Flüchtlingshilfe:"Es war schick, dabei zu sein"

Ankuft Flüchtlinge am HBF München

Der Empfang am Hauptbahnhof im September 2015 war ein soziales Ereignis, sagt Markus Vogt.

(Foto: Florian Peljak)

Warum beim Thema Flüchtlinge die Hilfsbereitschaft der Menschen besonders groß ist - und warum es in Ordnung ist, beim Helfen auch an sich selbst zu denken. Erklärungen eines Sozialethikers.

Interview von Katharina Blum und Elisa Britzelmeier

Im Büro des LMU-Professors Markus Vogt steht im Regal die Büste eines Flüchtlings. Joseph Görres war ein katholischer Publizist, im Jahr 1819, nach der Veröffentlichung einer politischen Kampfschrift, floh er nach Frankreich. Politisch Position beziehen: darin sieht Vogt, Leiter des Lehrstuhls für Christliche Sozialethik, auch die Zukunft der Flüchtlingshilfe.

SZ: Herr Vogt, täuscht der Eindruck, oder ist beim Thema Flüchtlinge die Hilfsbereitschaft besonders groß? Sie sind ja nicht die einzigen Menschen in Not.

Markus Vogt: Flüchtlinge sind zum Symbol geworden. Durch sie wird die Globalisierung sichtbar; das Elend, das wir aus den Medien kennen, steht bei uns vor der Tür und bekommt ein Gesicht. Zudem fühlen sich bei dieser großen kommunalen Aufgabe viele Menschen verantwortlich, mitzuarbeiten, aufzufangen, vor Ort etwas zu tun. Und Flüchtlingshilfe ist ein politisches Thema - man hilft nicht nur aus karitativer Motivation, sondern auch als Protest gegen Ausgrenzung. Wir erleben ja sehr polarisierte Reaktionen: Einerseits ist die Gewalt gegen Asylbewerberheime deutlich gestiegen, 2015 fünfmal so hoch wie im Vorjahr. Das ist erschreckend, aber nicht unbedingt repräsentativ für die Mehrheit. Neuere Untersuchungen zeigen andererseits, dass die Mehrheit der Deutschen nach wie vor bereit ist, Flüchtlinge aufzunehmen, und zwar auch sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge.

Warum helfen Menschen anderen überhaupt?

Helfen ist anthropologisch angeboren. Wir sind Sozialwesen. Die Vorstellung, dass nur der Egoismus angeboren sei, halte ich für falsch. Gleichzeitig hängt der Impuls mit unserer Kultur zusammen. Und natürlich stabilisiert das Helfen auch die eigene Identität.

Sich für eigene Privilegien rechtfertigen - kann das auch ein Motiv sein?

Ich denke schon, dass das ein Motiv ist, auch ein sehr berechtigtes. Weil man ja gestehen muss: Ja, wir haben von vielen Konflikten profitiert, etwa durch Waffenverkäufe. Unser Reichtum ist zwar nicht linear die Ursache für die Not anderswo. Aber es gibt viele Wirkungszusammenhänge, in die wir verwoben sind. Insofern gibt es eine ethische Verpflichtung, zu helfen - und das spüren viele.

Kann man sagen, wer das am deutlichsten spürt? Also bei welcher Gruppe die Hilfsbereitschaft besonders groß ist?

Es gibt statistische Untersuchungen vom April 2016, danach sind es etwa zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer, die sich engagieren. Wir beobachten, auch in anderen Bereichen, dass die mittlere Altersgruppe viel dünner ist, da sie beruflich stärker eingespannt ist. Was bemerkenswert ist: Fast die Hälfte derer, die sich engagieren, tut dies bislang nicht in anderen Organisationen oder Verbänden. Viele zeigen bei der Asylfrage zum allerersten Mal zivilgesellschaftliches Engagement.

Und wird diese neue Gruppe sich weiter engagieren oder ist das nur temporär?

Im Vergleich zu anderen großen politischen Katastrophen, bei denen die Hilfe oft sehr punktuell war, ist die Bereitschaft beim Thema Flucht lange geblieben. Auch jetzt ist sie immer noch da, nur fehlen oft die Strukturen. Natürlich war es am Anfang schick, dabei zu sein, zu helfen. Ein Stück weit war das sogar Ausdruck eines Lebensstils. Der Empfang am Hauptbahnhof war ein soziales Ereignis. In einer Notsituation dabei zu sein ist immer attraktiv, aber dauerhaft dabei bleiben, wenn es mühsam ist und man den Erfolg nicht schnell sieht - daran scheitern viele. Auch weil es schwierig ist, das Engagement mit dem beruflichen und familiären Alltag zu verbinden.

Klingt so, als würde sich zwangsläufig ein Gefühl der Ernüchterung einstellen?

Sicher, es wird bei vielen Ernüchterung geben, die hat aber auch einen sachlichen Grund: Mit Teddybären und Gummibärchen ist das Flüchtlingsproblem nicht gelöst. Gutwilligkeit und Willkommenskultur sind als menschliche Haltung der ersten Begegnung wichtig, auch für das Bild Deutschlands in der Welt. Aber es wäre naiv, zu glauben, dass diese Geste ausreicht. Die Ursachen für Flucht sind nicht behoben. Auch durch den Klimawandel könnte die Zahl der Flüchtlinge weiter zunehmen. Die Aufgaben für die Helfer werden komplexer, davor schrecken manche zurück. Jetzt braucht man langfristige Patenschaften oder Sprachunterricht.

Ist es verwerflich, sich durch das Helfen besser zu fühlen?

Nein. Hilfe ist ja auch dann positiv, wenn sie nicht nur aus Altruismus passiert. Menschen machen wichtige Erfahrungen, Hilfe zu leisten verschafft Befriedigung und gibt Anerkennung. Und Gesellschaft ist immer auch ein Kampf um Anerkennung.

Sollten die Helfer jetzt eine Pause machen?

Da muss jeder auf sich selbst hören. Wichtig ist, dass die Flüchtlingshilfe nicht beim gleichen Handlungsmuster stehen bleibt, sondern sich um die Ursachen kümmert, um internationale politische Zusammenhänge und den Aufbau von Strukturen.

Wo sehen Sie die Grenzen der Freiwilligenarbeit?

Bei rechtlichen und politischen Fragen ist eine gewisse Professionalisierung nötig. Das soll nicht heißen, dass man die Laien nicht mehr braucht. Aber Profis sollten die Laien begleiten - von ihnen gibt es noch zu wenige. Auch viele Profis werden dauerhaft überfordert sein, weil die Flüchtlingsbetreuung zu ihrem normalen Arbeitskontingent dazu kommt. Sehr viele Menschen haben auf der Flucht oder vorher in den Krisengebieten traumatische Erfahrungen gemacht. Das sind Verletzungen, die bleiben. Mit Traumata kann nicht jeder umgehen, da braucht es fachkompetente Beratung.

Im Ramadan haben viele Helfer zum Beispiel das Fastenbrechen organisiert. Braucht es auch mehr kulturelle Kompetenz?

Ganz klar: ohne kulturelle Kompetenz auch keine interkulturelle Kompetenz. Wenn man Menschen ernst nimmt, dann nimmt man sie ernst in ihrer Kultur, mit ihrer Religion, mit ihren Gebräuchen. Das heißt, dass wir auch von ihnen lernen können und müssen. Dass sie hier Heimat finden, bedeutet, ihnen die Möglichkeit zu geben, hier ihre Kultur zu leben. Viele Helfer haben positive Erfahrungen mit anderen Kulturen gemacht. Diese Begegnungen sind eine große Chance. Diffuse Ängste verlieren sich. Wenn man dem anderen begegnet, entsteht Verantwortung. Ich finde die Frage spannend, was Integration eigentlich heißt. Gibt es eine Leitkultur? Was heißt Heimat? Ist Heimat vielleicht auch die Fähigkeit, anderen Heimat zu geben? Das Bewusstsein für das Eigene entsteht oft in der Begegnung mit dem Fremden.

Kann das nicht auch umschlagen, so, dass man das Eigene für überlegen hält?

Sozialpsychologisch gesehen ist es eher so: Auf ein Weltbild mit klaren Feindbildern, wie es Pegida und AfD bieten, reagieren eher jene, die kulturell, familiär und religiös nicht fest verwurzelt sind. Die Angst vor dem Islam ist oft ein Ergebnis der verlorenen christlichen Identität. Interessanterweise funktioniert das Religiöse zusammen oft erstaunlich problemlos, auch muslimische Kinder können beispielsweise in einem katholischen Gottesdienst mitfeiern. Im Gegensatz zu AfD und Pegida ist vom christlichen Menschenbild her ganz klar: Da gehört die Offenheit für den Fremden dazu.

Kann Hilfe zum Problem werden?

Ja: Wenn Hilfsbedürftige als Objekte gebraucht werden, denn dann ist es keine Begegnung auf Augenhöhe. Menschlich oder ethisch tragfähig ist die Hilfe nur als Begegnung unter Gleichen. Wenn das Gefühl der eigenen Überlegenheit im Vordergrund steht, dann ist es keine Ermutigung, sondern eine Hilfe, die viel von Kränkung oder Demütigung haben kann. Deshalb sprechen wir auch nicht mehr von Entwicklungshilfe, sondern von Entwicklungszusammenarbeit. Aber es reicht eben nicht, nur das Wort zu ändern. Bis sich die elementare Einstellung geändert hat, ist es ein weiter Weg.

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