Flüchtling in München:"Wenn alles seinen Platz gefunden hat, mache ich einen Road-Trip"

Flüchtling in München: Noch lebt Omid Rezai in einer Einrichtung für jugendliche Flüchtlinge. Doch im Oktober wird er 21, dann braucht er eine eigene Wohnung.

Noch lebt Omid Rezai in einer Einrichtung für jugendliche Flüchtlinge. Doch im Oktober wird er 21, dann braucht er eine eigene Wohnung.

(Foto: Stephan Rumpf)

Omid Rezai will Englisch lernen, einen Führerschein machen, in einer eigenen Wohnung leben. Das ist nicht einfach, aber ein Klacks verglichen mit dem, was der junge Afghane früher mitgemacht hat.

Von Britta Rybicki

Wer hätte gedacht, dass er irgendwann ein festes Einkommen, eine Krankenversicherung, eigene Schulbücher und jeden Tag einen vollen Magen hat? Omid Rezai hat sich all das bis vor drei Jahren nur "in seinen Träumen ausgemalt", um daraus Energie für den nächsten Tag zu schöpfen. Heute ist das sein Leben, hinter dem ein weiter Weg mit vielen Rückschlägen liegt. Die Vergangenheit lässt er - so gut es ihm gelingt - hinter sich.

Zumal in diesem Jahr, das für ihn einen persönlichen Neubeginn bringen wird, den er sogar schon genau datieren kann: auf den 24. Oktober. Dann wird Rezai 21 Jahre alt und fällt aus der Jugendhilfe. Bis dahin möchte er auf eigenen Füßen stehen: eine eigene Wohnung beziehen, den Englischkurs erfolgreich abschließen, mit dem Führerschein anfangen. Dass man so weit in die Zukunft blicken kann, dass Ereignisse planbar sind, das ist noch neu für ihn. "Ich habe nur in der Dimension morgen oder übermorgen gedacht", sagt Rezai.

Nervös sitzt er vor dem Küchentisch, umkreist mit den Fingern das Wasserglas vor ihm. Er holt tief Luft und beginnt: "Meine Eltern waren Afghanen, und als ich geboren wurde, waren sie illegal im Iran." Ohne Ausweis gilt er dort als illegaler Flüchtling und wird von den Behörden diskriminiert und drangsaliert, wie er berichtet. Im Alter von sieben verliert er seine Mutter, ein Jahr später wird sein Vater ermordet. Über den Tod seiner Eltern spricht Rezai nie; Erinnerungen an sie lösen Migräne-Schübe aus, unter denen er chronisch leidet.

Seit damals kämpft er sich alleine durch sein Leben. "Ich habe mit acht Jahren in einer Nähfabrik angefangen und habe dort bis zu meinem 15. Lebensjahr gearbeitet", erzählt er. Er habe eine Schule für afghanische Kinder besucht, eine illegale. Keine zwei Monate sei er dort gewesen, dann habe die Polizei sie gestürmt. "Ich wollte Bücher lesen und Aufgaben rechnen. Und durfte nicht", sagt Rezai.

Ständig auf der Flucht kommt er gelegentlich bei Bekannten der Eltern unter, übernachtet auf der Straße oder in Fabrikhallen, in denen er sich abplagt, wie er erzählt. "Selten wurde ich für meine Arbeit bezahlt." Die iranischen Chefs nutzen seine Illegalität aus und zahlen ihm unregelmäßig ein bisschen Geld, was gerade zum Überleben reicht. Als er 15 ist und ihn die iranische Polizei findet und abschiebt, lebt er einen Monat in dem Land, aus dem seine Familie stammt.

Doch er hat keinen Kontakt zu Einheimischen; Freunde oder Menschen, die ihm helfen wollen, findet er nicht - er kann kein Paschtu, die Hauptsprache in Afghanistan. Keinen Rial hat er in der Tasche, außerdem fürchtet er die Taliban. "Die Zeit in Afghanistan war die schlimmste meines Lebens", sagt Rezai. Mit Nebenjobs finanziert er seine illegale Rückkehr in den Iran. "Mein einziges Ziel war dann, irgendwie nach Europa zukommen", sagt Rezai. Von Teheran läuft er durch die Berge bis in die Türkei und weiter nach Griechenland. Nach neun Monaten Schwarzarbeit hat er genug Geld, um die Schlepper nach Italien bezahlen zu können. Achtmal versucht er, von dort in einem Lastwagen, versteckt unter Lebensmitteln, nach Deutschland zu flüchten. "Ich konnte nur schlecht atmen, war nass geschwitzt. Meine Überlebenschance hielt ich für sehr gering", sagt Rezai.

Schließlich landet er in München - und er verzichtet darauf, weiterzureisen. "Warum ich unbedingt hier bleiben wollte, weiß ich nicht mehr", sagt Rezai. "Vielleicht wegen dem Fußballclub oder Ludwig dem Zweiten." Sechs Monate lang lebt er in der Bayernkaserne, dann kommt er wie alle jugendlichen Flüchtlinge in eine Einrichtung der Jugendhilfe. Dort werden sie intensiver betreut als in einer Unterkunft für Erwachsene. Bei Rezai ist es eine betreute Wohngruppe des Vereins Condrobs, drei Jahre ist das jetzt her. Er beginnt, Deutsch zu lernen.

Sowohl Ausdruck als auch Wortschatz hätten ihm manchmal den Verstand geraubt, sagt er. Die noch größere Hürde ist allerdings: "Schreiben und Lesen lernen. Ich bin als Analphabet nach Deutschland gekommen." Vier Stunden täglich arbeitet er daran, im Dezember schließlich beginnt er eine Ausbildung als Maler und Lackierer. "Meinen Meister möchte ich auch noch machen und danach ein technisches Studium anfangen", sagt Rezai.

Mitte Juni steht ihm indes schon die nächste Prüfung bevor, dann schließt er "hoffentlich" den Grundkurs in Englisch ab. "Wir leben in einer globalen Welt. Da gehört Englisch dazu." Seit knapp einem Jahr spart er auch auf den Führerschein. Dringend brauche er den, sagt er. "In meinem Beruf bin ich auf ein Auto angewiesen." Die Vorstellung, künftig nicht mehr nur zu Fuß unterwegs zu sein, erscheint ihm aber noch als völlig unwirklich: "Wenn dann alles seinen Platz gefunden hat, mache ich einen Road-Trip durch Deutschland. Ich wollte immer nach Berlin. "

Rezais größtes Ziel für das Jahr 2017 sind aber offenbar seine ersten eigenen vier Wände - schon allein deswegen, weil er ausziehen muss. Die Zuständigkeit der Jugendhilfe endet am 21. Geburtstag, bei Rezai also am 24. Oktober. Der Umzug wird für ihn ein Einschnitt: "Erst dann habe ich das Gefühl, dass in mein Leben Normalität einkehrt." Er sucht bereits nach einer Wohnung, bisher ohne Erfolg. Rezai bleibt gelassen und nimmt es mit Humor: "Es ist eine Herausforderung, hier eine Wohnung zu finden. Ich habe allerdings schon Schlimmeres geschafft - würde ich jetzt mal vermuten."

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