Flüchtlinge in München:Nach dem Arztbesuch geht es einem oft schlechter als zuvor

Arztpraxis

Wenn die Nase juckt, füllen sich Münchens Wartezimmer.

(Foto: dpa)

Unsere Autorin stammt aus Uganda, dort ist das Misstrauen gegenüber Ärzten groß. In Deutschland verlor sie ihre Angst zwar nicht, dafür aber einige Pfunde.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Warten ist typisch undeutsch. Ich habe die Menschen, die hier leben, so kennengelernt, dass sie die Dinge anpacken - dass sie etwas tun, statt zu warten, bis sich ein Problem von selbst erledigt. Es gibt allerdings Momente, da ist Warten unerlässlich. Und damit tun sich in München viele schwer. Zum Beispiel, wenn wie in diesen Wochen die Grippewelle durch die Stadt geht. Wenn die Leute krank werden.

Krank sein passt hier nicht ins Konzept. Wer krank ist, muss beim Arbeiten zurückstecken. Die Leute können es deshalb nicht erwarten, die Grippe wieder loszuwerden und rennen beim ersten Anzeichen eines Schnupfens zum Arzt. Seit die Grippe umgeht, sind die Warteräume der Praxen jedenfalls voll mit Patienten. Als ich mir kürzlich ein Rezept abholte, da hatte sich sogar an der Rezeption eine Schlange gebildet. Die Leute haben also gewartet, um ins Wartezimmer gelassen zu werden. Wenn die Nase juckt, verfallen viele Münchner in Hysterie.

Die vollen Wartezimmer kommen nicht von ungefähr. Wie man es auch dreht und wendet: Warten gehört zum Leben einfach dazu, das Warten ist vielleicht sogar Teil der menschlichen Natur. Wo ich herkomme, ist Warten deutlich akzeptierter, was manchmal gut ist, und manchmal nicht. In Uganda sitzen viele Menschen ihre Krankheiten aus. Ich selbst und viele afrikanische Freunde, wir tun uns schwer mit dem Gedanken, zu einem Doktor zu gehen, auch in München. Wenn ich einen Arzttermin habe, dann bin ich vorher so nervös, dass ich schier durchdrehe. Sprich: Wenn es um Ärzte geht, sind Afrikaner ziemliche Schisser.

Vielleicht liegt es an unserer Gewohnheit zu warten, bis sich eine Krankheit von selbst erledigt. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass Arztbesuche in Afrika nicht so komplikationsfrei ablaufen wie in München. In jedem Fall ist eine Untersuchung mit einer pfundigen Rechnung verbunden. Oft geht es einem nach der Spritze vom Doktor dann noch schlechter als vorher - der Arzt ist in Uganda oft die Vorstufe zum Hospital.

Vor Krankenhäusern habe ich bis heute einen Horror. Schrecklich, als ich wegen einer Lebensmittelvergiftung in eine Münchner Klinik musste. Wahrscheinlich wäre ich auch so ohnmächtig geworden, das erledigte aber vorher die Narkose. Nach dem Eingriff ging es mir schnell wieder besser, nur hatte ich jetzt ein neues Problem: Weil die Ärzte hier offensichtlich ein ernsthaftes Interesse haben, dass ein Patient gesund wird, behalten sie ihn mehrere Tage da. Und je länger ich dort war, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass ich halb verhungere.

Die deutsche Küche ist wirklich vorzüglich, in vielen Bereichen. Im Krankenhaus aber definitiv nicht. Hippocrates sagte einmal: "Lass die Nahrung deine Medizin sein und Medizin deine Nahrung!" Wahrscheinlich kannten sie diesen Satz in der Klinik nicht, denn die Portionen waren so klein, dass nicht einmal ein Kleinkind satt geworden wäre, ganz zu schweigen vom Geschmack. Zunächst dachte ich, dass das eine meiner ugandischen Spitzfindigkeiten ist. Doch als mein Bettnachbar mein trauriges Gesicht sah, da stimmte er mir vollends zu.

In Uganda glauben wir, dass man schneller wieder auf die Füße kommt, wenn man viel isst. In Regionen, wo Hungersnot herrscht, ist krank sein dann sogar eine Art Privileg. In München glauben sie nicht an die Heilkraft des Essens, zumindest nicht in diesem Krankenhaus. In München glauben sie an ihre Medikamente und Ärzte. Die afrikanische Variante hat bei mir bisher immer funktioniert. Und auch wenn ich nach Verlassen der Münchner Klinik einige Pfunde leichter war: Die deutsche Variante, die funktionierte genauso gut.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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