Fotoaufnahmen im Gerichtssaal:Justiz im Dilemma

Amtsgericht Fotoverbot

Das Medieninteresse ist bei bestimmten Fällen gewaltig. Nun diskutiert das Amtsgericht München ein Fotoverbot.

(Foto: dpa)

Nach mehreren Zwischenfällen mit Neonazis prüft das Amtsgericht München ein Verbot von Foto- und Filmaufnahmen im Gerichtssaal. Was wiegt mehr: die Pressefreiheit oder das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen? Das Gericht steckt in einem Dilemma - ausgerechnet vor dem NSU-Prozess.

Von Bernd Kastner

Die Verantwortlichen in der Justiz waren alarmiert. Wieder trafen sich Rechte und Linke im Strafjustizzentrum, doch diesmal sollte es nicht erneut Bilder geben wie vor vier Wochen: Damals hatten Neonazis Reporter attackiert und Kameraobjektive beschmiert, ohne dass Sicherheitskräfte dies verhinderten. Das Problem der Sicherheit ist recht einfach zu lösen: Man schickt so viele Polizisten und Wachtmeister ins Gericht, dass allein ihre Präsenz möglichen Krawallbrüdern Respekt einflößt. So geschehen am Montag, als beim Prozess um einen Angriff von linken Nazigegnern auf einen Infostand von Rechtsextremisten Angehörige der beiden Gruppen im Gericht saßen.

Die grundlegendere Frage aber ist wesentlich komplizierter zu beantworten: Was ist erlaubt im Gerichtsgebäude? Vor allem: Wann und wo dürfen Prozessbeteiligte gefilmt oder fotografiert werden, Angeklagte zumal, oder Zuschauer? Es treffen hochrangige Rechtsgüter aufeinander: Hier das Recht der Pressefreiheit, dort das Persönlichkeitsrecht. Was ist mehr wert? Bislang durfte recht freizügig fotografiert werden im Strafjustizzentrum. Dazu gehört auch das Ritual bei großen Prozessen im Schwurgerichtssaal, dass der Angeklagte Minuten vor Prozessbeginn aus einer Tür geleitet und den Fotografen vorgeführt wird. Ist das nötig und angemessen? Oder schon würdelos?

Als es Anfang Januar zum Tumult zwischen Neonazis und Reportern kam, kündigte Amtsgerichtspräsident Gerhard Zierl an, die Frage des Fotografierens zu diskutieren, auch ein Verbot sei denkbar, um solche Konflikte erst gar nicht entstehen zu lassen. Zu realisieren wäre ein Verbot womöglich über die Hausordnung, mit der Pressefreiheit würde es aber dennoch kollidieren. "Das ist nicht einfach", heißt es aus der Justiz, zumal die Verantwortlichen, seien es Richter, Wachtmeister oder Polizisten, in kürzester Zeit Grundrechte abwägen müssen: Das Filmen dulden oder Kamera abnehmen? Diese Woche waren es Angehörige der rechten Szene, die das neue Nachdenken und Austesten der Justiz zu spüren bekamen. Als ein Rechter nach der Verhandlung im Gerichtsflur Personen filmte, die aus dem Saal kamen, griffen zuerst die Sicherheitsleute durch und dann die Richterin: Nach langer Diskussion, und beobachtet von etwa zehn Polizisten, konfiszierte sie den Kamerachip. Eine Rolle spielte dabei wohl auch, dass fraglich ist, ob dieser Filmer tatsächlich Journalist ist und damit die Privilegien des Presserechts genießt. Sein angeblicher Presseausweis ließ Zweifel aufkommen.

Noch brisanter dürfte die Film- und Fotofrage beim anstehenden Prozess gegen die mutmaßlichen Unterstützer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" sein. Es werden viele Angehörige der Opfer im Gerichtssaal sitzen. Was wiegt dann schwerer? Die Pressefreiheit oder der mögliche Wunsch der Angehörigen, in Ruhe gelassen zu werden? "Das ist ein heißes Eisen", heißt es. Die Justiz denkt weiter nach.

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