Flüchtlinge stellen aus:Boote aus Papier und schwarze Luftballons

Jugendliche haben ihre Flucht in dem Projekt "Willkommenskultur" künstlerisch aufgearbeitet. Eine Ausstellung zeigt, was sie gerade beschäftigt

Von Andreas Schubert

Abdou wirkt schüchtern. Der 14-jährige Junge ist vor acht Monaten mit seinen Eltern und seiner Schwester aus Gambia in Westafrika geflüchtet und in München gelandet. Viel erzählen mag er nicht von seinen Erlebnissen während der Flucht und warum seine Familie ihre Heimat verlassen hat. Er habe schon Freunde gefunden hier, sagt er. Aber wenn man ihn fragt, was er sich für die Zukunft wünscht, sieht er einen traurig an und sagt in gebrochenem Deutsch: "Ich will nicht dableiben, ich will wieder nach Gambia."

Sie kommen aus Kriegs- und Krisengebieten, aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Eritrea, Gambia oder anderen Ländern, in denen sie verfolgt wurden, Tod und Zerstörung mitansehen und bittere Armut erleiden mussten. Und sie haben zum Teil unbeschreibliche Strapazen durchgemacht, um nach Europa zu gelangen. Doch was sie hier erwartet und wie es weitergeht, wissen die jungen Flüchtlinge nicht. Sie können oder dürfen nicht darüber reden.

Vor einem halben Jahr hat der Münchner Verein "little Art" deshalb das Kunstprojekt "Willkommenskultur" auf die Beine gestellt, in denen Flüchtlinge ihre Erlebnisse, Traumata aber auch ihre Hoffnungen auf Bildern darstellen, um sie so zu verarbeiten. Das Projekt wird vom Kulturreferat der Stadt unterstützt, beteiligt haben sich minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, junge Flüchtlinge, die mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen sind sowie zwei Übergangsklassen für Flüchtlingskinder der Mittelschule an der Führichstraße in Ramersdorf.

Seit Dienstag sind die Werke in der Zentrale der Wohnungsbaugesellschaft Gewofag (Kirchseeoner Straße 3) ausgestellt und bis 24. Juli zu sehen. Die Ausstellung trägt den Titel "Das Fremde ganz nah". Zu sehen ist die künstlerische Aufarbeitung einzelner Phasen, wie sie die meisten Flüchtlinge durchmachen müssen: Die Flucht aus dem Heimatland, die Ankunft in Europa, die Clearing-Phase, in der die Behörden etwa feststellen, ob die Ankömmlinge wirklich noch minderjährig sind. Sie haben sich mit der Verteilung auf Unterkünfte irgendwo in Deutschland beschäftigt, und auf Deutsch oder Englisch kleine Textbotschaften aufgeschrieben, was sie gerade beschäftigt. "I miss you Mommy", steht auf einem Zettel - Mama, ich vermisse dich.

Es sind Bilder, Objekte, Texte und Kunstinstallationen, darunter überdimensionale Werke, die im Raum schweben. Die Jugendlichen haben zum Beispiel Pässe als Artefakte nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltet, sie haben Porträts gezeichnet, Flaschenpost gebastelt mit Briefen an ihre Mütter. An Schnüren hängen kleine Schiffchen, die für die Überfahrt vieler Flüchtlinge nach Europa stehen. Und auch am Boden sind Boote aus Papier zu sehen, sie symbolisieren diejenigen Menschen, die bei ihrer Flucht übers Meer ums Leben gekommen sind. Bei der Eröffnung der Ausstellung gedachten die jungen Teilnehmer dieser Opfer, indem sie symbolisch schwarze Luftballons im Gewofag-Foyer in die Luft steigen ließen und eine Schweigeminute einlegten.

Den Jugendlichen zu vermitteln, dass sie hier willkommen sind, sei das Wichtigste, betont Elena Janker, Leiterin von "little Art". Bei dem Projekt haben Künstler die Kinder und Jugendlichen in ihrer Gewofag-Unterkunft an der Rosenheimer Straße und in der Führichschule zweimal im Monat besucht und mit ihnen gearbeitet. "Wir können den Jugendlichen durch das kreative Gestalten ein Gefühl von Freiheit und Willkommen-Sein geben", sagt Janker. Die Zeit der Solidarität sei gekommen. "Wir sollten ein Konzept des Miteinanders leben, nicht eines der Abgrenzung."

Das Projekt "Willkommenskultur" will, darauf deutet der Name hin, auch eine Brücke zwischen den Kulturen sein und die Verbindung zwischen den Münchnern und den Flüchtlingen stärken. Offenbar mit Erfolg: Viele Münchner hätten ihre Unterstützung angeboten, sagt Janker - so viele, dass nicht alle Angebote wahrgenommen werden konnten.

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