Forstenried:Kleine, heile Welt

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Mit dem Herbst beginnt die Saison der Hobbyeisenbahner. Und alles, was man in Sachen Dekor und Technik braucht, findet die überwiegend ältere Kundschaft beim Modellbahnmarkt in Fürstenried

Von Annette Jäger, Forstenried

Karl-Heinz Büttners Spezialgebiet ist Ladegut: Aus zerstoßenen Blumentöpfen kreiert er eine Ladung feinsten Bauschutt, zerschnippelte Joghurtbecherdeckel macht er zu einem Waggon voll Altmetall und leere Tablettenblister bestreicht er mit Staubfarbe und verwandelt sie so in rostigen Schrott. "Das waren mal Blutdrucksenker", scherzt er und spielt damit auf seine Kundschaft an. Denn vorwiegend ältere Herren kaufen sein kunstvoll gestaltetes Ladegut für die Güterwaggons der Modelleisenbahn.

Ja, dem Hobby fehlt es an Nachwuchs, bestätigt Franz Gruber. Er organisiert seit mehr als 20 Jahren Modellbahnmärkte, auch im Bürgersaal des Forums in Forstenried. Vor den Verkaufsständen: Herren mit Lesebrille, die Modellnummern der kleinen Loks studieren, auf der Pirsch nach ausgefallenen Ersatzteilen sind, sich eine Schachtel "Blumendecor bunt" für ihre heimische Bahnhofsszenerie gönnen.

Mit dem Herbst beginnt die Saison der Hobbyeisenbahner; wenn die Tage wieder kürzer werden, verschwinden sie auf den Dachboden oder im Keller. Und bei vielen verdienen sich die Miniaturanlagen einen prominenten Platz und werden im Wohnzimmer zum Mittelpunkt. Die Liebe für die kleinen Züge, die kleinen Welten, wird oft vererbt, weiß Franz Gruber - der Opa hatte eine Bahn, der Vater hat sie übernommen, und dann macht der Sohn weiter. Vorausgesetzt, er hat den Platz, die Zeit und das Geld. Ein kompletter ICE mit acht Waggons, stolze 2,20 Meter lang, kostet schnell mehr als 1 000 Euro, sagt Händler Roland Schrade. Aber viele der Söhne machen auch nur dann weiter, wenn die Väter sie lassen. Früher bekamen die Söhne eine neue Lok zu Weihnachten - und durften dann nur im großen Sicherheitsabstand daneben stehen, während der Papa auf Knien vor der Bahn lag und die Weichen stellte. Unsinn, meint Schrade. Man muss die Kinder ranlassen. Macht doch sonst keinen Spaß.

So wie der 13-Jährige, der den Markt mit seinem Vater besucht. Die beiden haben eine alte Anlage geschenkt bekommen und wollen sie jetzt aufpolieren. Ein Riesenrad war dabei, der Sohn will die Kirmes-Szenerie ausbauen und sucht weitere Utensilien. Aber fündig wird er nicht, die Schachtel "Fliegender Storch an Draht" für 44,99 Euro interessiert ihn nicht. Er ist übrigens der einzige Jugendliche, der an diesem Tag an den Ständen vorüberstreift.

Als Märklin 1935 die erste Modelleisenbahn in der Spurweite "HO", die klassische Tischbahngröße im Maßstab 1:87, auf den Markt brachte, eroberte das Hobby die Kinderzimmer. Heute gibt es Modellbahner unterschiedlichster Neigung. Zum Beispiel die Spezialisten, wie Gruber sie nennt, die am exakten Abbild der Wirklichkeit tüfteln und manchmal auch nur einen bestimmten Streckenabschnitt naturgetreu nachbauen. Im Gegensatz dazu gibt es die Spielbahner, die es nicht so genau nehmen und hauptsächlich fahren wollen - Züge umsetzen, im Bahnhof rangieren, "Hauptsache, es macht Spaß", sagt Gruber, der selbst zu letzterer Kategorie gehört. Und nicht selten sind die Ehefrauen die Landschaftsarchitektinnen, die aufwendige Szenerien gestalten und mit Ausdauer Bäume belauben. Tütchenweise Herbstlaub gibt es auf dem Markt zu kaufen. Und dann gibt es noch die Vitrinenbahner, die ihre Züge in Glasvitrinen parken und nur anschauen; in einer ausgefeilten Sammlung stecken schnell mal 30 000 Euro.

Modellbahnern wird es niemals langweilig - immer gibt es neue Technik, wie die digitale, die den Zügen bisher ungekannte Sound- und Lichteffekten bescherte. Immer gibt es neue Loks, die man(n) haben muss, immer gibt es einen Kurzschluss, der gefunden und repariert werden will. Das Basteln steht im Vordergrund, weiß Gruber: "Wenn alles fertig ist, ist es langweilig." Es geht halt darum, sich seine eigene heile Welt zu basteln, in der man selbst die Weichen stellt.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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