Fraunhofer Schoppenstube:Auf der Reeperbahn

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Schunkeln, singen, selig sein: In der Fraunhofer Schoppenstube stürzt Wirtin Gerti jede Nacht mit ihren Gästen gemeinsam ab. Selbst Schwaben und Norddeutsche werde so zu Einheimischen und Teil einer großen Revue.

Thomas Anlauf

Ach du heiliger Hans Albers: Jetzt auch noch singen. Und Gerti meint es ernst. An jedes der voll besetzten Tischchen in der schummrigen Kneipe verteilt sie Liedtexte - eingeschweißt, falls einer beim Schunkeln mit dem Bier kleckert. Die Kerzen flackern gemütlich, die Stimmung steht auf Samstagabend. Es ist nachts um halb elf in der Fraunhofer Schoppenstube. Die Show kann beginnen.

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Schunkeln, singen, selig sein - in der Fraunhofer Schoppenstube werden selbst Schwaben und Norddeutsche zu Einheimischen und Teil einer großen Revue.

"Siiilentium", ruft die Gerti in die Runde und klingelt mit der Schiffsglocke. "Nicht mehr ratschen - jetzt werd g'sunga." Ein paar Dutzend erwachsene Menschen, die sich eben noch nicht kannten, heben auf Kommando ihre Stimme. Singen mit Werner Guhl den Gassenhauer "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins". Die Situation ist etwas grotesk. Denn Werner, der singende Wirt mit dem Akkordeon, ist tot. Die Stimme kommt vom Band.

Im März vor vier Jahren ist Gertis Mann gestorben, die Erinnerung an ihn hält sie gemeinsam mit ihren Gästen aufrecht. Auch wenn es oft zunächst Wildfremde sind: der Christian aus Trostberg zum Beispiel, der in der Schoppenstube an der Fraunhoferstraße seinen Junggesellenabschied feiert - in Leichtmatrosenkluft. Oder die jungen Schwäbinnen, die vergeblich flunkern, dass sie aus München kommen. Eigentlich bekommt hier nur einen Schnaps spendiert, wer glaubhaft versichert, er ist aus der Landeshauptstadt. Aber in dieser Nacht ist die Gerti, die selbst ja auch in Germering lebt, wieder einmal großzügig: Obstler für alle, und für Arancho aus Schwabing gibt's eine Wurst. Schließlich muss sich der struppige Mischlingsrüde in dieser Nacht noch einiges anhören. "Mein kleiner grüner Kaktus", "Kriminaltango", "Griechischer Wein" - und alle grölen mit. Weil Gerti es so will, seit Jahr und Tag.

Fast vierzig Jahre lang steht Gertrud Guhl hier in dem kleinen, von außen unscheinbaren Lokal nahe der Isar. Es ist kaum zu glauben, vor kurzem wurde diese mit Energie vollgepackte Frau 64 Jahre alt. Schon mit 14 Jahren hat sie in der Gastronomie gearbeitet, sie ist Wirtin mit Leib und Seele. Sie und ihr Mann Werner, dem sie 1965 zum ersten Mal das Jawort auf den Stufen des Gärtnerplatztheaters gab und nach der Scheidung drei Jahrzehnte später wieder, waren ein unschlagbares Wirteteam. Die Gerti machte die Einheizerin mit ihrem herzlichen, aber auch vom langen Leben im Lokal herb gewordenen Charme. Und der Werner spielte dazu, auf dem alten Akkordeon oder der Heimorgel. Und die Leute sangen.

Das tun sie auch heute noch, oft bis der Tag graut. Nur eben mit Werners Stimme vom Band. Der musikalische Marathon wird von Gerti und ihren "drei blonden Engeln" hinterm und vor dem Tresen wie eine Revue inszeniert - und die Gäste sind die Hauptakteure. Beim "Kriminaltango" etwa: Als alle singen, "und in die Spannung, da fällt ein Schuss!", lässt Gerti direkt neben einem Ohr einen Ballon platzen. Aber Gerti Guhl fordert von ihrem aktiven Publikum nicht nur alles ab, sie umsorgt es auch. Mitten in der Nacht gibt es schon mal frischen Schweinsbraten, Gulaschsuppe oder Fleischpflanzerl, was die nächtliche Küche eben so hergibt.

Aber irgendwann ist auch hier die Nacht zu Ende. Und dann steht man etwas heiser draußen vor der Tür, mit der hellen Stimme des toten Werner im Ohr und einem Lied auf den Lippen: "Auf der..." Aber nein, hier draußen wäre es dann doch irgendwie peinlich: auf der Fraunhofer nachts um halb fünf.

Am Montag, 4. Juli, wiederholt das Bayerische Fernsehen in der Reihe "Lebenslinien" das Filmporträt über Gerti und Werner Guhl und die Fraunhofer Schoppenstube. Der Münchner Filmemacher Peter Goedel drehte seit 2003 in dem Lokal, die Dokumentation wurde erstmals 2009 ausgestrahlt. Das BR zeigt den 45-minütigen Film um 21.45 Uhr.

© SZ vom 02.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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