Forschungsreaktor FRM-II:Leuchtender Strahl in die Zukunft

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Die Stadt München hat einen neuen Forschungsreaktor. Mit dem FRM-II wollen Bayerns Wissenschaftler und Politiker in der Weltliga der Forschung mitspielen.

Von Martin Thurau

Ralph Gilles hat einige farbige Poster vorbereitet für diesen Mittwoch, an dem Edmund Stoiber wieder einmal für Auftrieb sorgt in Garching. Punkt zehn Uhr wird der bayerische Ministerpräsident nördlich von München den neuen Forschungsreaktor, kurz FRM-II, eröffnen - und Gilles will bei dieser Gelegenheit präsentieren können, wofür er die rund 435 Millionen Euro teure Anlage nutzen wird, deren Betrieb pro Tag rund 125 000 Euro verschlingt.

Im Inneren des FRM II in Garching (Foto: Foto: dpa)

Mit den hier im Reaktorkern produzierten Neutronen will der Physiker Werkstoffe aller Art durchleuchten und so mehr über deren Aufbau und ihre Eigenschaften erfahren. Materialien für Brennstoffzellen und Katalysatoren, für Datenspeicher und Sensoren, für spezielle Legierungen und High-Tech-Keramiken - all das will Gilles untersuchen und verbessern.

Neben seiner Versuchsanordnung sind rund 20 weitere aufwändige Experimentier- und Bestrahlungseinrichtungen sternenförmig um den Minimeiler im FRM-II angeordnet, der unter einem Dom aus Beton liegt. Für Stoiber und Wolfgang Herrmann, den Präsidenten der Technischen Universität (TU) München, die den Reaktor betreibt, ist die Nuklearanlage gleichsam das Allerheiligste der Forschung: ¸¸Dieses größte Wissenschaftsprojekt Bayerns", schwärmt Herrmann, ¸¸wird ein Magnet für die besten Wissenschaftler werden, aber auch ein Magnet für moderne Hochtechnologien." Bereits jetzt könne sich die TU vor Anfragen von Wissenschaftlern nicht retten, die die Anlage nutzen wollen.

Zu 70 Prozent Grundlagenforschung

Materialforscher sollen von dem Großprojekt ebenso profitieren wie Maschinenbauer, Elektrotechniker, Physiker, Chemiker und Biologen; selbst eine Einrichtung zur Tumorbestrahlung soll den Betrieb aufnehmen. 70 Prozent der Kapazität der Anlage sind für die Grundlagenforschung reserviert, die restlichen 30 Prozent für bezahlte Industrieaufträge.

Der FRM-II sei besonders vielseitig, so Herrmann, und komme an die weltbesten Neutronenquellen etwa in Grenoble heran. Mit seinem speziellen Brennelement, in dem hochangereichertes Uran (Heu) besonders dicht gepackt ist, erzeugt er einen hundertmal dichteren Neutronenfluss als sein Vorgänger, der erste Forschungsreaktor München, der wegen seiner äußeren Form ¸¸Atomei" genannt wurde und inzwischen ausrangiert ist. Weil Heu allerdings auch für Kernwaffen verwendet werden kann, hat die TU die Auflage, zum Ende des Jahrzehnts auf geringer angereichertes Uran umzusteigen.

Viele der in Garching geplanten Experimente sind laut TU ¸¸Weltneuheiten". An ihrem Aufbau sind neben der Hochschule bislang ein gutes Dutzend Münchner und auswärtiger Einrichtungen beteiligt. In den Chor der Befürworter des FRM-II mischten sich freilich auch Stimmen von Wissenschaftlern, die das viele Geld lieber in andere Forschungsprojekte angelegt sähen.

Im Herbst, so schätzen die Planer, kann die Neutronenquelle ihren Routinebetrieb aufnehmen und erstmals ihre volle Leistung von 20 Megawatt erreichen. Bis kurz vor der Eröffnung lief die erste Phase des Probebetriebs, in der die Physiker den Reaktor schon bis auf fünf Megawatt hoch fuhren.

Auch Ralph Gilles hat die ersten Neutronen bereits durch seine riesenhafte Messapparatur - allein die Abschirmung wiegt 280 Tonnen - geschickt. Aus dem Reaktorkern, in dem sie in der nuklearen Kettenreaktion freigesetzt werden, gelangen sie durch ein so genanntes Strahlrohr und einen gut 20 Meter langen Kanal auf die Materialien, die in den jeweiligen Experimenten untersucht werden; zuvor werden sie noch auf die gleiche Wellenlänge gebracht.

Daraus, wie die Teilchen schließlich die Materialien durchdringen und dabei an deren Atome gestreut werden, können die Forscher auf den atomaren Aufbau der Werkstoffe schließen. So lässt sich zum Beispiel besser feststellen, wie die Materialien auf Erwärmung oder Zugkraft reagieren.

Wichtige Erkenntnisse erwartet

Nach diesem Grundmuster laufen alle geplanten Streuexperimente ab. Mit einigen lassen sich besser feste Strukturen wie Kristallgitter untersuchen, mit anderen dynamische Vorgänge. So wollen die Physiker zum Beispiel erklären, was bestimmte Materialien bei tiefen Temperaturen ihren elektrischen Widerstand verlieren lässt. Sie können auch auf winzig kleinem, submikroskopischen Niveau beobachten, wie sich die Materialermüdung in einem Werkstück abzeichnet.

Da Neutronen besonders stark auf Wasserstoffatome reagieren, verspricht sich TU-Präsident Herrmann gerade von den Experimenten mit wasserstoffreichen biologischen Molekülen wichtige Erkenntnisse. Bei einem Experiment gewinnen die Physiker so genannte Positronen in großer Menge, die Antiteilchen zum Elektron. Mit ihnen lassen sich besonders gut Materialoberflächen und -defekte analysieren.

Auch große Werkstücke können die Physiker mit dem Neutronenstrahl durchleuchten - bis hin zu laufenden Motoren, bei denen so Konstruktionsfehler aufgedeckt werden sollen. Die Bilder einer Spezialkamera zeigen dabei selbst den dünnen Schmierfilm in den Kolben. Die ersten Aufnahmen von diesem Experiment gibt es schon; sie wurden im Probebetrieb gemacht und hängen nun in der Halle - auf einem Poster zum Eröffnungsbesuch des Ministerpräsidenten.

© Süddeutsche Zeitung vom 9.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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