Frauen in der Wissenschaft:Frau Doktors Karriereknick

Bis zur Promotion ist an den Unis alles gleichberechtigt, danach tut sich eine Kluft auf. Denn die Arbeitsbedingungen für Forscherinnen sind oft nicht familienfreundlich

Von Jakob Wetzel

Die wissenschaftliche Laufbahn von Pia Horn begann eigentlich vielversprechend: Sie machte ein hervorragendes Abitur, studierte rasch, schrieb eine preisgekrönte Abschlussarbeit. Dann wollte sie forschen, nicht an irgendetwas, sondern an dem, was sie wirklich interessierte. Daher kümmerte sie sich selbst um das nötige Geld: Sie warb Fördermittel des Bundes ein, finanzierte sich auf diese Weise selbst eine Stelle, um zu promovieren, also ihren Doktortitel zu machen. Wenig später erhielt sie die Zusage für ein weiteres Forschungsprojekt, alles war auf einem guten Weg. Doch kurz darauf wurde sie schwanger. "Und dann wurde es aus verschiedenen Gründen schwierig", sagt sie. So schwierig, dass sie heute nicht mehr recht an eine Karriere in der Forschung glaubt. "Und das ist schade, weil ich glaube, dass ich darin gut wäre."

Pia Horn arbeitet als Wissenschaftlerin an einer der beiden großen Münchner Universitäten. Sie ist eine von 5310 Frauen in deren akademischem Mittelbau. Woran sie forscht und wo, das will sie nicht in der Zeitung lesen, auch ihr Name lautet in Wahrheit anders. Sie will sich nicht namentlich gegen ein System stellen, auf das sie angewiesen ist. Aber sie will doch erzählen, mit welchen Hindernissen sie zu kämpfen hat und warum sie sich fühlt, als hätte sie sich etwas verbaut.

Es begann mit ihrem Forschungsprojekt, das sich nicht unterbrechen ließ, das Fördergeld war an Fristen gekoppelt. Deshalb stand Horn ein halbes Jahr nach der Entbindung wieder in der Universität, ihr Partner blieb daheim beim Kind. Zum Stillen brachte er es zu ihr ins Büro oder sie vereinbarten Treffen in der Nähe, es war ein Hin und Her. Horn erzählt auch von ihrem zweiten Projekt: Dazu hätte sie verreisen müssen, konnte aber nicht, sie war hochschwanger. Daher fuhr ein Kollege, jetzt koordiniert er das Projekt, in der Publikation wird er der Erstautor sein, also in der Reihe der Verfasser an erster Stelle genannt werden. "Erstautor sein, ist unsere Währung", sagt Horn: Wer vorne stehe, gelte als federführender Autor und erhalte die Aufmerksamkeit. Sie wird weiter hinten stehen, als hätte sie nur zugearbeitet. Dabei hat sie das Projekt angeschoben.

Horn erzählt auch von einem Kongress, zu dem sie nicht fahren konnte, und von einem Anruf des Bundesministeriums: Ob sie auf einer Tagung sprechen wolle? Horn musste erneut absagen, ein Kollege übernahm. Heute erhält dieser weitere Anfragen, sie nicht. Doch Horn erzählt auch vom Alltag am Lehrstuhl. Auf den will sie zwar nichts kommen lassen, verständnisvoll gehe es da zu und flexibel, sagt sie. Doktorandenseminare aber seien stets abends, das sei für die Kollegen ideal, nur für sie schwierig. "Die anderen verstehen das nicht immer, die wenigsten haben Kinder." Deshalb schlage ihr hier vor allem ein Gefühl entgegen: Selber schuld. "Das läuft nach dem Motto: Warum bindest du dir das Problem auch ans Bein?"

Was Pia Horn erzählt, wird sie nicht an der Promotion hindern, aber es wird ins Gewicht fallen, wenn sie habilitiert werden will, wenn sie auffallen muss, um auf eine Professur berufen zu werden. Und es zeigt, wie wenig Rücksicht die Wissenschaft, in der es für den Nachwuchs ohnehin kaum Sicherheiten gibt, auf Frauen und besonders auf junge Mütter nimmt. Und die Folgen all dessen sind messbar. An der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und an der Technischen Universität (TU) München etwa waren zum Wintersemester 2014/2015 knapp 88 000 Studenten eingeschrieben, etwa 48 Prozent von ihnen waren Frauen. Bei den Studienabschlüssen bis hin zur Promotion war das Geschlechterverhältnis noch ähnlich: 2440 Doktoranden wurden im vergangenen Jahr promoviert, 49 Prozent von ihnen Frauen. Im akademischen Mittelbau lag der Frauenanteil immerhin bei knapp 46 Prozent. Doch unter den 152 Habilitanden gab es nur noch insgesamt 49 Frauen, das ist weniger als ein Drittel. Und die Professorenkollegien sind in Männerhand. Ende 2014 lehrten an LMU und TU 998 Professoren und 226 Professorinnen, das ergibt einen Frauenanteil von gut 18 Prozent.

München ist dabei kein Sonderfall. Das Problem ist ein deutsches. Laut Studien der EU-Kommission ist es für Frauen in wenigen Staaten der Europäischen Union so schwer wie in Deutschland, in der Wissenschaft Karriere zu machen. Kaum ein anderer Staat leistet es sich also, derart viel Potenzial nicht zu nutzen. Und in Deutschland hinkt wiederum der Freistaat Bayern hinterher: Eine Studie des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften führt ihn, was Gleichstellung in der Wissenschaft angeht, auf dem vorletzten Platz, unterboten nur von Thüringen.

Die Zahlen zeigen: Die Kluft zwischen Männern und Frauen öffnet sich nach der Promotion. Was da geschieht, erzählt Inge Rust. Auch sie möchte ihren wirklichen Namen nicht veröffentlicht sehen; nur so viel: Sie hat promoviert, sie hat Kinder und arbeitet jetzt an einer der beiden großen Universitäten Münchens an ihrer Habilitation. Ihre Kinder behinderten sie dabei nicht, sagt sie vorweg: Sie wolle keine Ausreden suchen. Wenn sie es an der Uni nicht schaffe, sei sie eben nicht gut genug. Die Kinder hätten sie eher gestärkt: Sie habe gelernt, strukturierter zu arbeiten und die wenige Zeit, die ihr für die Forschung bleibt, effektiv zu nutzen.

Im Bekanntenkreis aber erlebt sie immer wieder, wie weibliche Karrieren knicken. Wenn Forscherinnen vor der Habilitation stehen, sind sie meist zwischen 30 und 40 Jahre alt. In diesem Alter drängt erst der Kinderwunsch, dann die Frage: Wer kümmert sich? Die Frau macht den Anfang, sie ist schließlich schwanger, er arbeitet weiter. "Und wenn es dann darum geht, wann die Frau zurückkehrt, wie das Leben organisiert wird, dann ist es eben oft so, dass der Mann bereits mehr Geld verdient. Der Wiedereinstieg in die Wissenschaft aber ist schwer. Und dann ist es ein Selbstläufer. Ich klage das nicht an. Es ist einfach so."

Margit Weber fordert deshalb eine Quote. Sie ist Universitätsfrauenbeauftragte der LMU und Sprecherin der Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten an bayerischen Hochschulen. Weber hat ein ganzes Bündel von Ideen und Forderungen, und dabei geht es vor allem um mehr Mitsprache, um Geld für finanzielle Anreize und um einen Bewusstseinswandel. Viele Professoren hätten noch immer Vorbehalte, Frauen seien weniger leistungsfähig als Männer oder würden eben bestimmt bald schwanger - und vielen fehle dann die Bereitschaft, vernünftig mit einer schwangeren Mitarbeiterin zu planen, ob aus Zeitmangel oder aus Desinteresse, sagt Weber. "Dabei sind sie ja nicht nur für Lehre und Forschung da, sondern auch für die Ausbildung, das heißt: für die Nachwuchsförderung." Ein neues Bewusstsein aber entwickle sich allenfalls langsam.

Natürlich, es habe sich in den vergangenen Jahren einiges getan, sagt Weber. Es gibt Frauenbeauftragte, es gibt Familien-Service- und Mentoringprogramme für exzellente junge Wissenschaftlerinnen. Die Kinderbetreuung hat sich verbessert, Arbeitszeiten wurden flexibler, an der LMU wird beispielsweise bereits seit 1999 eine "Mutterschutzüberbrückungspauschale" gezahlt. Es gibt viele Programme, die jetzt eingespielt sind - so viele, dass sich schon ein Sättigungsgefühl breit macht, von wegen: Gleichstellung? Haben wir doch! "Aber die Zahlen haben sich trotz allem nicht entscheidend verändert", sagt Weber. "Und das zeigt: Das Problem ist noch da." Deshalb die Quote.

Es gehe nicht anders, sagt sie: "Wir versuchen es seit 25 Jahren ohne." Aber noch immer wagten es einige Wissenschaftlerinnen nicht, mit männlichen Vorgesetzten über Familienplanung zu sprechen. Eine Quote könne hier helfen, denn sie verändere den Alltag. Wenn erst genügend Frauen in den Entscheidungsgremien und Professorenkollegien sitzen, bekämen Vereinbarkeitsfragen und Arbeitsklima, also die Arbeitskultur in der Wissenschaft automatisch mehr Aufmerksamkeit. Und: "Es muss normal werden, dass Frauen da sind. Damit wir nicht mehr über das Geschlecht sprechen müssen, sondern einfach über Personen reden können."

Pia Horn hat die Hoffnung nicht aufgegeben, sie träumt weiter von einer Karriere in der Forschung. Nur: Was sie nach der Promotion tatsächlich machen wird, weiß sie nicht. Weit in die Zukunft könne man im Wissenschaftsbetrieb ja nie blicken, sagt sie. Aber in vielleicht zwei Jahren werde sie sich entscheiden müssen. Und das wird auch mit Geld zu tun haben. Denn an der Uni hat sie nur eine Teilzeitstelle mit entsprechend geringem Gehalt. Von dem aber muss sie eine private Kinderkrippe bezahlen, auch das noch: 410 Euro im Monat für zwei Tage Betreuung in der Woche. Bei einer städtischen Krippe hatte sie keine Chance: Hier gibt es nur Vollzeitplätze.

Horn und ihr Partner wollen eigentlich ein zweites Kind, sie wollten immer schon mehr als eins. In München aber sei das für sie nicht zu finanzieren, sagt sie. Und deshalb werde sie vielleicht sehen müssen, ob sie außerhalb der Universität etwas findet. "Ich würde mit dem zweiten Kind vielleicht warten, für die Wissenschaft. Aber wenn eine Karriere in der Forschung bedeutet, dass ich komplett verzichten muss, dann finde ich das etwas viel verlangt."

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