Flüchtlinge wollen zurück nach Hause:Wenn das Heimweh zu stark wird

Flüchtlinge wollen zurück nach Hause: Viele Syrer zieht es nicht in ihre Heimat direkt zurück, sondern in sichere Nachbarländer wie diese Frau, die mit ihrer Familie im Libanon lebt.

Viele Syrer zieht es nicht in ihre Heimat direkt zurück, sondern in sichere Nachbarländer wie diese Frau, die mit ihrer Familie im Libanon lebt.

(Foto: Joseph Eid/ AFP)

Die Nachrichten sind voll von Horrorbildern aus Syrien. Trotzdem wollen immer mehr Flüchtlinge, die in München untergebracht sind, wieder zurück nach Hause. In den allermeisten Fällen geben sie familiäre Gründe an

Von Julia Ley

Yasser und Mohammad treten ungeduldig von einem Bein auf das andere. Die beiden Syrer stehen in der Kälte vor ihrer Notunterkunft in Grünwald. Jedes Mal, wenn sie ausatmen, steigt vor ihrem Gesicht eine kleine Wolke auf. In ihrem Rücken liegt die Traglufthalle, in der sie untergebracht wurden. Es ist kein luxuriöses Zuhause, aber drinnen ist es zumindest warm.

Die provisorische Behausung ist nicht der Grund, warum Yasser und Mohammad hier so schnell wie möglich wieder wegwollen. Vor drei Monaten sind die beiden Cousins aus Syrien geflohen. Yasser hat sein IT-Geschäft verkauft, um das nötige Geld zusammenzubekommen. Gemeinsam bestiegen sie die unsicheren Boote über das Mittelmeer, dann ging es weiter durch Griechenland, Slowenien, Kroatien - bis sie schließlich in diesem Münchner Villenvorort landeten. Es war keine leichte Reise, sagen sie, teuer, gefährlich. Trotzdem wollen sie jetzt nur noch eins: nach Hause. "Ich kann nicht ohne meine Familie leben", sagt Mohammad. Er hätte erwartet, dass das alles schneller gehe in Deutschland: Arbeit, Wohnung, Familie nachholen. Stattdessen sitzt er seit drei Monaten rum. Sein Asylverfahren hat noch nicht einmal angefangen, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mit der Bearbeitung der Fälle nicht mehr nachkommt. Während Mohammad die Stunden totschlägt, sitzt seine Frau im Libanon und vermisst ihn - vor Kurzem hat sie erfahren, dass sie zum zweiten Mal schwanger ist.

Auch Mohammads Cousin Yasser hat sich ein besseres Leben erhofft, in Syrien gab es für ihn keine Perspektive mehr, wie er sagt. Hinzu kam, dass er und seine Frau keine Kinder bekommen konnten, fünf Jahre lang haben sie es versucht. Auch damit, hoffte er, würde man ihm in Deutschland helfen können. Doch dann kam alles anders. In Bayern angekommen, erreichte ihn die Nachricht seiner Frau: schwanger, endlich. Nun will er nur noch zurück.

Zerbombte Städte, Frauen, die vom IS versklavt werden, die ausgemergelten Gesichter der Kinder in Madaja - die Nachrichten sind voll von Horrorbildern aus Syrien. Warum um alles in der Welt kehrt jemand freiwillig dahin zurück?

Sylvia Glaser von der Münchner Rückkehrberatung "Coming Home", die mit Geld aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU und von der bayerischen Regierung finanziert wird, kann das auch nicht genau sagen. Zu ihr kommen vor allem Menschen aus Kosovo oder Albanien, die hier nicht bleiben dürfen. In jüngster Zeit aber schauten auch vermehrt Syrer, Iraker und Afghanen vorbei - Kriegsflüchtlinge, die durchaus Chancen auf Asyl haben. "In 80 Prozent der Fälle geben sie familiäre Gründe an", sagt Glaser. Der Vater gerade verstorben, die Mutter krank: Manche hätten es so eilig, dass sie nicht mal die knapp zwei Wochen warten könnten, die Glaser und ihre Kollegen in der Regel brauchen. "Die machen es dann auf eigene Faust", sagt sie.

Oft spielten wohl auch falsche Erwartungen eine Rolle, erklärt Glaser. Die Flüchtlinge seien nicht darauf vorbereitet, dass alles länger dauere. Das sei vor allem dann ein Problem, wenn die Familie weiter im Krieg ausharren muss. Gerade junge Menschen seien mit dem Druck und der Einsamkeit überfordert. Ihnen fehlten die sozialen Strukturen, die Einbindung in die Familie.

Krisja Popov, die für den Verein "Hilfe von Mensch zu Mensch" als Asylsozialberaterin in der Grünwalder Unterkunft tätig ist und Yasser und Mohammad betreut, teilt diese Einschätzung. Meist sei die Familie der Grund, manchmal auch das Gefühl, sich hier nicht zurechtzufinden. Aber es will nur zurück, wer auch zurück kann. Yasser und Mohammad seien deshalb eher eine Ausnahme: "Syrer zeigen mir oft die Bilder von ihren zerstörten Häusern", sagt Popov. "Wohin sollen die zurück?"

Dem Bamf zufolge wollten im vergangenen Jahr 13 Syrer zurück in ihre Heimat reisen. Allerdings ist diese Zahl wenig aussagekräftig, da die offiziellen Rückkehrberatungsstellen nur diejenigen beraten können, die auch wirklich nach Syrien zurückwollen. Die meisten Syrer wollen aber nicht nach Syrien, sondern in ein sicheres Nachbarland wie Jordanien oder Libanon. Sie tauchen also in der Statistik nicht auf.

Auch Yasser und Mohammad wollen nicht nach Syrien, sondern in den Libanon, wo ihre Familien leben. Ein Ticket dahin kostet zwischen 200 und 300 Euro. Viel Geld für sie, dennoch würden sie lieber heute als morgen fliegen. Tatsächlich sitzen sie aber fest. Popov, die Asylsozialberaterin in Grünwald, hat schon viele Stunden mit ihrem Fall zugebracht. Bei ihrer Ankunft in Passau habe die Bundespolizei den beiden die Pässe abgenommen, erklärt sie. Seither sind sie verschollen. Sie sollten in die Unterkunft nachgeschickt werden, doch dann landete anscheinend einer beim Bamf und einer bei der Münchner Verwaltung. Beim Bamf gehe niemand ans Telefon, in München können sie die Pässe nicht mehr auffinden. "Die Ämter sind überlastet, es herrscht totales Chaos", sagt Popov. Bis Yasser und Mohammad ausreisen können, dürften noch Wochen oder Monate vergehen. Wenn sie Pech haben, verpassen sie die Geburt ihrer Kinder.

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