Flüchtlingspolitik:Gastfreundschaft auf bayerisch

Flüchtlingspolitik: Die syrischen Flüchtlinge sind auf engstem Raum untergebracht. Für 69 Menschen gibt es zwei Duschkabinen - eine für Männer, eine für Frauen.

Die syrischen Flüchtlinge sind auf engstem Raum untergebracht. Für 69 Menschen gibt es zwei Duschkabinen - eine für Männer, eine für Frauen.

(Foto: Innere Mission)

Die Bundesrepublik lädt syrische Flüchtlinge ein, nach Deutschland zu kommen. 69 von ihnen landen in notdürftig hergerichteten Containern in München. Die Zustände dort sind katastrophal - und schnelle Hilfe nicht in Sicht.

Von Bernd Kastner

Direkt gegenüber der Weltkarte hängt im Büro der Inneren Mission die Landkarte von Bayern, inklusive der passenden Hymne: "Gott mit dir, du Land der Bayern . . ." Auf den knapp drei Metern zwischen der Welt und Bayern ist ein Kommen und Gehen, die Sprachen gehen durcheinander, Deutsch, Englisch, Arabisch, Französisch. "Everything is breaking down", sagt Beate Lange-Kriegler, als ein Flüchtling einen Schein für einen Arztbesuch will. Wo anfangen? Um eine Taxirechnung muss sie sich auch kümmern, und um die Schulkinder, alles eilt. Dabei könnte es sich die Sozialpädagogin einfach machen und sagen: Bin nicht zuständig. Dann müsste sie sich lediglich um die gut 100 Asylbewerber in der Erstaufnahmeeinrichtung in Berg am Laim kümmern, aber nicht um die 69 syrischen Flüchtlinge. Denn die haben vom ersten Tag an ein Aufenthaltsrecht. Und trotzdem müssen sie mit den regulären Asylbewerbern in Containern leben.

Weil Lange-Kriegler nicht wegschaut, weil ihr das Schicksal der Menschen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen sind, nahe geht, ist sie wütend: "Es ist nichts, gar nichts geregelt." Ihr Chef, Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission, hat die Container neulich besucht und sich hinterher "erschüttert" und "entsetzt" gezeigt. "Beschämend" nennt er es, wie die Behörden von Bund und Land die Aufnahme der Syrer vorbereitet haben.

Alles so kurzfristig

Jetzt klopft eine Mutter, ihr Sohn ist am Knöchel verletzt. Arzt? Jetzt gleich? Lange-Kriegler ruft in der Praxis an. Tetanusgeimpft? Nein. Okay, sofort zum Doktor. Der Vater des Jungen hat ein Bärchen aus der Hosentasche hängen, einen Schlüsselanhänger, auf ihm steht: "Ich bin bärenstark." Das müssen sie auch sein, die 14 Familien, die Ende April und vergangene Woche in zwei Gruppen in der St.-Veit-Straße angekommen sind. Sie gehören zu den 10 000 Flüchtlingen, die die Bundesregierung aufzunehmen versprochen hat. Man hat sie aus dem Libanon kommen lassen, hat sie vom Grenzdurchgangslager Friedland nach Bayern geschickt. Und dort war nur Platz in den Containern, weil alles so kurzfristig war, sagen die Verantwortlichen.

"Sie sind nicht illegal gekommen", sagt Beate Lange-Kriegler, wieder und wieder: "Sie wurden eingeladen." Und mit Gästen müsse man doch anders umgehen. Als die Syrer aus den Bussen stiegen, 35 Kinder unter ihnen, eine Hochschwangere, eine Gehbehinderte, habe ihnen der Wachdienst den zweiten Stock in einem der beiden Containerbauten zugewiesen. Eine Begrüßung? Fehlanzeige. Ein Rollstuhl für die alte Frau? Kinderwagen? Nichts.

Zwei Duschen für 69 Menschen

Eine Mutter öffnet ihre Tür im ersten Stock: Fünf Betten für Eltern und vier Kinder, ein Bettgestell ist abmontiert, damit sie sich noch umdrehen können. Ein Container misst etwa 14 Quadratmeter. Ein paar Zimmer weiter: Eltern, drei Kinder plus Großmutter. Den 69 Menschen stehen zwei Duschkabinen zur Verfügung, eine für Frauen, eine für Männer. Zum Kochen gibt es eine Küche mit dreimal zwei Kochplatten und zwei Spülbecken. Keinen Küchentisch. Es gibt eine zweite Küche, aber die ist zugesperrt. Defekt.

Vor ein paar Jahren hatte die Sozialministerin die Schließung der etwa 20 Jahre alten Container an der Endstation der Tramlinie 19 angewiesen, die Zustände dort waren unhaltbar. Dann standen sie leer, wurden notdürftig saniert, und sind seit vergangenem Jahr wieder bewohnt, zunächst von Obdachlosen, dann von Asylbewerbern, offiziell immer als Provisorium. Jetzt leben dort also Gäste der Bundesrepublik. "Es sind extrem schutzbedürftige Menschen", sagt die Sozialpädagogin der Inneren Mission. Menschen, die vor dem Krieg geflohen sind.

Beschämende Zustände

Einen Betreuer hat die Regierung von Oberbayern engagiert, einen einzigen, es ist der Dialogbeauftragte vom Zentralrat orientalischer Christen in Deutschland. Er spricht mehrere Sprachen, er tut was er kann, von der Ankunft der ersten Gruppe wusste er gar nichts, und nach einer Woche ist er fast am Ende mit der Kraft. Neulich, erzählt er, habe er die Mitarbeiterin einer Krankenkasse hergebeten, damit die Leute zum Arzt gehen können. Weil es keinen Aufenthaltsraum gebe, haben sie auf der Tischtennisplatte zwischen den Containern Dutzende Anträge ausgefüllt. Im Stehen.

Wie soll ein einziger Dialogbeauftragter mit fast 70 Menschen, die kein Deutsch sprechen, nicht mal die Sprache lesen können, in den Dialog kommen? Es stehen ihnen die üblichen Sozialleistungen zu, dafür aber sind an die 1000 Seiten an Formularen auszufüllen. Die Syrer müssen Ämter besuchen und die Sparkasse, um ein Konto zu eröffnen. Viele Kinder sind schulpflichtig. Wer bringt sie zur Anmeldung? Wie sollen sie sich ohne Hilfe in München zurechtfinden? Wer erklärt ihnen, wie man ein Tramticket kauft und richtig löst? Welchen Arzt dürfen sie besuchen? Wie sollen sie dort hinkommen?

Ehrenamtliche unterstützen

Wegschauen? Nein, Beate Lange-Kriegler schaut hin, obwohl sie von der Regierung offiziell nicht beauftragt ist. Und auch Sarah Hergenröhter von "Save Me", einem Projekt des München Flüchtlingsrates, schaut hin. Um sie herum haben sich Ehrenamtliche gefunden, die mit dem Nötigsten aushelfen.

Fragt man die Behörden, wie alles so kommen konnte, verweist einen das bayerische Sozialministerium an die Regierung von Oberbayern. Dort sagt ein Sprecher: Man verstehe die Aufregung der Inneren Mission gar nicht. Okay, ist nicht ideal, diese Unterkunft, aber eigentlich sei doch alles geregelt. Und ein Betreuer für 69 Menschen sei mehr als der übliche Schlüssel für Asylbewerber. Und warum wurden die Syrer ausgerechnet nach München geholt, wo sie kaum eine Chance haben auf eine Wohnung? Die Regierung verweist zurück ans Ministerium, von dort dann die nichtssagende Auskunft, dass ein Landesbeauftragter die Leute verteile. Und dass demnächst noch weitere syrische Flüchtlinge kommen werden. Wohin? Keine Antwort. Und kein Hinweis auf irgendeine Planung.

Neuer Plan: Stacheldraht

Die Syrer sind, um es vorsichtig zu formulieren, enttäuscht. Das liegt daran, dass ihnen im Libanon, wo viele von ihnen in normalen Wohnungen lebten und Arbeit hatten, UN-Mitarbeiter erklärt hätten, dass sie in Deutschland Geld und Wohnung und Arbeit bekämen. Ob sie hin wollen? Ja, klar. Und jetzt das. Und keiner kann ihnen sagen, wie lange sie im Container ausharren müssen. "2,4 Millionen Menschen sind aus Syrien geflohen", sagt Hergenröther von "Save Me", "Deutschland nimmt zögerlich nur 10 000 Personen auf. Die wenigen Syrer, die in München ankommen, werden nun nicht einmal anständig untergebracht. Das ist einfach nur beschämend!"

Die Regierung überlegt derweil, wie es weitergehen soll, sucht Unterkünfte außerhalb Münchens. In der Stadt hat sie schon eine Alternative im Auge für die Container: die Bayernkaserne in Freimann. Dort würden dann 1000 Flüchtlinge leben, umgeben von Mauer und Stacheldraht.

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