Flüchtlinge:"Es liegt uns fern, Leute zu bestrafen"

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  • Im fensterlosen Keller der früheren Osram-Zentrale sollen Flüchtlinge eingesperrt worden sein, die betrunken waren oder gegen die Hausordnung verstoßen haben.
  • Auch fühlen sich einige Bewohner von den Mitarbeitern schikaniert.
  • Der Hausleiter sagt, die Flüchtlinge konnten tatsächlich in dem Raum ihren Rausch ausschlafen, aber "die Tür stand immer offen".

Von Inga Rahmsdorf, München

Der Raum liegt im Keller, er ist eng, misst nur wenige Quadratmeter, die Luft ist stickig. Die Wände sind weiß und ohne Fenster, der Fußboden ist gekachelt. Die Klimaanlage in der Decke rattert so stark, dass man lauter sprechen muss, um sich zu verständigen. Die Stadt bezeichnet ihn als Krisenraum, die Johanniter als Schutzraum, einige der Flüchtlinge als Gefängnis.

Ausnüchterungszelle beschriebe es vielleicht auch ganz gut. Hier im Keller der Flüchtlingsunterkunft in der früheren Osram-Zentrale sollen Asylsuchende über Nacht verwahrt oder eingesperrt worden sein, weil sie betrunken waren oder gegen die Hausordnung verstoßen haben. Das berichten zumindest einige Flüchtlinge sowie zwei ehemalige Mitarbeiter der Unterkunft. Bewohner seien zudem von Mitarbeitern schikaniert und gewalttätig angegriffen worden.

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Auch Rebecca Kilian-Mason vom Infobus des Flüchtlingsrats berichtet, dass ihr Bewohner ähnliche Vorfälle geschildert hätten. Der Infobus fährt regelmäßig Unterkünfte an. "Wir hören oft von Schwierigkeiten mit Sicherheitsdiensten", sagt Kilian-Mason, "aber die Häufung der Beschwerden in der Hellabrunner Straße ist eklatant."

Es kursieren viele Geschichten über Missstände in Unterkünften. Oft sind es Gerüchte, bei denen nur schwer zu ermitteln ist, was davon wahr ist. Hellhörig macht aber, wenn mehrere Seiten von ähnlichen Vorfällen berichten - auch wenn das allein kein Beleg ist.

Auf dem Gelände an der Hellabrunner Straße drehte sich bis vor wenigen Jahren alles um Licht und Leuchten. Nun leben in dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Firma Osram fast 800 Flüchtlinge. Verantwortlich für die Unterkunft ist die Stadt, geleitet wird sie von den Johannitern, die auch die Bewohner sozial betreuen.

Die Tür stand immer offen, sagt der Heimleiter

Christopher Thomson von den Johannitern, der Leiter der Unterkunft, führt durch das Gebäude und schließt die Tür zu dem kleinen Kellerraum auf. Ja, hier habe eine Matratze gelegen, sagt er. Mehr passt auch nicht in den Raum. Und, ja, stark alkoholisierte Flüchtlinge seien hierher gebracht worden, um über Nacht ihren Rausch auszuschlafen. Allerdings stets freiwillig. "Die Tür stand immer offen. Sie konnten jederzeit den Raum verlassen."

Und immer sei ein Sicherheitsmitarbeiter in der Nähe gewesen. "Es liegt uns fern, Leute zu bestrafen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen zu helfen", sagt Thomson. Und er versichert, dass Flüchtlinge dort nicht wegen Fehlverhaltens eingesperrt worden seien. Der Raum werde nun auch nicht mehr genutzt. Wie ein Sprecher des Sozialreferats berichtet, hat die Stadt veranlasst, das Krisenzimmer ins Erdgeschoss zu verlegen. Aus Brandschutzgründen und weil es im Untergeschoss zu abgelegen sei - gerade für traumatisierte Menschen.

Aber warum sollte jemand freiwillig in diesem engen, fensterlosen Raum bleiben, auch wenn er betrunken ist? Die Betroffenen hätten die Wahl gehabt zwischen Polizei und Krankenhaus oder eben diesem Raum, sagt Thomson. Die meisten hätten sich für diese Option entschieden.

Das Sozialreferat teilt mit, dass es Krisenzimmer grundsätzlich für sinnvoll hält, um eine Belästigung oder Gefährdung anderer Bewohner in einer Unterkunft zu vermeiden. Allerdings dürften dort auf keinen Fall "freiheitsentziehende Maßnahmen durchgeführt werden".

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Etwa 9200 Flüchtlinge sind derzeit in staatlichen oder städtischen Unterkünften in München untergebracht. Meist sind es große Einrichtungen, in denen weit mehr als 100 Menschen auf engstem Raum zusammenleben. So wie in dem Gebäude an der Hellabrunner Straße. Hier ist die Luft nicht nur im Keller warm und stickig. Die Fenster der Glasfassade lassen sich nicht öffnen, die Klimaanlage funktioniert nicht richtig.

In den oberen Etagen schlafen Bett an Bett mehr als 100 Menschen. Akademiker und Analphabeten, Familien mit Kindern, alleinreisende Männer und Frauen. Nur getrennt durch 1,60 Meter hohe Holzwände. Es gibt keine Privatsphäre. Jeder hört, riecht und sieht alles der anderen. Da entstehen leicht Missverständnisse und Konflikte.

Und dann sind da rund um die Uhr Sicherheitsmitarbeiter, die für den herausfordernden Job meist kaum ausgebildet sind. Wie kann das im Alltag funktionieren? Und wie streng müssen die Regeln sein, um ein Zusammenleben auf so engem Raum zu ermöglichen?

Die Zahl der Flüchtlinge mit Alkoholproblemen sei klein, "die kann man an einer Hand abzählen", sagt Thomson. Und sie sei deutlich gesunken, seit die Unterkunft vor knapp fünf Monaten eröffnet wurde. Im Januar hätten sie den Krisenraum im Keller etwa 15 Mal genutzt, im April nur noch vier Mal. Es sei mehr Ruhe eingekehrt.

Dann zeigt er den neuen Krisenraum im Erdgeschoss. Er ist ebenfalls fensterlos, etwas größer, zwei Betten stehen dort, an denen jeweils eine leere Spucktüte hängt. Er habe dort selbst eine Nacht zur Probe geschlafen, sagt Thomson. Gebraucht hätten sie den neuen Raum im Mai noch nicht.

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Unter 800 Menschen wird es immer einige geben, die über die Stränge schlagen. Wie soll man mit ihnen umgehen? Diese Frage stellt sich vielen Unterkunftsleitern wohl jeden Tag. Aber darf eine Hausleitung einfach darüber entscheiden, ob ein Bewohner in einem Kellerraum nächtigen muss? Der vielleicht noch traumatisiert ist, der Angst hat, dass sein Asylantrag abgelehnt wird?

Schließlich gibt es nicht nur Flüchtlinge, die sich nicht an die Regeln halten, sondern auch vereinzelt Mitarbeiter - vom Sozialarbeiter bis zum Sicherheitsdienst. Allein 100 Sicherheitsleute sind an der Hellabrunner Straße täglich im Einsatz. Vier Security-Mitarbeiter seien aus der Unterkunft verwiesen worden, weil sie sich nicht angemessen verhalten hätten, sagt Thomson. Bei der Polizei sind drei Anzeigen gegen Sicherheitsmitarbeiter eingegangen.

Einige Flüchtlinge fühlen sich in der Unterkunft schikaniert und bevormundet. "Wir werden in allem kontrolliert", sagt einer. Wer im vierten Stock wohnt, darf nicht in den zweiten Stock. Das Personal darf jederzeit unangekündigt die Schlafräume betreten. Zwischen 23 und 6 Uhr wird zentral das Licht ausgeschaltet. In der Hausordnung heißt es, dass ein Bewohner des Hauses verwiesen werden kann, wenn er Personal beleidigt.

Es gibt viele Vorschriften, das ist keine Besonderheit dieser Gemeinschaftsunterkunft. Die entscheidende Frage ist wohl: Wie setzt das Personal die Regeln um, überwacht und sanktioniert sie? Setzt es Flüchtlinge unter Druck?

Bisher war kein Krisenzimmer nötig

Die Innere Mission zum Beispiel hat bisher kein solches Krisenzimmer genutzt - der Verband betreut in München etwa 7500 Flüchtlinge. "Konflikte lassen sich normalerweise in persönlichen Gesprächen klären", sagt Sarah Weiss, die die Betriebsführung koordiniert.

Natürlich gebe es auch Fälle, die eskalieren, bei denen die Polizei gerufen werde. Aber ein Modell, bei dem Bewohner in einem Krisenzimmer ausnüchtern, das hätten sie bisher nicht gebraucht. Wer stark betrunken sei, schlafe seinen Rausch eben aus. Und wenn er randaliere, sei die Polizei zuständig.

Für die Johanniter ist es die erste Flüchtlingsunterkunft in der Stadt, die sie leiten. Thomson räumt ein, dass es Anlaufschwierigkeiten gab. Sie hatten nur zwei Wochen Zeit, um sich darauf vorzubereiten. "Das einzige, was es gab, als wir kamen, waren Betten und Spinde. Am Anfang hatten wir mit den üblichen Unwägbarkeiten zu kämpfen, aber die meisten Probleme konnten wir beheben." Es gebe dort nun auch viele gut laufende Projekte wie Kletterkurse, eine Fahrradwerkstatt, Mutter-Kind-Gruppen, Computer- und Sprachkurse, sagt ein Sprecher vom Sozialreferat.

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Die mehr als 100 Freiwilligen, die sich in der Unterkunft engagieren, koordiniert Pfarrer Michael Schlosser. Die Zusammenarbeit mit den Johannitern sei sehr gut, sagt er. Bei manchen Sicherheitsmitarbeitern herrsche durchaus mal ein rauer Ton. Er glaube auch, dass es Bewohner gebe, die mal zu fest angepackt würden. Aber ein strukturelles Problem sieht er nicht.

Eine externe, unabhängige Anlaufstelle mit festen Sprechzeiten einzurichten, hält er trotzdem für sinnvoll. Die Grünen-Rosa Liste hatte Anfang Mai im Stadtrat auch gefordert, eine allgemeine Ombudsstelle für Beschwerden von Flüchtlingen einzurichten. Der Antrag wurde abgelehnt.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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