Flüchtlinge:Gut integriert reicht nicht, um zu bleiben

Flüchtlinge: Viele Münchner kennen den Biss-Verkäufer Afride vom Pasinger Bahnhof. Aber wie lange darf er hier noch stehen?

Viele Münchner kennen den Biss-Verkäufer Afride vom Pasinger Bahnhof. Aber wie lange darf er hier noch stehen?

(Foto: Catherina Hess)

Shakir Afride kam aus Pakistan nach München. Das Asylverfahren zieht sich über Jahre - nun bleiben ihm 30 Tage Zeit, um "freiwillig" auszureisen.

Von Inga Rahmsdorf

Shakir Afride ist bekannt am Pasinger Bahnhof. Viele der vorbeieilenden Menschen grüßen den schlanken Mann mit dem Schnauzbart, der fast täglich dort steht, aufrecht, mit einer Zeitung in der Hand und einem etwas zurückhaltenden Lächeln. Und Afride kennt viele seiner Kunden.

Seit fast zwei Jahren verkauft der 46-Jährige das Straßenmagazin Biss. Afride hat mit 400 Zeitungen im Monat angefangen, mittlerweile verkauft er 800 Stück. Sonntags putzt er seine Wohnung, kocht und geht spazieren, über den Marienplatz oder durch den Englischen Garten.

Afride ist fest angestellt bei Biss, er bezieht keine Sozialleistungen, zweimal in der Woche geht er zum Deutschkurs. Vielleicht könnte er bald aufstocken und 1000 Zeitungen im Monat verkaufen.

Doch von all dem steht nichts in dem Brief, den Afride nun vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekommen hat. Dort steht nur, dass er 30 Tage Zeit hat, um Deutschland zu verlassen. Und dass es Großstädte in Pakistan gibt, in denen er anonym leben könnte und nicht in Gefahr wäre. Ein weiterer Zettel liegt dem Brief bei, überschrieben mit "Freiwillige Rückkehr in Ihre Heimat". Doch Afride will nicht zurück.

Die Terroristen spürten ihn immer wieder auf, bedrohten ihn und seine Familie

Etwas mehr als dreieinhalb Jahre ist es her, dass er bei Passau die Grenze überquerte und um Asyl bat. Deutschland war nicht sein Ziel gewesen, sondern eher Zufall.

Der Familienvater hatte keinen Plan gehabt, als er seine Frau und seine neun Kinder in Pakistan eineinhalb Jahre zuvor verlassen hatte. Er hatte nur ein Ziel: in Sicherheit leben und arbeiten zu können. Das war in seiner Heimat nicht mehr möglich gewesen.

Dort hat er im afghanischen Grenzgebiet beim Militär gearbeitet. Dann wurden er von der Terrororganisation Lashkar-e-Islam aufgefordert, nicht mehr für die Regierung, sondern für sie zu kämpfen. Afride weigerte sich und versteckte sich innerhalb Pakistans. Doch die Terroristen spürten ihn immer wieder auf, bedrohten ihn und seine Familie, bis er das Land verließ.

Er floh durch Iran, den Irak, die Türkei. Er schlief auf der Straße oder im Wald, lief zu Fuß oder wurde in Lastwagen mitgenommen. Manchmal, sagt er, hatte er etwas zu essen. Und manchmal nicht. Nach eineinhalb Jahren gelangte er schließlich nach Deutschland.

Sechs Männer in einem Raum - drei Jahre lang

Afride redet abends manchmal mit den Pflanzen in seiner Münchner Wohnung. Er lebt allein. Wenn er über die Wohnung spricht, dann klingt es, als könne er sein Glück eigentlich immer noch nicht fassen. Ein kleines Zimmer mit Küche und Bad. Eine Privatsphäre zu haben, an die er sicher zurückkehren kann.

"Meine kleine Welt", sagt Afride und strahlt. "Für mich ist es eine große Welt." Jahrelang war er auf der Flucht, erst in Pakistan, dann auf dem Weg nach Europa. In Deutschland hat er sich mit fünf anderen Asylsuchenden ein Zimmer geteilt, in einer Gemeinschaftsunterkunft in Mindelheim.

Drei Jahre lang. Es gab Konflikte, sechs Männer in einem Raum. Der eine wollte früh schlafen, der andere abends Musik hören. Anfangs durfte Afride nicht arbeiten. Es gab keinen Deutschkurs. Nur ausharren. Warten auf die Antwort auf den Asylantrag.

Als Afride immerhin eine Arbeitserlaubnis erhielt, machte er sich auf die Suche, doch in Mindelheim fand er nichts. Er fuhr nach München, erhielt einen Job in einer Reinigungsfirma, aber musste in der Mindelheimer Unterkunft bleiben. So schreibt es das bayerische Asylgesetz vor. Afride pendelte, täglich 90 Kilometer. Der Großteil seines Lohnes ging für die Fahrkarte drauf und für das Bett in der Unterkunft, für das er zahlen musste.

Eines Tages sprach er am Ostbahnhof einen Biss-Verkäufer an, neugierig geworden stellte er sich dort vor, und wurde schließlich fest angestellt. Er hatte Glück, Biss ist ein soziales Projekt, wer dort arbeitet, ist kein Tagelöhner, sein Arbeitgeber half ihm auch, eine Wohnung in München zu finden. Doch selbst da durfte er nicht umziehen.

Die Hürden für eine Ausnahmegenehmigung sind hoch

Es begann ein zäher bürokratischer Kampf. Der Freistaat erlaubt nicht, dass ein Asylsuchender aus der Unterkunft auszieht, bevor sein Verfahren beendet ist. Afride stellte einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung, doch die Hürden dafür sind hoch. Er musste einen unbefristeten Arbeitsvertrag vorlegen, einen Mietvertrag, schuldenfrei sein und durfte keine Leistungen vom Amt beziehen.

"Es ist so absurd", sagt Sozialarbeiter Johannes Denninger von Biss. "Es wird immer gefordert, dass die Flüchtlinge Integrationsleistungen erbringen sollen. Aber sie müssen so viel leisten, um überhaupt erst einmal auf Null zu kommen. Und wenn jemand dann all diese Hürden genommen hat, und sich hier integriert hat, wird er nach so langer Zeit einfach abgeschoben, ohne dass seine Integrationsleistungen auch nur erwähnt werden."

Wie lange es dauere, bis über einen Asylantrag entschieden werde, sei abhängig vom Bundesamt und völlig unvorhersehbar, sagt Rechtsanwalt Michael Krebs, der Afride vertritt. "Das ist eine große Unsicherheit, die psychisch belastet." Einerseits sei das Asylrecht hoch aufgehängt im Grundgesetz.

Andererseits werde dieses aber mit Füßen getreten, wenn die Verwaltung nicht in der Lage sei, die Anträge in angemessener Zeit zu bearbeiten. Krebs klagt nun gegen Afrides Ablehnungsbescheid. Er sei sehr pauschal und gehe nicht auf die individuellen Belange ein.

Afride hat Angst davor, dass er zurück nach Pakistan muss. Was er sich wünscht? Er schaut irritiert und lächelt dann vorsichtig, als wäre sein Wunsch eigentlich zu anspruchsvoll. "In Frieden leben und arbeiten."

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