Folkband Faun:Mit Minnesang in die Charts

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Leise Töne auf der Laute sind Oliver "Satyr" Pade ebenso willkommen wie durchdringende Elektrobeats zum mittelalterlichen Reigen. (Foto: Michael Wilfling)

Efeu-umrankte Mikrofonständer, Frauen in langen Kleidern und Männer mit Puffärmelhemden und Wallehaar: Die Münchner Folk-Band Faun ist nach Jahren in der Nische endlich im Mainstream angekommen und darf nun sogar bei Carmen Nebel die breite Masse beglücken.

Von Michael Zirnstein

Die "Neue Welle 2013", die Leistungsschau der Münchner Plattenfirma Koch-Universal in der Freiheizhalle, gleicht einem Maskenball: Eine A-Cappella-Boygroup voller Unterwäschemodells hat ihren Liedern und sich selbst Lederhosen übergestülpt; andere Jungspunde, ebenso gut frisiert, aber diese mit Klampfen, machen auf amerikanische Lagerfeuerrocker; ein Schmachtsänger erinnert mit Vertreteranzug an den italienischen Schwiegermama-Liebling Semino Rossi.

Ach, gut, das ist er tatsächlich selbst. In all der Scharade wirkt die Münchner Band Faun - neue Zugnummer des Verlags mit der CD "Von den Elben", die auf Platz 7 der Charts landete - recht unverkleidet hinter ihren Efeu-umrankten Mikrofonständern: die Frauen in langen Kleidern wie vom Karneval in Venedig, die Männer mit Puffärmelhemden, Umhängen, Wallehaar oder Zylinder. Man sieht ihnen an, dass sie die olle Gewandung nicht allein der Show wegen tragen, sondern gerne und selbstverständlich.

Oliver Pade hat darin jahrelange Übung. Der Gründer und Regent der Gruppe Faun entdeckte als Gymnasiast die Mittelalterszene - und blieb darin hängen. Die Straßentheaterzirkustruppe Germas Gaukler suchte damals einen Trommler, Pade ließ sich locken. Nach einem Jahr wechselte der Gräfelfinger in die erste Reihe und erstaunte die Schaulustigen mit Feuer-Jonglage, die er auf einer Indienreise gelernt hatte. Diese Phantasiewelt gefiel ihm gerade "wegen ihrer Echtheit", wie er sagt: "Da war nichts verstellt, sondern im Gegenteil alles sehr real. Junge und Alte, Derbe und Philologen saßen da alle am selben Tisch." Und er und seine Truppe unterhielten sie mit Gaukelei und Geschichten. Acht Jahre lang blieb er dabei und verdiente so seinen Lohn. Doch Oliver Pade, der sich als Künstler Satyr oder Oliver s. Tyr nennt und blond und blass, mit hohen Wangenknochen und durchdachten Sätzen wie ein edler Elb aus "Herr der Ringe" wirkt, wollte auch wissen, was hinter dem eskapistischen Budenzauber steckt. So studierte er Mediävistik, die Literatur des Mittelalters.

Die alten Melodien faszinierten ihn weiter. 1999 gründete er die Band Faun, zusammen mit Werner Schwab und Birgit Muggenthaler, die sich bald auf ihre andere Band Schandmaul konzentrierte. Während normale Nachwuchsrocker um jeden Auftritt kämpfen müssen, wurden Folker der ganz alten Schule diesbezüglich verhätschelt: "Du konntest ständig auftreten, überall sind Rittermärkte und Feste. Anfangs haben wir uns zwischen die Stände gestellt und unverstärkt bis zur Heiserkeit gesungen, den ganzen Tag, den ganzen Sommer lang, so sind wir musikalisch zusammengewachsen", erzählt Pade.

Faun entwickelten einen eigenen Stil, den sie Pagan-Folk nannten, also etwa Heiden-Folk, was provokant klingt, aber vor allem ihre Unabhängigkeit und Naturliebe ausdrücken sollte. Vom selbstgeschaffenen Genre, dem sich bald andere anschlossen, ließ sich Satyr nie einengen. Erlaubt ist, was ihn interessiert und allen gefällt: zehnminütige Nibelungen-Balladen, bretonische Tanzlieder und perso-arabische Melodien, mittelhochdeutscher Minnesang und nordische Mythen, Dudelsäcke und elektronische Drumbeats; Satyr und seine Sängerinnen erzählen mehrstimmig auf Neuhochdeutsch, Mittelhochdeutsch, Spanisch, Altisländisch, Latein, Ungarisch, Finnisch und Sephardisch von alten Mythen, Kriegen, Liebesdingen und dem Frühling - der wohl weiland in zugigem Gemäuer freudiger erlebt wurde als heute im zentralbeheizten Zimmer.

Er spielt Harfe, diverse Lauten- und andere Zupfinstrumente und streicht die Nyckelharpa, eine beinahe vergessene Tastengeige, die nur in der nordischen Folklore überlebt hat. "Manchmal findet man den Weg ins Mittelalter über Umwege", erklärt er, "mit skandinavischem Folk ist man näher dran, als wenn man Dudelsack spielt."

Beim Festival "Musiqua Antica Viva" im Spectaculum Mundi trat er bald nicht nur mit Faun auf, sondern stand auch der Leiterin Romy Schmid zur Seite. Sie schätzt seine "feinfühlige, bescheidene Art", seine Liebe für Details und Bombast und auch, dass man sich "100 Prozent auf ihn verlassen kann - E-Mails beantwortet er ruckizucki". Pade beriet sie beim Band-Buchen und brachte auch selbst hierzulande unbekannte Kollegen an, etwa die Niederländer Omnia. Er ist bestens vernetzt und angesehen in einer hart konkurrierenden Szene: Er half Corvus Corax im Studio, spielte für Schandmaul Harfe, holte Subway to Sally auf die neue Platte.

Mit der zählen Faun nun auch nach Verkaufszahlen zu den Genregrößen - nicht zuletzt, weil die neue Plattenfirma die für so extravagante Gruppen spürbare "unsichtbare Mauer in den Mainstream" durchbrach. So beschert sie Faun etwa vier Millionen Zuseher in der Carmen-Nebel-Show - und Fernsehwerbung zur besten Sendezeit. Natürlich motzen da einige Getreue im Internet über "Faun light" und "mittelalterliche Wohlfühlmusik". Aber Oliver Pade freut sich über jeden neuen Fan, künstlerischer Wandel muss erlaubt sein - solange man sich nicht verkleiden muss.

Diesen Donnerstag spielen Faun zur Eröffnung von Musica Antiqua Viva in der Freiheizhalle; für das Konzert am 10. November gibt es noch Karten.

© SZ vom 14.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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