Flüchtlinge:Arzt fährt in seinem Urlaub in Krisengebiete - um zu helfen

Flüchtlinge: Florian Bernhardt ist Sanitäter, Krankenpfleger und hat in diesem Jahr sein Medizinstudium abgeschlossen.

Florian Bernhardt ist Sanitäter, Krankenpfleger und hat in diesem Jahr sein Medizinstudium abgeschlossen.

Florian Bernhardt hat dabei schon viel erlebt. Aber die Arbeit mit Flüchtlingen an der serbischen Grenze hatte eine andere Dimension.

Von Martina Scherf

Es war kalt in diesem Februar. In der Nacht hatte es geschneit, rund um die Zelte war der Boden gefroren, und Kinder standen in Sandalen vor der Tür. Immer mehr Menschen kamen, Frauen, Männer, Junge, Alte.

Viele waren unterernährt, manche hatten erfrorene Finger oder Zehen. "Das hätte ich mir vorher nicht vorstellen können", sagt Florian Bernhardt, "mitten in Europa." Jetzt, mit dem zeitlichen Abstand, kann er ruhig darüber reden. Aber die Erlebnisse im Flüchtlingscamp an der serbischen Grenze wirken noch immer nach.

Der junge Arzt aus Gernlinden bei München ist Krisensituationen gewohnt. In diesem Jahr hat er sein Medizinstudium abgeschlossen, doch weil er auch ausgebildeter Krankenpfleger und Sanitäter ist, war er schon mehrfach bei Hilfseinsätzen im Ausland, in Togo, in Uganda, auch auf dem Balkan. Er fährt seit vielen Jahren Rettungsdienste. Doch dieser Einsatz an der serbisch-mazedonischen Grenze, "der war schon heftig", sagt er nochmals. Sechs Wochen lang hat er Anfang des Jahres im Auftrag der Allgäuer Hilfsorganisation Humedica dort Flüchtlinge versorgt.

Presevo, eine serbische Kleinstadt nahe der mazedonischen Grenze. 35 000 Einwohner leben dort, und plötzlich, Ende 2015, kommen jeden Tag Tausende hilfesuchende Menschen an, die meisten aus Syrien, Afghanistan, Irak. An manchen Tagen bis zu 10 000. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) richtet eine Anlaufstelle ein, dort müssen sich die Gestrandeten registrieren lassen. Doch Unterkünfte, Essen, warme Kleidung, all das fehlt in den ersten Wochen. Binnen weniger Tage schickten Hilfsorganisationen Ärzte und Sanitäter, die rings um das UN-Quartier Zelte und Container aufstellten.

"Anfangs herrschten chaotische Zustände", sagt Bernhardt, 32, als er ein halbes Jahr später in einem Münchner Café von dem Einsatz berichtet, "die meisten Flüchtlinge kamen ohne richtige Schuhe, hatten nur Plastiktüten an den Füßen". Es gab keine beheizten Räume, zu wenige Betten. "Die Situation änderte sich täglich, manchmal stündlich." Mal kommen 1000 Menschen, dann 5000. Sie haben die griechische Grenze illegal überquert und sind dann den weiten Weg durch die Berge und Wälder Mazedoniens zu Fuß gelaufen.

Manche Schlepper misshandeln Flüchtlinge

Die Ärzte sind die ersten Helfer, denen sie auf ihrer Flucht begegnen, und sie müssen improvisieren. "So ein Hilfseinsatz hat kaum einen Vorlauf", sagt Bernhardt, "man kommt an, macht seinen Arztkoffer auf und dann geht es los." Sie schenken heißen Tee aus, verteilen Lebensmittel und Fiebersaft, Plastiktüten gegen den Regen. Kinder weinen, Erwachsene werden still vor Verzweiflung. Und die Helfer arbeiten im Akkord.

Florian Bernhardt ist ein freundlicher, leiser junger Mann. Seit Jahren verbringt er jedes Jahr seinen Urlaub im Kriseneinsatz. Doch er macht nicht viele Worte, schon gar nicht um sich. Auf einem Video, das Humedica von dem Einsatz in Presevo drehte, sieht man ihm allerdings die Anspannung an. Da steht er in seiner roten Helferweste in einem Container, Stethoskop und Funkgerät baumeln um seinen Hals, er wirkt müde.

Flüchtlinge: De Ärzte haben kaum Vorlauf. Sie improvisieren und arbeiten im Akkord.

De Ärzte haben kaum Vorlauf. Sie improvisieren und arbeiten im Akkord.

Mit der Zeit kehrt dann eine gewisse Routine ein, erzählt er. Ein leerer Supermarkt dient als Versorgungsstation, aus Holzpaletten bauen sie Tragen, sie legen einen Wasseranschluss, organisieren Strom. Von Woche zu Woche kommen mehr Helfer aus allen Teilen der Welt, bis aus Australien und den USA. Humedica kooperiert mit einem Team aus Israel.

Sie behandelten Husten, Lungenentzündung, Wunden, Diabetes. Sie sahen Opfer von Gewalttaten, manche Schlepper, das erfuhren sie immer wieder, misshandeln Flüchtlinge. Menschen mit Kriegsverletzungen waren darunter. Und vielen stand im Gesicht geschrieben, dass sie die Schrecken in ihrer Heimat traumatisiert haben, berichtet der Arzt.

Nun war es aber nicht so, dass die Helfer überall gern gesehen waren. Während die serbische Bevölkerung ihnen oft tatkräftig half, hatte die Polizei offenbar Anweisung, hart durchzugreifen. "Nachts liefen Patrouillen herum mit scharfer Munition", erzählt Bernhardt. Dass die Helfer Menschen behandelten, unabhängig davon, ob die schon registriert waren, wurde ungern gesehen. Schwerkranke ins Krankenhaus zu bringen, war eigentlich verboten. "Zum Glück hat der UNHCR - das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen - das dann mit der serbischen Regierung ausgehandelt", sagt Bernhardt.

Trotz des Grauens überwiegt das Positive

Die menschlichen Tragödien gingen ihm nahe, auch wenn er als Arzt versucht, das nicht so an sich heranzulassen. Als die Balkanroute geschlossen wurde, erzählt er, "da entstand eine Zwei-Klassengesellschaft unter den Flüchtlingen". Plötzlich gab es welche, die weiterdurften, vor allem Syrer, andere, die zurückgewiesen wurden. "Darunter waren auch viele alleinreisende Frauen, das ist schwer zu ertragen, wenn man sieht, wie schutzlos die sind." An dieser Stelle wird seine Stimme leiser, brüchig.

Einmal kam eine ganze Dorfgemeinschaft aus Afghanistan. "Der Älteste hat uns erzählt, dass die deutschen Truppen aus ihrem Dorf abgezogen sind", sagt Bernhardt. "Danach waren die Leute den Taliban schutzlos ausgeliefert." Da hatte das ganze Dorf beschlossen, gemeinsam zu fliehen. Sie schafften es bis in die Türkei und setzten sich an der Küste in ein Boot nach Griechenland. "Wenn das Boot gesunken wäre, wäre ein ganzes Dorf ausgelöscht gewesen", sagt Bernhardt.

Diese Bilder sind immer noch in seinem Kopf. "Das sind ja Leute, die im Leben standen und Berufe hatten. Es gab Ärzte darunter, die mich fragten: Kann ich in Deutschland arbeiten?" Manchmal gab es aber auch lustige Situationen. Ein junger Syrer fragte ihn nach seiner Herkunft. Als der Assistenzarzt "Munich" sagte, zeigte sein Patient begeistert, was er unter seiner Jacke trug: ein FC-Bayern-Trikot.

Die Verständigung musste meist mit Hand und Fuß erfolgen und den Brocken Arabisch, die sie inzwischen gelernt hatten. Manchmal war zufällig jemand unter den Helfern oder auch den Flüchtlingen, der übersetzen konnte. Dann wurde von Urdu oder Dari ins Serbische übersetzt, ein anderer übertrug ins Englische. Und manchmal kamen Menschen von weit her angereist, um zu helfen. "Einmal kam ein Iraker, der vor einigen Jahren selbst geflüchtet war und inzwischen gut etabliert in Österreich lebt. Er hat sich extra zwei Wochen Urlaub genommen und kam zum Dolmetschen."

"Wie gut es uns doch geht"

Wer Florian Bernhardt so erzählen hört, spürt, wie wichtig ihm diese Erfahrungen sind. Und wie das Positive trotz des Grauens überwiegt, etwa die Freunde, die er unter den Helfern gewonnen hat, das Gefühl, helfen zu können und die Dankbarkeit, die ihm entgegengebracht wird. Der menschliche Gewinn sei ohnehin viel größer als der materielle Einsatz. "Und wenn man dann wieder zu Hause ist, denkt man schließlich: Wie gut es uns doch geht", sagt er.

Florian Bernhardt ist schon immer so ein Helfer-Typ gewesen. War mit zehn Jahren bereits in der Wasserwacht, ist bei der Freiwilligen Feuerwehr in Gernlinden, hat Krankenpfleger gelernt, während er auf den Medizinstudienplatz wartete. Und auch während des Studiums hat er weiter nebenbei in diesem Beruf gearbeitet. "Dadurch konnte ich sparen und mir dann solche Reisen finanzieren", sagt er. "Ich habe für mich entschieden, dass das eine gute Sache ist. Was man zurückbekommt, ist unbezahlbar."

Er war schon für Humedica im Kosovo und in Uganda. Dort, in einem der ärmsten Länder Afrikas, hat er Gefängnisinsassen versorgt. "Das war gar nicht so leicht zu rechtfertigen", sagt er, immer wieder seien Leute gekommen und hätten gesagt: Wieso helft ihr Verbrechern? Man sei als Mediziner in solchen Situationen schnell auch mit moralischen Fragen konfrontiert.

Fernab der deutschen Hightech-Medizin

Aber, fährt er fort, in einem Land wie Uganda müsse man kein Verbrecher sein, um im Gefängnis zu landen, "da reichen Lappalien". Er ist Arzt, nicht Richter, und ein Mensch ist ein Mensch. "Wer in Uganda erst mal hinter Gittern sitzt, sieht normalerweise nie wieder einen Arzt", erzählt er, "da war man natürlich groß angesehen: Der weiße Mann mit seinen Wunderpillen."

Nicht zuletzt seien solche Einsätze fernab der deutschen Hightech-Medizin auch eine gute Erfahrung. "Man lernt, auch ohne die ganze Technik, auf die man sich zu Hause gerne verlässt, zu handeln. Das ist sehr wertvoll."

Demnächst tritt der junge Mediziner seine erste feste Stelle an, in einem Allgäuer Krankenhaus, zusammen mit seiner Freundin, die ebenfalls Ärztin ist. Sobald er Urlaub bekommt, das hat er seiner Freundin schon erklärt, will er wieder weg. Vermutlich im November. Zum Kriseneinsatz. Er hat sich bei Humedica schon angemeldet. Wo es hingeht, weiß er noch nicht.

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