Forschung:"Die Suche nach Glück kann unglücklich machen"

Ein Lob der Krise: Annegret Braun erforscht an der LMU München, was Menschen unter Glück verstehen - und wie sie glücklich werden.

Sarina Pfauth

Annegret Braun ist Lehrbeauftragte am Institut für Volkskunde der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und hat ein Forschungsprojekt zum Thema Glückserleben und Lebensglück beantragt. Im Rahmen eines Seminars hat sie mit ihren Studenten 700 Menschen gebeten, eine persönliche Glücksgeschichte zu erzählen, um herauszufinden, was einzelne Menschen unter Glück verstehen.

Forschung: Annegret Braun in ihrem Garten - der sie ziemlich glücklich macht.

Annegret Braun in ihrem Garten - der sie ziemlich glücklich macht.

(Foto: Foto: Pfauth)

sueddeutsche.de: Frau Braun, sagen Sie es uns: Wie wird man glücklich?

Annegret Braun: Ich habe eine schlechte Nachricht: Glück ist nur eingeschränkt machbar. In Deutschland herrscht allerdings die Meinung vor, dass man sich nur genügend anstrengen muss, um glücklich zu sein.

sueddeutsche.de: Warum denken das alle?

Braun: Das hängt sehr stark mit unserer Leistungsgesellschaft zusammen. Die Leute denken: "Ich habe alles im Griff, ich muss es nur richtig anstellen." Darin steckt natürlich auch eine Unbarmherzigkeit, weil jeder selbst schuld ist, wenn er unglücklich ist - er strengt sich eben nicht genügend an.

sueddeutsche.de: Bleiben wir mal bei der Leistungsgesellschaft: Viele Menschen versuchen, Karriere zu machen. Macht Erfolg denn glücklich?

Braun: Ja, auf jeden Fall. Aber nicht auf Dauer.

sueddeutsche.de: Warum nicht?

Braun: Es ist erst einmal ein schönes Gefühl, wenn man durch einen Karriereschritt Anerkennung für seine Arbeit bekommt. Karriere ist aber meist damit verbunden, dass man auch mehr Zeit investieren muss und dass man unter Druck gerät - und das macht auf Dauer eher wieder unglücklich. Außerdem gewöhnt man sich an diesen Erfolg, und damit ist er nichts Besonderes mehr. Das ist, wie wenn man jeden Tag sein Lieblingsessen bekommt.

sueddeutsche.de: Sind Kinder vielleicht der Schlüssel zum Glück?

Braun: In Befragungen sagen viele Leute, dass ihre Kinder sie glücklich machen. Das stimmt natürlich auch - wenn ein Kind sich freut oder an die Eltern kuschelt, ist das ein großer Glücksmoment. Aber diese Augenblicke sind auch mit viel Arbeit verbunden, die nicht immer glücklich macht: Amerikanische Forscher haben den Tagesablauf von Hausfrauen protokolliert und untersucht, wobei sie Glück empfinden. Oben auf der Liste waren Gespräche mit Freundinnen und Einkaufen. Kinderbetreuung stand unten bei Wäschewaschen.

Wie steht es mit Liebesglück?

sueddeutsche.de: Und wie steht es mit Liebesglück?

Braun: Früher haben die Menschen das persönliche Glück den gesellschaftlichen Pflichten untergeordnet. Für die Frauen war es wichtig, einen Mann zu haben, der sie gut versorgt. Heute ist man davon überzeugt, dass man ein Recht auf eine glückliche Liebesbeziehung hat und dass man dieses Recht einfordern kann. Die Partnerschaften waren früher nicht besser - aber die Erwartungen waren anders. Heute leiden Partner mehr als früher unter einer unglücklichen Beziehung, weil sie erwarten, glücklich zu sein.

sueddeutsche.de: Kann man denn gar nichts tun, um glücklicher zu werden?

Braun: Ich glaube auch, dass man an seinem Glück arbeiten kann, aber eben nur begrenzt. Arbeiten kann man zum Beispiel an seiner Zufriedenheit, indem man mehr auf das Gute im Leben schaut. Glück ist nämlich auch eine Sache der Wahrnehmung - das Glück ist da, man muss es nur sehen. Man kann das persönliche Glücksgefühl außerdem beeinflussen, indem man sich Freuden gönnt - schön essen gehen oder sich mit seiner besten Freundin treffen.

sueddeutsche.de: Das ist doch schon mal was.

Braun: Es ist aber natürlich so, dass so ein Treffen nicht ganz so glücklich macht, wenn man gerade entlassen wurde. Und euphorische Momente kann man gleich gar nicht schaffen, weil Überraschung dazugehört - und die kann man nicht herstellen.

sueddeutsche.de: Es bringt also nicht unbedingt etwas, sich richtig anzustrengen?

Braun: Man kann schon etwas zu seinem Glück beitragen, aber die Suche nach Glück kann auch unglücklich machen. Weil man das Ziel, dauerhaft glücklich zu sein, niemals erreicht. Das Leben ist vielseitiger und bunter. Es ist nicht nur Glück.

sueddeutsche.de: Was hält unsere Gesellschaft von unglücklichen Menschen?

Braun: Zum einen wird das Unglücklichsein als gewisses Versagen gesehen. Wenn ich unglücklich bin, heißt das auch: Ich bin nicht erfolgreich - weil ich es nicht schaffe, glücklich zu sein. Aber im privaten Kreis verbindet es auch sehr, wenn jemand unglücklich ist, weil man tiefere Gespräche hat.

Ein Lob der Krise

sueddeutsche.de: Sie finden das Unglück also gar nicht so übel?

Braun: Das Glück ist schön, aber was uns im Leben weiterbringt, sind Unglück und Krisen. Weil wir dann darüber nachdenken, was wichtig ist im Leben und was wir verändern müssen. Niemand ist gerne unglücklich, und das ist auch legitim. Aber ich finde es problematisch, wenn man das Unglück aus dem Leben verdrängt. Wenn man eine Krise bewältigt hat, erlebt man das Glück auch wieder intensiver. Wir brauchen das Unglück, um das Glück richtig wahrnehmen zu können.

sueddeutsche.de: Trotzdem würde niemand mit Absicht das Unglück suchen.

Braun: Es liegt in uns, dass wir nach dem Glück suchen, es treibt uns letztendlich an. In Umfragen sagen die meisten Menschen, wenn sie nach dem Sinn des Lebens gefragt werden: "Glücklich sein." Wenn man den Sinn des Lebens aber im Glück sieht und das Glück fällt weg, dann wird das Leben sehr schnell sinnlos. Die Glücksforschung zeigt, dass religiöse Menschen glücklicher sind. Der Grund dafür ist, dass sie ihren Lebenssinn in Gott suchen und auch in Krisen einen Sinn sehen. Die schmeißen sie nicht um.

sueddeutsche.de: Sie haben Glücksgeschichten von 700 Menschen gesammelt. Viele der Befragten stammen aus München. Was macht die Leute in dieser Stadt besonders glücklich?

Braun: Im Biergarten eine Brezen und ein Bier zu bekommen. Oder einen Cappuccino an der Münchner Freiheit zu trinken. Natur wird auch oft erwähnt. Und große Ereignisse wie der Papstbesuch und die Fußball-WM.

sueddeutsche.de: Was macht Sie denn glücklich?

Braun: Was sehr glücklich macht, ist ein Ort der Zugehörigkeit. Für mich ist das meine Familie, mein Mann und meine beiden Töchter. Und ich freue mich sehr über mein schönes Zuhause. Eine Familie, ein Ort oder ein Land, zu dem man gehört, ist ein großer Glücksfaktor.

sueddeutsche.de: Fehlt Ihnen irgendetwas zum Glück?

Braun: Sicherheit im Beruf. Wobei Studien zeigen, dass Sicherheiten auf Dauer auch nicht glücklich machen. Absolventen, die nach befristeten Jobs einen festen Vertrag bekommen haben, waren hinterher nicht glücklicher. Da geht die Freiheit verloren.

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