Flugzeugunglück in Riem:Diese Mediziner kämpften um das Überleben der Opfer von Riem

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Katharina Koppe und Robert Lindenmüller sprechen in Lindenmüllers Haus in Solln über die Stunden, Tage und Wochen nach dem Absturz (Foto: Catherina Hess)

Assistenzarzt Robert Lindenmüller und Krankenschwester Katharina Koppe arbeiteten bis in die frühen Morgenstunden, um nach dem Flugzeugunglück 1958 Spieler und Trainer von Manchester United zu retten.

Von Gerhard Fischer, München

Der junge Assistenzarzt Robert Lindenmüller will an diesem Donnerstag, den 6. Februar 1958, gerade nach Hause gehen, als er eine Durchsage hört: "Bitte alle dableiben, in Riem gab es einen Flugzeugabsturz!" Lindenmüller hat schon einen langen Arbeitstag im Klinikum rechts der Isar hinter sich. "Wir waren stinksauer", sagt er. "Aber wir haben schnell den inneren Schweinehund überwunden."

Wenig später kommen die Überlebenden des Fluges 609 der British European Airways in der Notaufnahme an. Die Oberärzte schauen sie genau an, verteilen sie nach der Schwere der Verletzung - es gibt unter anderem einen Mann mit einem Abriss der Luftröhre, einer braucht eine künstliche Niere. Der Oberarzt Fritz Lechner deutet auf einen Verletzten und sagt: "Lindenmüller, das machen Sie!"

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Am 6. Februar 1958 geschah das Unglück: In dichtem Schneetreiben ging ein Flugzeug auf dem Münchner Flughafen Riem in Flammen auf. 23 der 43 Insassen starben, darunter acht Spieler von Manchester United.

Doktor Lindenmüller soll sich um einen Mann kümmern, der eine große Weichteilwunde am Oberschenkel hat. "Vermutlich wurde er irgendwo aufgespießt", sagt er. "Wir sind dann in einen Gipsraum der Notaufnahme gegangen, weil alle OP-Säle mit den schwerer Verletzten belegt waren." Er hat noch eine Schwester an seiner Seite.

Der Mann ist bewusstlos. "Er brauchte keinen Anästhesisten", erzählt Lindenmüller, "ich musste ihm nur eine Lokalanästhesie am Oberschenkel geben." Der Assistenzarzt weiß nicht, wen er da operiert. Er interessiert sich nicht für Fußball. Und er kennt den Namen des Mannes bis heute nicht. Es steht nur fest, dass es ein Fußballer ist. Ein junger Mann, und er hat eine beachtliche Oberschenkelmuskulatur. Lindenmüller verlegt eine Drainage, verschließt die Wunde, das Ganze dauert eine gute Stunde. Außerdem hat der Spieler eine heftige Gehirnerschütterung. Der Arzt stellt aber fest, dass es im Kopfinneren keine Blutung gegeben hat. Danach bringt er den jungen Mann auf die Station.

Lindenmüller bleibt bis drei Uhr nachts in der Klinik. Er hilft den Pflegern und bringt operierte Absturz-Opfer auf die Stationen; nicht alle werden überleben. Danach sitzen sie noch zusammen und reden über den Abend. Als er schließlich zu seiner Isetta geht, muss er sie erst suchen. "Es hatte 30 Zentimeter Schnee", sagt er. "Die Straßen waren nicht geräumt - meine Heimfahrt nach Solln war genauso schwierig wie die Operation am frühen Abend."

Robert Lindenmüller, heute 90 Jahre alt, und die ehemalige Krankenschwester Katharina Koppe, 86, sitzen in Lindenmüllers Haus in Solln und sprechen über 1958; beide sind erstaunlich rüstig. Koppe hat Fotos und einen Zeitungsausschnitt mitgebracht. "Das bin ich - mit 26", sagt sie und deutet auf eine dunkelhaarige junge Frau, die fröhlich in die Kamera lächelt. In der Mitte des Bildes steht ein Mann, der sich auf Krücken stützt: Matt Busby, der Trainer von Manchester United, damals 48 Jahre alt. Er wird in dem Artikel so zitiert: "Worte können meinen Dank für die aufopfernde Behandlung kaum ausdrücken." Busby war monatelang im Klinikum rechts der Isar. Gepflegt wurde er, unter anderem, von der Krankenschwester Katharina Koppe.

Koppe hatte an diesem 6. Februar 1958 frei. Den ersten Trubel kriegt sie also nicht mit. Sie hat erst am nächsten Tag Dienst, und sie wird gleich dem Trainer zugeteilt. "Matt Busby hatte eine schwere Fußverletzung", sagt sie, "er musste lange Zeit im Bett liegen." Busby sei "sehr höflich und freundlich gewesen", allerdings kann Koppe kein Englisch und Busby kein Deutsch. Man habe sich mit Gesten verständigt.

Koppe (Zweite von rechts) pflegte den Trainer von Manchester United, Matt Busby (mit Krücken). (Foto: Catherina Hess)

Manchmal habe auch "Mr. Taylor" beim Übersetzen geholfen. Neun Journalisten waren an Bord der Maschine - nur Frank Taylor hat überlebt. Er spricht Deutsch, er hat ebenfalls Fußverletzungen und er ist auf der gleichen Station untergebracht wie Matt Busby. Katharina Koppe versorgt auch Mr. Taylor.

Busby habe manchmal sehr traurig gewirkt, sagt Koppe. Er hatte acht seiner Spieler verloren; acht seiner Busby-Babes, wie sie genannt wurden. "Vielleicht hat er sich irgendwie schuldig gefühlt", meint sie. "Er ist manchmal sehr still gewesen, und er hat sich dann gefreut, wenn er Besuch bekommen hat - dann musste er nicht nachdenken." Seine Frau und seine Tochter hatten sich in einem Münchner Hotel eingemietet und besuchen Busby jeden Tag.

Natürlich kommen auch Journalisten vorbei, von Zeitungen und vom Fernsehen. Eines Morgens macht Katharina Koppe gerade Frühstück für Busby, als dessen Frau sich an Koppe wendet und fragt: "Television?" Aber Koppe versteht "Teller abwaschen": "Ich dachte, sie will mir helfen." Andere Schwestern klären sie auf, und Koppe wird von den Fernseh-Leuten auch gefilmt.

Einige Monate später wurden Ärzte und Schwestern des Klinikums rechts der Isar nach Manchester eingeladen. Koppe und Lindenmüller waren nicht dabei. Queen Elizabeth ernannte den Chefarzt Georg Maurer zum Sir und Commander of the British Empire. Lindenmüller lächelt. Dann sagt er: "Maurer hieß in der Klinik dann nur noch Sir George."

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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