Freimann:Das Ringen um eine humanitäre Lösung

Regierungspräsident Christoph Hillenbrand erklärt in der Anwohnerversammlung im Euroindustriepark zwei Stunden lang engagiert, warum es so wichtig ist, das neue Ankunftszentrum für Flüchtlinge zu bauen

Von Stefan Mühleisen, Freimann

Die Stimmung kippt, als der Mann im mittleren Alter zum zweiten Mal zum Mikro greift und das mit den Autoaufbrüchen sagt. Zuvor waren die gut 50 Besucher der Anwohnerversammlung zum neuen Ankunftszentrum für Flüchtlings im Euroindustriepark noch still geblieben, auch als zwei Frauen ihre Abneigung gegen die Präsenz von "Dunkelhäutigen" in ihrer Nachbarschaft durchblicken ließen.

Doch jetzt geht ein Grummeln durch den Gemeindesaal der Allerheiligenkirche. Er sorge sich um die Sicherheitslage, sagt der Mann im weißen Hemd. An der Bayernkaserne sei es laut Polizei durchaus zu Autoaufbrüchen gekommen. "Sie wissen doch gar nicht, ob das Asylbewerber waren. Es ist unlauter, Kfz-Aufbrüche automatisch diesen Menschen zuzuschreiben", entgegnet ein leitender Beamter der Polizeiinspektion Milbertshofen. Die Besucher applaudieren laut und lang.

Es wird klar: Die Mehrheit der Freimanner Bürger steht dem neuen Ankunftszentrum aufgeschlossen gegenüber - und sie glauben den Beteuerungen von Regierungspräsident Christoph Hillenbrand, wie prekär die Lage und wie wichtig diese Einrichtung sei. Der Chef der Bezirksregierung ist an diesem Abend mit seinem Stab gekommen. Das Thema ist ihm wichtig, und es geht ihm nahe, das wurde schon beim Pressegespräch am Nachmittag deutlich. "Ich und meine Mitarbeiter, wir nehmen das mit in den Schlaf und wachen damit auf." Er meint damit: Die Behörde weiß nicht, ob am nächsten Tag 300, 400 oder noch mehr Menschen aus Krisengebieten eintreffen, bisher noch im Ankunftszentrum an der Baierbrunner Straße.

Dort werden sie registriert, einer ersten medizinischen Untersuchung unterzogen und dann auf Erstaufnahmeeinrichtungen in andere Bundesländer oder Regierungsbezirke verteilt. Die Hälfte der Ankommenden bleibt zunächst in München. Doch der alte Siemens-Bau an der Baierbrunner Straße ist viel zu klein und obendrein marode. Der Flüchtlingsrat sprach zeitweilig von "eklatanten Missständen".

Hillenbrand beteuert vor den Besuchern in der Allerheiligenkirche: "Wir wussten, es ist eine Übergangslösung." Aber alle Alternativobjekte hätten sich als ungeeignet erwiesen. Hillenbrand legt dar, wie erleichtert er war, als die Stadt die Schotterfläche im Euroindustriepark zwischen Carglass- und Mömax-Filiale anbot, eine knapp 6000 Quadratmeter große Gewerbebrache. Dort entsteht nun auf 1900 Quadratmeter Nutzfläche eine weitere Übergangslösung: In Leichtbauhallen und Modulcontainern steht viermal mehr Platz zur Verfügung als an der Baierbrunner Straße, ein Festbau soll in zwei Jahren entstehen. Zudem wird ein Gebäude an der Lotte-Branz-Straße 2 zum Bettenhaus mit 600 Plätzen umgestaltet; die Asylsuchenden sollen hier höchstens 24 Stunden verweilen. "Sie können davon ausgehen, dass es im weiteren Umfeld kaum eine Präsenz von Asylsuchenden geben wird", sagt Hillenbrand.

Ein paar Bürger - die meisten aus der Siedlung Kaltherberge, die nördlich an den Euroindustriepark angrenzt -, äußern jedoch offen ihr Misstrauen. "Ich glaube nicht, dass das so reibungslos ablaufen wird", sagt eine ältere Frau. Vor der Bayernkaserne seien schließlich auch "viele "Dunkelhäutige zu sehen". Ihre Sitznachbarin sagt erregt: "Wir können doch nicht unendlich viele aufnehmen." Ein junger, stämmiger Mann beschwert sich in aggressivem Ton, dass es zu viele Flüchtlingseinrichtungen im Münchner Norden gebe. "Auf 1,1 Prozent der Fläche Münchens kommen 58 Prozent der Flüchtlinge hin. Das ist nicht verhältnismäßig." Der Mann im weißen Hemd bezeichnet das Ankunftszentrum als "Internierungslager". Hillenbrand ringt um Fassung, bleibt aber gelassen. "Das ist eine Kurzzeitaufnahme, kein Internierungslager", sagt er. Das Ende des Satzes geht im Applaus unter. Der Regierungspräsident wirbt zwei Stunden lang für das Projekt, beschreibt mit nahezu beschwörenden Worten die Situation. Den Bedenkenträgern hält er entgegen: München zählte im Juni 8540 Neuzugänge, "ein historischer Höchststand". Seine Behörde müsse täglich eine humanitäre Lösung für diese Menschen finden. "Und wir wollen dem Bedarf besser gerecht werden als in der Baierbrunner Straße."

Die Argumente ziehen bei den meisten. "Wo sollen wir sie denn lassen", fragt eine Frau in Richtung der Kaltherberge-Siedler. "Die Leute haben andere Sorgen, als vor die Türe zu gehen und etwas anzustellen", stellt eine Frau klar, die sich als Leiterin der Kleiderkammer an der Baierbrunner Straße vorstellt. Dafür gibt es ebenso Applaus wie für die Worte des Bezirksausschussvorsitzenden Werner Lederer-Piloty (SPD): "Es ist verständlich, dass es keinen Begeisterungssturm gibt. Nicht aber diese Phobie und offenbar tief sitzenden Vorurteile. Sie sollten diesen Menschen ein herzliches Grüß Gott zurufen."

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