Flugsimulation:Vom Mars direkt nach Großhadern

520 Tage lang tun sechs Männer so, als ob sie in einem Raumschiff lebten und auf der Reise zum Mars seien. Jetzt sind einige von ihnen Forschungsobjekte im Klinikum Großhadern. Dort wird untersucht, ob der Isolationsstress Spuren im Gehirn hinterlassen hat.

Stephan Handel

Mit Menschen zusammen zu sein, das kann ganz schön stressig sein. Das aber erst recht: 520 Tage, mehr als eineinhalb Jahre, hat Sukhrob Kamelow mit fünf anderen Männern verbracht, Tag und Nacht, 24 Stunden am Tag, auf einer Fläche von etwas mehr als 100 Quadratmetern, Lagerräume und Außenanlage nicht mitgerechnet.

Mitglieder der 'Mars500'-Crew werden untersucht

Sukhrob Kamelow war eineinhalb Jahre lang im Mars-Container, jetzt ist er in München Forschungsobjekt.

(Foto: dpa)

Um nachzuschauen, ob Kamelow das ohne bleibende Schäden überstanden hat, sind er und drei seiner Mitbewohner seit Sonntag im Klinikum Großhadern. Dort wird mit Hilfe eines Magnetresonanztomographen und anderer Tests untersucht, ob der "Isolationsstress" Spuren im Gehirn hinterlassen hat.

Sukhrob Kamelow war Teil eines Experiments, das im Juni 2010 in Moskau begann und Anfang November, also vor gut drei Wochen endete: Besagte 520 Tage lang taten die sechs Männer so, als ob sie in einem Raumschiff lebten und auf der Reise zum Mars seien - mit dem einzigen Unterschied, dass sie am Boden blieben, nämlich im russischen Institut für Biomedizinische Probleme. Im Ernstfall hätten sie natürlich einfach die Tür öffnen und hinausspazieren können, was im Weltall eher nicht empfehlenswert ist. Dennoch erhoffen sich die Veranstalter des Experiments und die beteiligten Wissenschaftler wertvolle Erkenntnisse - so auch Alexander Choukèr, der nun in Großhadern einen Blick in die Gehirne der Boden-Astronauten wirft: "Extremer Stress hat Auswirkungen auf das Immunsystem", erläutert er. "Wir wollen sehen, ob sich dadurch auch Strukturen im Gehirn verändern." Der Zusammenhang ist etwas schwierig zu erklären, denn untersucht wird der Hippocampus, der, vereinfacht gesagt, im Gehirn für Erinnerungen zuständig ist. Wenn sich - und das erwarten die Forscher - nun nach dem Daueraufenthalt die Nervenfasern dort verringern, dann könnte das bedeuten, dass sich das Gehirn Stress merkt - und danach weniger tolerant dagegen ist.

Grundlagenforschung ist das, die beitragen soll zum besseren Verständnis des Zusammenspiels von Körper und Geist, wie das Gehirn den Körper beeinflusst und umgekehrt. Wenn die erwarteten Ergebnisse herauskommen, dann werden die Probanden in einem halben Jahr noch einmal untersucht, ob sich nämlich die Veränderungen von selbst wieder zurückbilden. Von Bedeutung könnten die Erkenntnisse irgendwann einmal für die Therapie von Trauma-Opfern werden.

Sukhrob Kamelow wirkt nicht so, als habe sich die bewegungslose Reise zum Mars sehr auf seine Stresstoleranz ausgewirkt. Er plaudert munter über das Leben im Container, etwa darüber, dass er seinem italienischen Kollegen erst einmal beibringen musste, beim Essen den Mund zu halten, dass sie sich die Zeit mit Lesen, Spielen, Fernsehen vertrieben hätten und dass er seine Familie vermisste. Kamelow ist Arzt, Herzchirurg, und er gibt offen zu, dass es das Geld war, das ihn zur Teilnahme bewogen hat - mehrere 10 000 Euro. Damit will er jetzt in die USA oder nach England gehen, um sich als Arzt fortzubilden. Einen weiteren Vorteil hat die Mission für ihn zudem gehabt: Er hat 24 Kilo abgenommen - noch nicht schwerelos, aber immerhin.

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