Fotografie:Es geschieht am helllichten Tag

Eva Leitolf

"Global prekär - Flucht, Trauma und Erinnerung in der zeitgenössischen Fotografie" ist der Titel der Ausstellung in der Pinakothek der Moderne. Zu sehen ist unter anderem die Arbeit "Überfahrt Melilla Almeria" (Foto) von Eva Leitolf.

(Foto: Eva Leitolf)

Eva Leitolf hat mit den "Postcards from Europe" gesellschaftskritische Tiefenbohrungen vorgenommen. Darüber spricht sie nun in der Pinakothek der Moderne

Von Evelyn Vogel

Sie wirken alltäglich, irgendwie flüchtig, mitunter sogar idyllisch, wie in der Serie "Rostock Ritz" von 2004 über die Folgen der deutschen Kolonialzeit in Namibia. Doch der Schein trügt. Hinter der Beiläufigkeit der Fotografien von Eva Leitolf verbergen sich Geschichten von Flucht und Vertreibung, Mord und Totschlag - und einem erschreckend alltäglichen Rassismus.

Schon mit der Langzeitdokumentation "Deutsche Bilder - Eine Spurensuche", die Leitolf zwischen 1992 uns 2008 fotografiert hat, führt sie den Betrachter in gesellschaftliche Abgründe. Oberflächlich wirken die Aufnahmen harmlos und wenig spektakulär. Deutsche Provinz, wie man sie kennt. Ein bisschen heruntergekommen, ein bisschen in der Zeitschleife hängengelieben, manchmal arg piefig um Modernität bemüht. Doch dann liest man die Titel und Texte, die zu den Fotos Leitolfs zwingend dazugehören. Was folgt, ist das pure Grauen. Und dabei müssen es nicht einmal Orte wie Rostock-Lichtenhagen oder Solingen sein. Orte, deren Namen sich in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt haben. Weil man sich schämt für die, die glaubten, ihr Deutschsein gegen "die Fremden" verteidigen zu müssen. Mit Gewalt. Mit Hass. Mit Feuer und Schwert wie im Mittelalter. Vor allem mit Feuer. Nein, es können auch weniger bekannte Ortsnamen sein wie Viersen, Ochersleben oder Wriezen, und scheinbar unbelastete wie Braunschweig, Ludwigshafen, Suhl oder München. Die Reihe, die Eva Leitolf recherchiert und fotografiert hat, wirkt endlos. Der Mob scheint überall. Und er ist gnadenlos. Er jagt Menschen, er zündet Häuser an, er verachtet alles, was anders ist als er selbst, und er gebiert noch mehr Hass und noch mehr Gewalt.

Schon in der Ausbildung bei Angela Neuke an der Universität in Essen entwickelte die 1966 in Würzburg geborene Leitolf ihre Bildsprache: Gesellschaftskritische Tiefenbohrungen. Diese in Zeitungen und Zeitschriften auch durchzusetzen, war Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre gar nicht so einfach. Das Zeit-Magazin und das Magazin der Süddeutschen Zeitung boten dazu die Möglichkeiten. "Da wurde man schon viel beteiligt damals", wie die Kunstpreisträgerin 2016 der Stadt München bei einem Treffen erzählt. Doch der journalistischen Publikationsform sind Grenzen gesetzt. Nach einem DAAD-Stipendium in Los Angeles bei der "Konzeptikone" Allan Sekula Ende der Neunziger beschloss sie, keine Auftragsarbeiten mehr anzunehmen. "Mittlerweile war mein Bewusstsein für eine eigene Autorenschaft sehr stark ausgeprägt", erinnert sie sich.

Fortan stand für Leitolf die Frage nach dem Kontext und wie dieser die Bilder beeinflusst, im Mittelpunkt. "Wie entsteht Bedeutung? Wie nehme ich etwas wahr? Und wie zuverlässig ist meine Wahrnehmung?" Das sind Fragen, die sie beschäftigen. Leitolf lebt mit Mann und Kind im Bayerischen Wald und hat seit vielen Jahren immer wieder Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland inne. Sie wirkt wie jemand, der sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt. Und meist spricht sie auch ruhig und gelassen. Aber ein aus dem Kontext gerissenes Foto ist für sie mehr als ein Ärgernis. "Das ist für mich so, als ob man ein Bild beschneiden würde."

Ihre seit 2006 laufende Serie "Postcards from Europe" zeigt Orte, die eng verbunden sind mit den aktuellen Flüchtlingsdramen. Darin untersucht Eva Leitolf das Verhältnis Europas zu seinen Außengrenzen. Der Eindruck, dass die Bilder "beiläufig" aufgenommen wurde, entsteht auch deshalb, weil Leitolf nicht wie eine Fotoreporterin die Migranten im Augenblick des Ereignisses dokumentiert. Statt dessen reist sie erst später an die Schauplätze der Konflikte. Auch deshalb sind die Aufnahmen meist menschenleer.

Fotografie: Die Fotografin Eva Leitolf, 1966 in Würzburg geboren, lebt und arbeitet in München und im Bayerischen Wald. Sie ist aktuelle Kunstpreisträgerin der Stadt München.

Die Fotografin Eva Leitolf, 1966 in Würzburg geboren, lebt und arbeitet in München und im Bayerischen Wald. Sie ist aktuelle Kunstpreisträgerin der Stadt München.

(Foto: Marek Kruszewski)

Bei den "Postcards from Europe", die derzeit im Rahmen der Ausstellung "Global prekär. Flucht, Trauma und Erinnerung in der zeitgenössischen Fotografie" in der Pinakothek der Moderne zu sehen sind, liegen Texte im Postkartenformat aus. Texte, die Hintergründe liefern zu den Bildern. Und es ist wirklich bemerkenswert, die Besucher zu beobachten, wenn sie die Texte lesen und wie sie im Anschluss die Bilder mit anderen Augen sehen. Da ist eine Fähre übers Mittelmeer, über das tausende Menschen fliehen. Ein Strandabschnitt in Spanien erzählt von den Migranten, die nach einem schweren Sturm ertrunken sind und tot angespült wurden. Eine verlassene Tankstelle in Ungarn verweist auf das Schicksal zahlreicher Flüchtlinge, die über die Grenzen geschmuggelt werden. Eine Orangenplantage in Italien erinnert an den Vorfall mit afrikanischen und osteuropäischen Saisonarbeitern, die Anfang 2010 massiv attackiert wurden und wo die Lage derart eskalierte, dass die Behörden sie unter Polizeischutz und Zuschauerapplaus in Bussen in Notunterkünfte in Sicherheit bringen mussten.

Viele verschiedene Orte, viele verschiedene Geschichten. Würde man sie ohne die Texte verstehen? Nicht so gut jedenfalls. Manches lässt sich mit Hilfe eines kollektiven Erfahrungshintergrunds zuordnen. Bei den verbrannten Mauern von Flüchtlingsunterkünften in Solingen und Rostock, die unter anderem in den eingangs erwähnten "Deutschen Bildern" vorkommen, gelingt das leichter. Schwieriger wird es bei vielen anderen Motiven, die so flüchtig und harmlos wirken, die aber pars pro toto für globales Unrecht stehen und für den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Migration und deren Folgen für die Gesellschaft.

Über ihre fotografische Stellungnahme zu diesen Themen wird Eva Leitolf auch in ihrem Vortrag in der Gesprächsreihe "Connexions" an diesem Donnerstag in der Pinakothek der Moderne sprechen.

Eva Leitolf: Kritische Grenzerzählungen; Künstlergespräch in der Reihe "Connexions", Donnerstag, 29. Juni, 18.30 Uhr, Pinakothek der Moderne, Ernst von Siemens Auditorium

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