Gulam Sarvar kennt das Gefühl schon sehr lange, nicht zu wissen, wem man trauen kann und wem nicht. In Afghanistan wusste er oft nicht, wer seiner Familie schaden wollte, wer ein Freund war und wer nicht. Wie sollte man auch einen Taliban-Kämpfer ausmachen, wenn der doch die gleiche Sprache spricht, die gleiche Kleidung trägt? In der Provinz Parwan im Osten des Landes ist Sarvar aufgewachsen und zur Schule gegangen. 1987 verließ er Afghanistan zum ersten Mal, um in der früheren Sowjetunion militärisches Recht zu studieren. Dort lernte er seine erste Frau kennen, mit der er drei Kinder hat. Ein Sohn, zwei Töchter, Samim, Kamila und Karima, mittlerweile 23, 19 und 17 Jahre alt. Dort, im heutigen Russland, erhielt er die ersten schrecklichen Nachrichten aus der Heimat. In seinem ersten Studienjahr verlor er den Vater. Ein Jahr darauf den älteren Bruder. Schließlich die Mutter und die jüngere Schwester. Eine ältere Schwester hat der Krieg zur Invalidin gemacht.
Trotzdem ging er 2013 nach der Scheidung von seiner Frau zurück in die Heimat. Auch in Russland habe er sich nicht sicher gefühlt, sagt Sarvar. Er erzählt von Skinheads, die Ausländer ermorden und die Videos ihrer Gräueltaten ins Internet stellen und sich damit brüsten. Dort wollte er nicht länger bleiben.
Für den Neuanfang in Afghanistan hatte ihm der Schwager einen Job bei einer Sicherheitsfirma besorgt, und seine Schwester suchte eine neue Ehefrau für ihn aus. Bei der Hochzeit sah Gulam Sarvar seine Frau Fazila zum ersten Mal. Ein bisschen wie ein Glücksspiel sei das gewesen, aber so sei es nun mal üblich. Seine Frau spricht kein Englisch. Wenn der Ehemann die Geschichte ihrer Flucht erzählt, kümmert sie sich um die beiden Jungs.
Als in den Monaten davor das erste Mal das Telefon klingelte und er bedroht wurde, habe er dies noch für einen schlechten Scherz gehalten, so schildert es Sarvar. Doch dann entdeckte er typische Zettel an seinem Haus, mit denen die Extremisten ihre Angriffe ankündigten. "Da wusste ich, dass das kein Witz ist." Also verkaufte er das Haus des Vaters, um genug Geld für die Schleuser zu haben. Als das beisammen war, hätten diese bloß noch gefragt: "Welche Dokumente hast du?"