicherung: Den Nordteil nehmen ein Sportplatz mit Wiesenflächen sowie buschige Baumreihen ein. Es gibt zwei Längsgebäude zur Sondermeierstraße hin, im Süden reihen sich kleinere Gebäude aneinander. Der eine Teil des Komplexes ist an die Heilpädagogische Tagesstätte Augustinum (HPCA) vermietet, die dort geistig und körperlich Behinderten eine Wohn- und Arbeitsstätte bietet. Den Rest nutzt die Evangelische Landeskirche als Studienkolleg mit Wohnheim für derzeit 55 Studenten.

Allerdings ist der Brandschutz in den Bestandshäusern veraltet, schon seit Langem trägt sich der gemeinnützige Verein mit Umbau- und Erweiterungsplänen, für die nun die Finanzierung und das realisierbare Konzept stehen. Man habe 2015 "im Benehmen mit dem Bayerischen Innenministerium" umgeplant, auch um die 172 Bäume auf dem Gelände zu erhalten, vor allem aber, "um den enormen Bedarf an Studentenwohnungen in München decken zu helfen", sagt der Vorstandssprecher des Waisenhausvereins, Wolfgang Döbrich.

Aus den einst vorgesehenen sieben einstöckigen Häusern soll nun ein dreistöckiger, L-förmiger Block entlang der Maiglöckchenstraße werden, der Platz bietet für 130 Studenten, Eltern-Kind-Einheiten und barrierefreie Apartments für Rollstuhlfahrer. Die Eröffnung ist für Ende 2019 geplant. "Wir verstehen die Ängste der Nachbarn", sagt Döbrich, Studenten hielten sich nicht immer an Ruhezeiten. Doch er betont die Bemühungen um eine verträgliche Lösung. So sollen ein Security-Dienst engagiert, schalldichte Fenster verbaut werden. "Wir schaffen die Voraussetzungen für ein gutes nachbarschaftliches Miteinander", sagt Döbrich und weist darauf hin, dass die neue Cafeteria öffentlich zugänglich sein wird - und Nachbarn als Gäste ausdrücklich erwünscht seien.

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