Frauen-Porträts:Eine Taube trotzt den Taliban

Nahid Shahalimi floh als Kind aus Afghanistan nach Kanada. Heute lebt sie als Autorin, Künstlerin und humanitäre Aktivistin in München. Nun stellt sie ihr neues Buch über afghanische Frauen vor, die ihren Mut gegen die Verzweiflung in ihrem Land setzen

Von Martina Scherf

Da ist Hanifa, Skateboard-Trainerin in Kabul. Da ist Shaima, Pilotin der Luftwaffe. Da ist Shamsia, Kunstdozentin der Universität, die unter Lebensgefahr bunte Graffiti auf Ruinen sprüht. Und da ist Negin, die erste Dirigentin Afghanistans, die sagt: "Wir sind nicht so vorsintflutlich, wie es in den internationalen Medien dargestellt wird. Wir sind Friedensbotschafter." Vier Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen von Krieg und Männerherrschaft. Die für ihre Freiheit kämpfen und die aller Frauen in ihrem Land. Nahid Shahalimi hat sie besucht, oft unter Lebensgefahr. Ihre Interviews, Fotos und Porträts hat sie jetzt in einem berührenden Buch veröffentlicht: "Wo Mut die Seele trägt".

"Die 20 Frauen in meinem Buch sind bewundernswert, sie sind Vorbilder für so viele andere, aber sie sind längst keine Ausnahmen mehr", sagt Nahid Shahalimi, 43. "Warum hören wir nichts von diesen Menschen? Warum wird immer nur Negatives berichtet?", fragt sie und klappt ihr Laptop auf. Sie sitzt an dem langen Holztisch im Münchner Elisabeth-Sandmann-Verlag, die Lesereise muss geplant werden. Das Buch, kaum auf dem Markt, hat viel Aufmerksamkeit erzielt, und auch aus Afghanistan erhält sie täglich Mails und Facebook-Nachrichten, von weiteren Frauen, die beharrlich daran arbeiten, ihr Land zu verbessern und ihren Träumen zu folgen.

Frauen-Porträts: Nahid Shahalimi.

Nahid Shahalimi.

(Foto: Mila Pairan Photography/Elisabeth Sandmann Verlag)

Shahalimi stammt selbst aus Afghanistan, seit vielen Jahren lebt und arbeitet sie als Künstlerin und Autorin in München. Mehrmals im Jahr reist sie in ihre vom Krieg gezeichnete Heimat. Sie will denen eine Stimme geben, die zu wenig gehört werden. Dafür nimmt sie viele Risiken in Kauf.

Attentate und Entführungen sind in Afghanistan an der Tagesordnung. "Sie verstecken die Bomben in Kinderwagen oder kleben sie im Vorbeifahren an ein parkendes Auto", erzählt sie. Wenn die Münchnerin am Flughafen in Kabul ankommt, wartet daher ein gepanzerter Range Rover auf sie. Sie trägt Schleier und schläft jede Nacht woanders, weiht nur engste Vertraute in ihre Pläne ein, ändert oft spontan die Fahrtroute. Jeder Fehler kann tödlich sein, in einem Land, in dem eine Frau schon ihr Leben riskiert, wenn sie Fitness betreibt.

"Vor zwei Jahren kehrte eine Afghanin aus den USA zurück", erzählt Shahalimi, "und wurde auf offener Straße von einem Mullah erschossen - weil sie Sport machte! Das war seine Begründung." Sport ist für Shahalimi ein wichtiges Thema, "wer Sport macht, fühlt sich stark und frei", sagt die ehemalige Beachvolleyball-Spielerin. Vielleicht werden Frauen in Afghanistan deshalb oft angespuckt auf dem Weg zum Training. "Trotzdem gehen sie jeden Tag raus und wissen nicht, ob sie abends zurückkommen - und sie werden immer mehr." Ihr Kampf beginnt oft schon zu Hause, beim Ehemann, Vater oder Bruder. Aber es gebe eben auch Männer, die sie trainieren und unterstützen. Shahalimi bringt ihnen Volleybälle, Basketbälle, Handbälle und Trikots mit. "Ja, es gibt Gewalt und Unterdrückung in Afghanistan", sagt die Autorin, "aber auch sehr viel Hoffnung." Davon will sie erzählen, denn Hoffnung steckt an, genauso wie Angst.

Frauen-Porträts: Commander Kaftar, genannt "Die Taube", befehligt eine Truppe von Männern.

Commander Kaftar, genannt "Die Taube", befehligt eine Truppe von Männern.

(Foto: privat/Elisabeth Sandmann Verlag)

Natürlich haben die Menschen auch Angst. "Die Frage ist doch, wie man damit umgeht", sagt Shahalimi. Maryam Durani, die ein Internet-Café und einen Radiosender für Frauen in Kandahar betreibt, einer Hochburg der Taliban, hat schon mehrere Anschläge überlebt. Mit Kugeln im Bauch. Aber sie macht weiter. Und als sie einmal eine Sendung über Zwangsheirat ausstrahlte, rief ein Vater an und weinte am Telefon, erzählt Shahalimi. "Er hat ihr gesagt, dass er seinen Töchtern das nicht antun wolle." Das sind die Zeichen der Hoffnung.

Nicht jeder sei mit solchen Leadership-Qualitäten geboren, sagt Shahalimi. Aber die enorme Gefahr setze auch enorme Kräfte frei. In den Bergen im Norden von Afghanistan hat sie "Commander Kaftar" getroffen, eine ganz und gar ungewöhnliche Frau. Ungebeugt, mit ihren mehr als 70 Jahren, blickte sie ruhig und selbstsicher in Shahalimis Kamera. Die Tochter eines Stammesführers, "Taube" genannt, befehligt eine Truppe von Männern. Sie hat schon gegen die Sowjets gekämpft und trotzt jetzt den Taliban. "Sie hat vor rein gar nichts Angst", erzählt Shahalimi voller Bewunderung.

Frauen-Porträts: Shamsia Hassani sprüht ihre Träume auf Ruinen.

Shamsia Hassani sprüht ihre Träume auf Ruinen.

(Foto: privat/Elisabeth Sandmann Verlag)

Und sie selbst? Hat sie keine Angst in Afghanistan? Sie, die im sicheren Ausland aufgewachsen ist? Die es gewohnt ist, auf Charity-Events mit Promis Champagner zu trinken, in New York oder auf dem Münchner Oktoberfest? Denn das ist die andere Seite der Nahid Shahalimi: Sie wirbt, wo immer sie kann, um Unterstützung für ihre Projekte. Im Büro von DFB-Manager Oliver Bierhoff hat sie acht Monate lang angerufen, bevor er zurückrief. Sie wollte vor der Fußball-Europameisterschaft Porträts der ganzen Nationalmannschaft malen. Sie hat es geschafft. Die Bilder wurden für ihre Hilfsprojekte verkauft. "Ich lasse da nicht locker", sagt sie und lacht.

Also, wie geht sie mit dem Risiko um? "Es wäre gelogen, zu sagen, ich habe gar keine Angst", gibt sie zu. "Aber wer mit Angst lebt, lebt gar nicht." Sie sei privilegiert, könne sich schützen. Das sei sie ihren beiden Töchtern, die zu Hause auf sie warteten, schuldig.

Als Nahid Shahalimi selbst ein Kind war, lebte sie in Kabul in einem Palast mit 37 Zimmern und einem herrlichen Park. Es waren die goldenen Zeiten Afghanistans, Ziel vieler Reisender aus dem Westen, die Religionen lebten friedlich nebeneinander. Die Shahalimis zählten zu den angesehensten und reichsten Familien des Landes. Der Vater war Minister und Botschafter. Dann kam der Einmarsch der Sowjets 1979, das Land versank im Bürgerkrieg. Die Amerikaner unterstützten die islamistischen Widerstandskämpfer, aus denen später die Taliban hervorgingen.

Frauen-Porträts: Shaima Noori ist Pilotin der Luftwaffe.

Shaima Noori ist Pilotin der Luftwaffe.

(Foto: privat/Elisabeth Sandmann Verlag)

"Mein Vater war ein weiser alter Mann", sagt Shahalimi, "er gab uns Töchtern nie das Gefühl, dass wir weniger wert seien." Abdul Hakim Shahalimi starb 1981, da war Nahid acht. Ohne Mann hatten die Frauen der Familie keinen Beschützer, ein Großteil des Vermögens war konfisziert, die Cousins erhoben Anspruch auf den Rest. Vier Jahre später verließ die Mutter mit ihren Mädchen in einer Nacht- und Nebelaktion mithilfe von Schleusern das Land. Zu Fuß gingen sie nach Pakistan und von dort ein Jahr später zu Verwandten nach Kanada. Nahid hat in Montreal Politik und Kunst studiert, bevor sie 2000 nach München zog und noch einmal von vorn anfing.

In verschiedenen Kulturen leben zu können, ist eines der größten Privilegien überhaupt", sagt sie mit ihrem leichten englischen Akzent. Sie sei Kosmopolitin, aber ihr Herz schlage für Afghanistan. Im Mai fliegt sie wieder hin. Sie will ein Programm ins Leben rufen, "wie heißt das auf Deutsch? Moment, ich hab's: Befähigungsprogramm", sagt sie, für Führungskräfte, die ihr Know-how dann weitergeben. Außerdem entsteht aus dem Buch ein Dokumentarfilm. Und viele weitere mutige Frauen warten schon auf ihren Besuch. "Das Land kann man nur gemeinsam mit den Menschen aufbauen", sagt Shahalimi. Man brauche Geduld. "Es ist gerade mal 15 Jahre her, dass die Taliban Frauen verboten haben, allein auf die Straße zu gehen. Wir dürfen nicht zu viel erwarten von dem Land."

Am Montag, 27. März, 20 Uhr, stellt Nahid Shahalimi ihr Buch im Münchner Literaturhaus vor.

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