Flohmärkte in München:Trödel-Stoff

Flohmarkt auf der Münchner Theresienwiese, 2012

80 000 Besucher, mehr als 2000 Aussteller und unzählige Gegenstände, deren Geschichten auf dem Flohmarkt weitergestrickt werden.

(Foto: Robert Haas)

Kerzenständer, die aussehen wie Urnen, und die kein Mensch haben will. Die Deutschrock-Platte, die man nur einmal im Leben findet. Und Mütter, die die Auslagen des Tapeziertischs verwüsten. Wer auf Flohmärkten kauft oder verkauft, hat viel zu erzählen. Sieben Erlebnisse.

"Was is denn in deara Kist'n drin?"

muenchen

Zuerst weg, dann wieder da: das Pumuckl-Heft.

(Foto: Privat)

Einmal nicht von Stand zu Stand ziehen und viel Geld ausgeben für unsinniges Zeug. Einmal hinter dem Tapeziertisch stehen und die Leute vorbeiziehen sehen, die viel Geld ausgeben für unsinniges Zeug. Einmal Flohmarktverkäufer sein. Wie freundlich die Leute hier auf dem Flohmarkt an der Parkharfe des Olympiastadions schon in dunkler Herrgottsfrüh sind, sie leuchten für dich sogar mit der Taschenlampe in den Kofferraum, damit du schneller auspacken kannst. "Haben Sie Militaria oder Feldpostkarten?", fragt eine Taschenlampe. "Was is denn in deara Kist'n drin?", fragt eine zweite. Die ersten Kunden sind Profis. Sie wollen unerfahrene Verkäufer über den Tisch ziehen, bevor die Sonne aufgeht. Das ist meine Vermutung. Aber es sollen an diesem Samstag noch schlimmere Kunden kommen: Mütter. Auf der Suche nach Baby- oder Kindersachen, die sie bei mir reichlich vorfinden, mit größter Mühe akkurat sortiert und gestapelt, sogar nach Größe. Nach der ersten Mutter, die in den Stapeln gewühlt hat, sieht es auf dem Tapeziertisch aus wie in einem Kinderzimmer nach einer Kissenschlacht. Baby- und Kindersachen mit allergrößter Mühe neu gestapelt. Zweite Mutter, zweite Kissenschlacht. Die Verzweiflung wächst, bitte keine Mutter mehr, fleht man leise, vergebens. Dann kommt sie, die gefühlt hundertste Mutter, lässt ihren Blick über den Tapeziertisch wandern und sagt: "Oiso, so ungeordnet wie sie de Kinderwäsch' rumliegen hab'n, vakaufa sie nix." Von Michael Morosow

Der Kellerstreit

Als ich neun Jahre alt war und gerade fern sah, ging mein Vater in den Keller. Er blickte hinein und schimpfte, weil meine Mutter die Sachen ohne Ordnung einfach hineingestellt hatte. Das tat sie eigentlich immer, und immer ärgerte er sich darüber. Dann entrümpelten die zwei, nicht ohne sich dabei ausgiebig zu zoffen. Für mich war der Kellerstreit normal und auch die Tatsache, dass meiner Mutter am Ende der Flohmarkt in den Sinn kam. Sie fragte mich dann: "Willst du dir nicht etwas Geld dazuverdienen?" Das bedeutete, dass ich mich auf dem Gemeindeplatz an den Tapeziertisch stellen musste, um den alten Kram zu verkaufen. Manchmal trennte ich mich auch von Dingen, die mir irgendwann lieb gewesen waren, zum Beispiel von einem Pumuckl-Heft von 1984, mit Tierbabyposter. Ich sagte schüchtern "30 Pfennig", wenn jemand wissen wollte, wie viel das Heft kostete. Es war schnell verkauft, obwohl die Malrätsel bereits gelöst und die bunten Figuren herausgeschnitten waren. 20 Jahre später, an einem Wintertag im Dezember, als ich gerade ein Praktikum bei dieser Zeitung machte, hielt mir ein Redakteur ein zerfleddertes Pumuckl-Heft hin. Ich verstand nicht, was das sollte. "Schlag mal auf", sagte er. In krakeliger Grundschulschrift stand mein Name drin, zwei Buchstaben korrigierend durchgestrichen. Eine Praktikantin hatte das Heft auf einem Flohmarkt gekauft und dem Kollegen gezeigt. Ich weiß nicht, durch wie viele Kinderhände das Pumuckl-Heft gewandert ist, bevor es wieder zu mir zurück kam. Zwei Dinge aber stehen fest: Erstens, manche Dinge wird man niemals los. Und zweitens, das kann auch schön sein. Von Tanja Schwarzenbach

Juwelen des Deutsch-Rock

muenchen

Kelch? Urne? Kerzenständer? Falsch: Ladenhüter!

(Foto: Privat)

Wer Schallplatten sammelt, ist unheilbar krank. Das illustriert die Geschichte des M., dem zu einer Zeit, als die Münchner ihr altes Zeug noch ohne Gewinnabsicht auf die Straße stellten, ein Wunder begegnete. Dieses Wunder lag in einem roten Sammelalbum, das so roch, dass selbst die aggressivsten Konkurrenten davor zurückschreckten. Nach Peter Alexander, Mireille Mathieu und dem unvermeidlichen James Last blitzte plötzlich ein schwarz-weißes Cover mit Bubblegum-geformten Buchstaben auf: "Ainigma Diluvium". Die Ainigma! Traum aller Sammler! Herzkammer des Krautrock! Diese hochgehandelte LP süddeutscher Rockmusiker, die Anfang der Siebzigerjahre ihr einziges Werk "Diluvium" veröffentlichten, zählt bis heute zu den teuersten Juwelen im Deutschrock-Bereich, obwohl die orgellastige Musik stümperhaft ist. Und hier, auf diesem Münchner Hofflohmarkt, steckte sie zwischen Ramsch-Platten und kostete eine einzige Mark. Was für ein Fund! Aber der einzige im Leben des einst noch jungen M. Seither hat er viele Tausend Sammelalben durchgesehen, doch erfahren müssen, das Glück ist nicht wiederholbar. Es ist das Unheilbare beim LP-Sammeln, dass diese Erkenntnis keine Folgen hat. Von Marc Hoch

"Spind gefunden! Grau, zwei Türen, 200 Zentimeter hoch!"

Es gibt unter erfahrenen Flohmarktgängern eine Grundregel, die da lautet: Suche nie nach etwas Bestimmten, du wirst es nicht finden. Der orangefarbene, verblichene Polstersessel aus den Siebzigern, der so gut ins neugestaltete Wohnzimmer passen würde? Wird am Samstag garantiert nicht auf der Theresienwiese warten. Wetten? Nun kann es sein, dass der lang ersehnte Metallspind plötzlich und unerwartet vor einem steht in einem Hinterhof - oder besser: vor den Augen der Partnerin. "Spind gefunden! Grau, zwei Türen, 200 Zentimeter hoch!", tippt sie aufgeregt ins Handy. "Sieht aus wie in dem Schwimmbad, in dem wir mit der Schule immer waren." Ein Foto schickt sie nicht mit, ihr altes HTC-Handy spinnt mal wieder. Die Sache ist ohnehin klar: sofort mitnehmen. Für 30 Euro sowieso. Nur wie? Ohne Auto, durch die halbe Stadt? Um es kurz zu machen: Wir haben damals alles probiert, Freunde angerufen, Bekannte angefleht, aber es hat nicht sollen sein. Ein Spind steht bis heute nicht im Flur, und daraus lässt sich eine zweite Grundregel ableiten: Was nicht in eine große Ikea-Tüte (oder in einen Bollerwagen) passt, geht nicht mit. Es sei denn, man ignoriert die erste Regel. Bei den Mietwagenfirmen sind Transporter gut ausgebucht an diesem Wochenende. Einen davon hat ein Kumpel reserviert, offiziell für seinen Umzug, aber man weiß ja nie. Von Thierry Backes

Kerzenständer oder Urne?

Wir haben schon alles Mögliche auf dem Flohmarkt verkauft. Ein dilettantisch hingepinseltes Stillleben mit Hummer an Weintrauben, das wir bei der Oma auf dem Speicher gefunden hatten und von dem kein Mensch mehr wusste, woher es kam. Eine Gitarre mit kaputtem Hals, von Motten durchlöcherte Kohlensäcke, zerfledderte Schundromane, Autoradios mit kaputten Kassettendecks und und und. Irgendein Abnehmer fand sich selbst für den schlimmsten Schrott. Und als wir die beiden Kerzenständer aus Silberglas (sogenanntem Bauernsilber) für zusammen fünf Euro anboten, dachten wir, auch für diese geschmacklosen Dinger aus dem Versandhaus (im Katalog sahen sie wirklich nicht so scheußlich aus) würde sich schon wer interessieren. Und tatsächlich nahmen beim Hinterhofflohmarkt im Westend auch viele die Kerzenständer in die Hand, aber nur aus purer Neugier. "Ist das ein Trinkkelch aus der Kirche?", fragte einer, "seltsame Blumenvase", merkte die nächste an, "an den Urnen fehlen die Deckel", witzelte ein Weiterer. Je später es wurde, desto weiter gingen wir mit dem Preis runter, am Nachmittag waren wir bei 50 Cent pro Stück, zum Schluss bei gratis. Aber selbst für lau wollte sich keiner erbarmen und uns von den Dingern befreien. Jetzt stehen sie immer noch zu Hause im Regal herum, beim nächsten Hinterhofflohmarkt versuchen wir es noch mal. Und sollte es dann nicht klappen, kann es sein, dass sie irgendwann beim Abstauben zu Boden und zu Bruch gehen. Aus Versehen natürlich. Von Andreas Schubert

Die richtige Taktik

Wie die großen Basare dieser Welt, so widersetzen sich auch Flohmärkte dem Zwang des Preisetiketts. Stattdessen gilt das Gesetz des Handelns. Man erkennt ihn sofort, den Flohmarktanfängerkäufer, der ohne Zögern sein Portemonnaie zückt, sobald ihm ein Preis genannt wird. Und ebenso verpönt auf dem Flohmarkt ist der verbissene Verkäufer, der störrisch auf seinem Preis beharrt und sich beleidigt abwendet, wenn man beginnt zu verhandeln. Nein, es gilt zu feilschen, zu schachern, sein gesamtes Repertoire an Theaterkunst darzubieten. Bloß nicht zu früh Interesse am Objekt der Begierde zeigen. Zuerst nach den Preisen der Schuhe (stinken) und der Lampe (scheußlich) fragen, um sich dann - gaaanz beiläufig - danach zu erkunden, was denn der alte Holztisch (wunderschön) kosten soll. "Was? 80 Euro! Das ist ja wohl viel zu viel." "Kirschholz", sagt der Verkäufer. Kurze Pause. "Ok, 70 Euro", sagt er. Bloß noch nicht einknicken. "70 Euro ist zu viel. 60 Euro?" "Der ist sehr gut erhalten", sagt der Verkäufer und schaut mit liebevollem Blick auf seinen Tisch. Will er ihn jetzt gar nicht mehr verkaufen? Dann, völlig unerwartet: "Für 50 Euro kannst Du ihn mitnehmen." Von Inga Rahmsdorf

Die Macht des Unterbewusstseins

Wer verkaufen will, muss auch verkaufen wollen. Zugegeben: Diese Aussage klingt zunächst nach Schwachsinn. Aber oft genug agiert das Unterbewusstsein völlig souverän und sorgt dafür, dass nur Sachen auf den Flohmarkttisch geladen werden, die garantiert niemand kaufen wird. Weil es ja irgendwie gemein ist, langjährige Wegbegleiter in eine ungewisse Zukunft zu verbannen. Und so steht dann der alte Drucker, für dessen riesenhaften Uralt-Stecker es längst kein Gegenüber mehr gibt, neben DVDs aus der beruflichen Vergangenheit, in denen der Münchner Transrapid oder die Berliner Straßenbahn bejubelt wird. Wollte natürlich niemand. Nur der "Grüne Heinrich" von Gottfried Keller ging für einen Euro weg, ein grauenhaftes Buch, dem man seit der Schulzeit mit Hass begegnet ist. Es hatte als einziges den Verkauf verdient. Von Dominik Hutter

Diesen Samstag startet um 7 Uhr der Flohmarkt auf der Theresienwiese, der mit mehr als 2000 Ausstellern und etwa 80 000 Besuchern der größte Bayerns ist. Übersichtlicher und vor allem idyllischer geht es auf den Münchner Hofflohmärkten zu, die eine Woche später, am Samstag, 25. April (10 Uhr), ihren Auftakt in Haidhausen haben (www.hofflohmaerkte.de). Wer dort nicht fündig wurde - oder den Tag für andere Unternehmungen nutzen will -, kann von 17 Uhr an zum Midnightbazar ziehen, der zusammen mit dem Streetfoodmarkt im Mixed Munich Arts (Katharina-von-Bora-Straße 8a, www.midnightbazar.de) stattfindet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: