Flughafen München:Die Überstunden-Trickser

Eine staatlich kontrollierte Sicherheitsfirma am Flughafen hinterzieht mutmaßlich Millionen an Steuern und Abgaben - und die Finanzämter schauen schweigend zu.

Bernd Kastner

Es ist nur ein Beispiel. An einem Mittwoch im Mai 2007 hat der Angestellte T. ganz normal gearbeitet, eine Sechs-Stunden-Schicht, von 17 bis 23 Uhr. Er ist für die Sicherheit am Münchner Flughafen zuständig, wie all seine Kollegen bei der CAP, der größten Security-Firma im Erdinger Moos. Sein Gehalt aber hat T. an jenem Abend von zwei Arbeitgebern bekommen: für die ersten drei Stunden von einer Firma, bei der er Minijobber war, den Rest von der CAP. Und das, obwohl er in diesen sechs Stunden immer dieselbe Arbeit erledigte, immer dieselbe Uniform trug, immer denselben Chef hatte. Es schien sich zu lohnen: für T., für seine Arbeitgeber, für den Flughafen. Leidtragender war die Allgemeinheit.

Flughafen Muenchen

Flughafen München - eine Sicherheitsfirma hat Steuern hinterzogen

(Foto: ddp)

Über viele Jahre war "Lohnsplitting" Routine am Flughafen: Ausgerechnet eine Firma, die mehrheitlich dem Staat gehört, sparte Steuern und Abgaben auf Kosten ihres Eigentümers. Eine interne Untersuchung offenbart die Ausmaße dieser Kreativität: Da paktiert ein staatliches Sicherheitsunternehmen über Jahre mit einer privaten Putzfirma, und die Aufsichtsgremien schauen zu.

Da prüfen Finanzämter, aber der Steuertrick bleibt unentdeckt. Erst eine Zoll-Razzia machte dem Treiben im Oktober 2009 ein Ende. Das Beschäftigungsmodell à la CAP ist mutmaßlich illegal und womöglich strafbar, weshalb die Staatsanwaltschaft Landshut gegen sieben Verantwortliche, auch bei Privatfirmen, ermittelt. Der Verdacht: Steuer- und Abgabenhinterziehung in Millionenhöhe.

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG hat im Auftrag der Flughafengesellschaft FMG das Beschäftigungsmodell überprüft; das 83-seitige Gutachten liegt der SZ vor. Es nennt das Lohnsplitting rechtswidrig - doch wegen des fehlenden Problembewusstseins der Finanzbehörden könnten die Verantwortlichen straffrei davonkommen.

Im März 1992, kurz vor der Verlegung des Flughafens ins Moos, wurde die "Civil Aviation Protection Gesellschaft zum Schutz der Zivilen Luftfahrt am Flughafen München" gegründet. Sie ist mit Ausnahme der Passagierkontrollen seither für die meisten Sicherungsaufgaben in MUC zuständig.

Mehrheitsgesellschafter ist der Flughafen, und der wiederum gehört Freistaat, Bund und Stadt München. Von Anfang an drängten diese, die Personalkosten niedrig zu halten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Spitzenbelastungen sollten mit Personal von Subunternehmen abgefangen werden.

So entstand das "Beschäftigungsmodell CAP": Die Firma bot ihren Mitarbeitern an, zusätzlich einen Minijob bei einer anderen Firma auszuüben. War viel los am Flughafen und das reguläre Stundenkontingent der Angestellten ausgeschöpft, leisteten sie nicht etwa Überstunden. Die CAP lieh vom Sub-Unternehmen ihre eigenen Mitarbeiter aus. Diese erledigten dann denselben Job wie sonst auch.

Das Modell war vordergründig für beide Seiten von Vorteil: Die CAP sparte, weil Minijob-Abgaben geringer sind als die sonst fälligen Überstundenaufschläge - die Mitarbeiter freuten sich, weil sie die 400 Euro ohne Abzüge bekamen. Profiteure waren auch die Fluggesellschaften und ihre Passagiere, weil sie weniger für die Sicherheit zahlten.

Dieses Modell lief "reibungslos", wie einer der Verantwortlichen den KPMG-Prüfern sagte. Die CAP bot Mitarbeitern schon bei der Einstellung den Minijob an. Man verstand ihn offenbar als Bonbon, um die hohen Lebenshaltungskosten im Großraum München abzufedern: Von 560 CAP-Mitarbeitern hatten gut 300 diesen Minijob. Jeder durfte selbst entscheiden, ob er Mehrarbeit als Überstunden abrechnen wollte oder via Minijob. Etwa zehn Prozent des Arbeitsvolumens seien laut Flughafen von den Minijobbern erledigt worden.

Es war alles ganz einfach: Der Mitarbeiter füllte ein Formblatt aus, die CAP leitete es an die Partner-Firma weiter, und die machte daraus einen 400-Euro-Vertrag. Zumindest die letzte Partnerfirma, von 1999 bis 2009 mit im Boot, nahm nach KPMG-Erkenntnissen "keine wie auch immer geartete Überprüfung eines von der CAP vermittelten Arbeitnehmers vor". Vorstellungsgespräche? Überflüssig.

Von den in seinem Namen geleisteten Stunden erfuhr das Subunternehmen erst am Monatsende. Es war nur auf dem Papier Arbeitgeber. Das Splitting einer einzelnen Schichten, wie von Mitarbeiter T., war eigentlich auch im CAP-System nicht erlaubt, dennoch kam es wohl immer wieder vor.

Involviert in das Spar-Modell waren über die Jahre mehrere Firmen. Als 1999 eines der Partnerunternehmen sein Sicherheitsgeschäft aufgab, fragte einer der CAP-Geschäftsführer seinen Jagdfreund, ob er mit seiner Firma nicht einsteigen wolle. Er wollte. Dass der Weidmann eine Putzfirma am Flughafen betrieb, störte niemanden. Fortan beschäftigte sie Hunderte Sicherheitsleute, um sie an die CAP auszuleihen.

Das Miteinander war so eng, dass der CAP-Betriebsleiter auch Betriebsleiter beim Subunternehmen wurde, jeweils freiberuflich. Erst sechs Jahre später gründete die Putzfirma für ihren "Bewachungszweig" ein "Protect"-Unternehmen. Am System änderte sich nichts. Dass die neue Firma keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hatte, störte offenbar niemanden. 2008 stieg ein weiterer Partner ins System ein: die Securitas, eines von Deutschlands größten Sicherheitsunternehmen und CAP-Minderheitsgesellschafter.

Es könnte sich ein gewaltiges Schlupfloch auftun, auch dank der Finanzämter, meinen nun die Prüfer: Das "jahrzehntelange Nichtaufgreifen" der Tricksereien sei "womöglich nicht ein bloßer Zufall" - es spiegle "das bei den Finanzbehörden vorhandene fehlende Problembewusstsein". Das Finanzamt hatte das Modell 1993 aus Sicht der CAP abgesegnet, bei den folgenden Steuerprüfungen gab es keine Einwände: Wenn also die staatlichen Prüfer schon nichts merkten, sei "auch von einem Steuerpflichtigen kein größeres Problembewusstsein zu verlangen". Nun soll die Justiz klären, ob "das Beschäftigungsmodell zwar rechtswidrig ist, aber keine Strafbarkeit vorliegt", wie die KPMG formuliert.

Die Eigentümer der CAP müssen sich fragen lassen, ob sie ihrer Kontrollfunktion gerecht wurden. In der Staatsregierung sieht man in Sachen Kontrolle aber keinen Handlungsbedarf: Es handle sich bei der CAP "nicht um ein systematisches Problem". Immerhin wurde das Modell CAP nach der Razzia sofort gestoppt, auch bei einer weiteren Flughafen-Tochter: Die "Medicare" beschäftigte ebenfalls einige Pseudo-Minijobber.

Als Trost für die nun gestrichenen Minijobs bekommen die CAP-Beschäftigten seit der Razzia einen "Treuebonus", wenn mal wieder viel los ist im Moos.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: