Flüchtlinge in München:Endstation Hauptbahnhof

Flüchtlinge in München: Gerade am Münchner Hauptbahnhof angekommen: Die Polizei geleitet Flüchtlinge zur neuen Registrierungsstelle.

Gerade am Münchner Hauptbahnhof angekommen: Die Polizei geleitet Flüchtlinge zur neuen Registrierungsstelle.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Tausende Flüchtlinge kommen jeden Monat am Münchner Hauptbahnhof an.
  • Die Regierung von Oberbayern hat eine neue Registrierungsstelle im Bahnhof eingerichtet, um die Aufnahmeprozedur für Asylsuchende zu vereinfachen.
  • Die Beamten werden häufig von Passanten angefeindet, wenn sie die Flüchtlinge aus den Zügen zur Registrierung bringen.

Von Susi Wimmer und Philipp Schulte

Die ganze Welt ist vernetzt. Und Google Maps weist alle Wege. Auch den Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen. Angehörige, die es bereits geschafft haben, schicken ihnen Fotos von Landkarten, auf denen die Stelle markiert ist, wo sie sich melden sollen: Die Pin-Nadel steckt am Nordausgang des Münchner Hauptbahnhofs, an der Raucherecke. Dort, wo auch die Beamten der Bundespolizei eine Zigarette qualmen. Die Ankömmlinge zupfen sie am Uniformärmel und sagen meist nur ein Wort: Asyl.

Der Münchner Hauptbahnhof ist zum Anlaufpunkt für Flüchtlinge geworden. Im Juli kamen 2977 Menschen hier an, vor allem aus Syrien, Eritrea, Somalia und Äthiopien, im August waren es bis Montag bereits 1592. Die Regierung von Oberbayern hat reagiert und am vergangenen Freitag eine neue Registrierungsstelle im Bahnhof eingerichtet, um die Aufnahmeprozedur für Asylsuchende zu vereinfachen. Die Bundespolizei sieht sich personell am Anschlag, und manchen Beamten begleitet mittlerweile ein mulmiges Gefühl, wenn am Bahnsteig ein Zug aus Italien einfährt. Denn es kommt nicht selten vor, dass die Beamten von Reisenden als Rassisten oder Faschisten beschimpft werden.

Beschimpfungen am Bahnsteig

Hauptbahnhof München, Gleis zwölf. Der Eurocity 88 aus Verona fährt ein. 16 Polizisten stehen am Bahnsteig. Sie tragen blaue Gummihandschuhe. Max Feigl und sein Einsatzteam mustern die Reisenden. Bald kommen ihnen die ersten Flüchtlinge entgegen. Die Beamten fragen nach dem Ausweis, den die Neuankömmlinge oft nicht haben. Immer mehr Flüchtlinge steigen aus dem Zug. Am Gleis hat sich ein Pulk gebildet, gut hundert sind es diesmal. Andere Reisende quetschen sich durch. Einer ruft den Polizisten zu: "Keine Grenzen, keine Deportationen. Schämt Euch."

Täglich kommen Asylsuchende in Zügen aus Italien, Österreich oder Ungarn in der Landeshauptstadt an, sechs bis acht Bahnverbindungen von 14.30 bis 22.30 Uhr haben die Polizisten vor allem im Blick, hinzu kommen die Nachtzüge. Am vergangenen Wochenende kamen 708 Flüchtlinge, im Schnitt sind es derzeit täglich 160. Der Pulk setzt sich in Bewegung, begleitet von Beamten. "Ich will nach Schweden, da ist meine Schwester", sagt ein Eritreer, doch jetzt geht es zum Registrierungsraum im Starnberger Flügelbahnhof. Passagiere sind dort kaum zu sehen. Polizisten sichern die Eingänge, verteilen Wasser und Müsliriegel. Hinten in der Ecke befindet sich die Registrierung, hinter Absperrungen warten die erschöpften Neuankömmlinge. Nur in kleinen Gruppen werden sie in den Raum gelassen. Kinder und Familien zuerst.

Die Situation lässt niemanden kalt

Es wird Stunden dauern, bis alle Flüchtlinge aus dem Eurocity 88 registriert sind. Im Raum läuft der Ventilator auf Hochtouren. Eine Frau mit Kopftuch sitzt weinend auf einem Stuhl. Dann bittet sie ein Beamter auf Englisch zur ersten von drei Registrierungsstationen. Sie gibt ihre Personalien an, wird fotografiert und ein Fingerabdruck wird genommen. Polizisten tippen die Daten in die Laptops. Am Ende hat sie die Bescheinigung als Asylsuchende.

Draußen sitzen die anderen auf ihren Taschen oder Koffern. Ein 17-Jähriger aus Mali steht an der Absperrung. Auf einem Boot ist er über das Mittelmeer nach Europa geflohen. Wo sein Bruder gelandet sei, wisse er nicht. Aber er hat einen Plan: "Hier in Deutschland will ich Fußball spielen und Deutsch lernen." Ein Flüchtling aus Eritrea hat einen anderen Wunsch. Durch den Sudan und Libyen ist er geflohen, dann mit einem überfüllten Boot nach Italien. Jetzt will er weiter nach Holland. Er hat Angst vor der Registrierung und bittet einen Polizisten: "Sagen Sie, dass wir nur zehn Leute sind, die nach Holland wollen." Der Beamte erklärt ihm, dass Deutschland nun sein Erstaufnahmeland sei. Glücklich macht ihn die Antwort nicht.

Flüchtlinge in München: Das Landratsamt geht weiter von 9000 Flüchtlingen bis Jahresende aus - auch wenn derzeit keine neuen Flüchtlinge, wie hier in München, ankommen.

Das Landratsamt geht weiter von 9000 Flüchtlingen bis Jahresende aus - auch wenn derzeit keine neuen Flüchtlinge, wie hier in München, ankommen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Alle Flüchtlinge müssen registriert werden

Registrierungsstelle für Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof, 2015

In der Registrierungsstelle im Starnberger Flügelbahnhof weist ein Schild in englischer Sprache auf Trinkwasser hin.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

"Es gibt Gesetze, und an die müssen wir uns halten, wir sind Polizisten", sagt Jürgen Vanselow, Chef der Bundespolizei am Hauptbahnhof. Das Gesetz definiert die unerlaubte Einreise als Straftat, "das heißt, wir müssen eingreifen und die Asylsuchenden vom Zug zum Bearbeitungsraum im Starnberger Flügelbahnhof bringen und Anzeige erstatten", sagt Vanselow. Allein dieses Bild, dass uniformierte Polizisten eine Gruppe von oft dunkelhäutigen Menschen durch den Bahnhof geleiten, ruft andere Reisende auf den Plan: "Aha, deportieren sie schon wieder Menschen", bekommen die Beamten zu hören. Zum Hauptkommissar Ralf Schiller sagte eine alte Dame: "Das ist ja hier wie vor 70 Jahren."

Polizeioberkommissarin Kerstin Schuster sagt: "Oft sind es Worte oder auch verächtliche Blicke, oder die Menschen zücken den Fotoapparat oder ihre Handys, um uns zu filmen." Psychodruck sei das, findet Schiller. Wenn der Verdacht auf Krankheiten wie Krätze bei der Asylsuchenden besteht, ziehen die Polizisten blaue Handschuhe an, um sich zu schützen. Auch das wird kommentiert. Ralf Schiller sagt, er gehe mittlerweile "nicht mehr gerne" an die Züge aus Italien und Österreich heran. Und wenn jemand auf ihn einschimpft, dann reagiert er mit der Antwort, er mache doch bloß seine Arbeit.

Die Beamten müssen sich wehren

Inspektionsleiter Vanselow kann derartiges schon nicht mehr hören. "Wenn die Worte Nazi, SS oder ähnliches fallen, werden wir uns rechtliche Schritte überlegen", sagt er. Was die Hautfarbe von Menschen anbelange, "da sind wir farbenblind". Fünf Prozent der Beamten bei der Bundespolizei haben selbst einen Migrationshintergrund. Jamie Richmond, eine 22-jährige Polizeimeisterin mit amerikanischem Vater, und Hüseyin Arin, 43, Hauptkommissar mit türkischen Wurzeln, wurden noch nie derart beleidigt. Hüseyin Arin kam mit acht Jahren in München an, er studierte Jura und ist seit zehn Jahren als Bundespolizist am Münchner Hauptbahnhof tätig. "So gesehen bin ich auch ein Flüchtling, ein Wirtschaftsflüchtling", sagt er. Seine Kollegen seien empathisch mit den Ankommenden "und die Schicksale, die wir hier sehen, die lassen keinen kalt".

Die Menschen kommen nicht nur mit Zügen, sondern auch mit Lkw oder Bussen an den Hauptbahnhof. Kürzlich klingelten 25 Nigerianer an der Wache und baten um Einlass. Ralf Schiller wurde am Gleis von einem Neunjährigen stumm am Ärmel gezupft. Der Junge kam alleine aus Eritrea, ohne Gepäck. Ein Afghane schwankte so sehr, dass die Beamten glaubten, er sei sturzbetrunken. Der Alkoholtest ergab null Promille. Der Mann hatte auf der Flucht seit drei Tagen nicht mehr geschlafen. Oder der zwölfjährige Bub, der vor der Wache stand. Sein Vater sei in Syrien erschossen worden, erzählte er. Sein Onkel habe ihn hier vor der Wache abgesetzt - und sei dann verschwunden.

Die Aufgaben der Bundespolizei, sagt Vanselow, haben sich verändert. Man gehe kaum noch Streife, um im Hauptbahnhof nach dem Rechten zu sehen, man reagiere nur noch auf die wachsende Zahl der Flüchtlinge. "Die meisten Asylsuchenden sind ja froh, hier angekommen zu sein", sagt Vanselow. Es gebe auch viel Sympathie und Dankbarkeit. Aber es gebe auch welche, die versuchen über den Bahnhof oder die Gleise abzuhauen. Hier hat der Inspektionsleiter einen "moderaten Umgang" angeordnet, es soll keine "hässlichen Szenen" im Hauptbahnhof geben. Es sei immer abzuwägen, ob es dafür stehe, einen Flüchtigen durch das Bahnhofsgebäude zu verfolgen.

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