Neue Heimat:Ein Kreuzerlass wäre in Nigeria ein Himmelfahrtskommando

Das Verhältnis von Staat und Religion wird in Deutschland immer wieder diskutiert.

Das Kreuz gehört in Bayern zum Verhandlungssaal wie die Richterrobe und Akten.

(Foto: picture alliance / dpa)

Denn hängt dort ein Symbol an der Wand, müssen auch die anderen Religionen vertreten sein. Unser Kolumnist fragt sich, wie das in seinem Heimatland gehen soll.

Kolumne von Olaleye Akintola

Ich hätte nie geglaubt, dass man in einem Gerichtssaal so was findet: Da hängt ein eisernes Kreuz an der Wand. Schmal und schüchtern, fast unauffällig. Aber trotzdem prominent platziert, im Amtsgericht Ebersberg, schräg über dem Richter, so, als sei es das Normalste der Welt. Jesus und die Judikative? Warum eigentlich nicht, dachte ich mir dann. Man kann schließlich nicht oft genug daran erinnern, wie grausam und qualvoll so eine Hauptrolle am Kreuz sein muss. Vielleicht soll es ja den Richter anspornen, gerecht und unvoreingenommen zu sein. Oder die Verbrecher ermutigen, künftige Straftaten zu unterlassen.

In dieser Verhandlung ging es um eine Kleinigkeit, und die Beteiligten waren offensichtlich alle Einheimische. Von ihnen störte sich niemand im Raum, nicht der Richter, kein Zeuge - nicht einmal der Beklagte. Die Frage ist, wie ein gläubiger Muslim oder ein Mitglied der afrikanischen Religionsgruppe "Traditional Worshippers" auf das Symbol reagieren würde. Es hängt ja keine Mohammed-Figur daneben und keine sonstigen religiösen Symbole sind zu sehen. Wo ich herkomme, wäre das undenkbar. Hängt ein Symbol an der Wand, müssen auch die anderen Religionen vertreten sein. Spart man eine Gruppe aus, darf man sich auf Krawalle einstellen.

Bei knapp 400 Göttern oder gottähnlichen Wesen, die alleine in Südwestnigeria angebetet werden, ist es besser, man verzichtet in öffentlichen Häusern auf religiöse Symbolik. In Afrika sagt man: Je mehr Elefanten miteinander kämpfen, desto mehr muss das Gras unter ihrem Gestampfe leiden. Umso überraschter war ich, wie gelassen sie mit dem Thema in Bayern umgehen. Keine übereifrigen Prediger, die einen im Bus mit Bibeltexten belehren. Keine Moscheen, aus denen arabische Gesänge klingen. Keine Trommler, die Geister heraufbeschwören wollen. Keine Sekte, die unter dem Deckmantel irgendeines Glaubens Bomben zündet und Massaker anrichtet.

Vor diesem Hintergrund fand ich es äußerst mutig, als Markus Söder erklärte, dass nun alle bayerischen Ämter mit Kreuzen ausgerüstet werden. In Nigeria käme so eine Ansage einem todsicheren Himmelfahrtskommando gleich. Ein Beispiel: Einer meiner Reporter-Kollegen berichtete über einen Schönheitswettbewerb - mit dem verhängnisvollen Satz, dass der Prophet Mohammed angesichts der jungfräulichen Pracht nicht hätte widerstehen können. Die Folge seines Artikels: Eine wütende Meute von Islamisten kam nach Abuja und brannte unsere Redaktion nieder. Mein Kollege kam knapp mit dem Leben davon.

Dann lieber Kreuze. Einige tragen sie unauffällig mit sich herum, sie haben kleine Rosenkränze in der Handtasche oder ein Kruzifix im Auto hängen. Auffälliger ist das Kreuz in einer Grundschule in Ebersberg. Es ist mit Gold-Plättchen verziert und hängt im Haupteingang der Schule. Meistens interessiert so was ja vor allem die Eltern. Mein Vater pflegte diesen Satz zu sagen: "Dein Verstand ist deine Religion." Und die Schulkinder? Weiß Gott, was sie davon halten, wahrscheinlich ist es ihnen egal.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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