Finanzkrise erreicht den Tierschutz:Hauptsache überleben

Seit der Wirtschaftskrise leiden Tierheime noch stärker unter akuter Geldnot. Dabei werden Fragen der Finanzierung immer drängender - nicht nur beim Münchner Tierschutzverein.

Kristina Staab und Sonja Kowarschick (Video)

Schoko hatte Glück. Er muss nicht mehr im kreisrunden Hundehaus "Rondell" mit Dalmatiner Buddy oder Sennenhund Lessy um die Wette bellen. Der junge, agile Rottweiler hat ein Zuhause bei Kurt Perlinger, dem Vorsitzenden des Münchner Tierheims, gefunden. Im Gebäude neben dem "Rondell" sind Katzen, wie der schüchterne Kater Toni oder die Freigängerin Lilly, untergebracht. Gegenüber steht das Kleintierhaus. Hier leben knapp 60 Kaninchen, aber auch Chinchillas, Degus und Ziervögel.

Insgesamt beherbergt das Münchner Heim zirka 8500 Tiere jährlich. Dafür benötigt die Organisation etwa 4,5 Millionen Euro pro Jahr. Strom, Heizung und Reinigung der Tierunterkünfte verursachen Kosten in Höhe von 900.000 Euro im Jahr. Medizin und Personal sind mit 2,7 Millionen Euro am teuersten. Hinzu kommen noch Futter- und Instandhaltungskosten.

Die Finanzierungsfrage von Tierheimen ist ein schwieriger Spagat. Einerseits erfüllen die Tierschützer eine öffentliche Aufgabe: Es ist die Pflicht der Kommunen, Tiere in Not artgerecht zu versorgen. Andererseits sind Tierheime eigenständig organisierte Institutionen und somit auch finanziell selbständig. Gemeinden sehen sich meist nur bei Fundtieren in der Verantwortung, Tierschutzvereine zu unterstützen - wobei auch hier Streitigkeiten entstehen.

Der Haushalt von Tierheimen ist generell auf Spenden angewiesen, doch als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise sind die zu großen Teilen weggebrochen. In München wird derzeit rund 25 Prozent weniger gespendet - das entspricht immerhin einer Summe von einer Million Euro. Gleichzeitig werden vermehrt vor allem alte und kranke Tiere wegen zu hoher medizinischer Kosten abgegeben. Dieses Geld müssen dann die Tierschützer aufbringen. "Die 'Problemtierzahlen' sind enorm gestiegen", sagt Perlinger. Die Tiere seien 'problematisch', da sie schlecht vermittelt werden können. Der Anteil der Dauergäste liege zurzeit bei noch nie da gewesenen 20 Prozent und steige immer weiter.

Die Trennung von dem oftmals alten und kranken Tier ist auch für die Besitzer belastend, denn das Tier ist oft ein vollwertiges Familienmitglied. Perlinger macht Zeitarbeit und niedrige Löhne für die Misere verantwortlich. Die Münchner Tiertafel sei zwar eine Instanz zur Unterstützung armer Menschen. Aber Berufstätige könnten sie nicht wahrnehmen, da sie derzeit nur alle zwei Wochen während der allgemeinen Arbeitszeiten öffne.

Auch andere Entwicklungen machen den Tierheimen zu schaffen. Der Deutsche Tierschutzbund e.V. hat eine Liste der neuen Belastungen aufgestellt. Zum einen werden gesetzliche Verordnungen, die zu höhrem Bürokratieaufwand und längerer Verweildauer der Tiere im Heim führen, angeprangert. Zum anderen werden der unbedachte Kauf von Tieren, steigende Tierarztkosten und die Vermehrung von Freigänger-Katzen als Probleme genannt.

Der Deutsche Tierschutzbund ist mit 733 Tierschutzvereinen der größte Dachverband der Tierschützer des Landes. Die Zugehörgkeit zu einem solchen Verband ist freiwillig, deshalb könne nicht nachvollzogen werden, wie viele Tierheime es bundesweit gibt, erklärt ein Sprecher. Auch die zuständigen Ministerien von Bund und Ländern wissen keine Antwort.

Der Tierschutz ist allgemein föderalistisch organisiert. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit (StMUG) wirkt bei der Tierschutzgesetzgebung über den Bundesrat mit. Außerdem vertritt die Behörde Bayern in den verschiedenen Gremien des Bundes und der Länder zum Tierschutz und zeichnet verantwortlich für die Koordinierung des Vollzugs des Tierschutzrechts in Bayern. In Fragen zur finanziellen Unterstützung verweist eine Sprecherin an die Gemeinden und Städte.

Die Krux mit der Bürger-Pauschale

Das Tierheim im Münchner Stadtteil Riem wird von der Stadt mit einer halben Millionen Euro bezuschusst. Perlinger ist das zu wenig: "Vom Geld der Stadt sind die Kosten bei weitem nicht zu decken." Er wünscht eine Unterstützung in Höhe von zehn Cent pro Monat und Bürger der Stadt. Bei dieser Rechnung käme der Verein im Jahr auf rund 1.600.000 Euro, mehr als dreimal soviel Unterstützung wie bisher. Die Stadt würde in diesem Fall gut ein Drittel der Kosten des Tierheims übernehmen, statt wie bisher ein Fünftel.

Tierheime in Ferienzeit überfüllt

Sechs Wochen alte Kätzchen im Korb: Ihre Mutter wurde einfach ausgesetzt.

(Foto: dpa)

Bei einer Zehn-Cent-Pauschale pro Bürger sei nicht nachvollziehbar, wofür diese Leistung erbracht wird, meint eine Sprecherin der Stadt München. Die derzeitigen Zahlungen seien hingegen durchsichtig: 250.000 Euro für Pflichtaufgaben, Geld in derselben Höhe wird als freiwilliger Beitrag der Stadt erbracht "für Leistungen, die uns natürlich auch nutzen."

In ländlichen Kommunen werden - im Gegensatz zum Münchner Modell - Pro-Kopf-Pauschalen je Einwohner gezahlt. Hier scheint das nach Meinung von Wilfired Schober vom Bayerischen Gemeindetag gut zu funktionieren. Die Zuschüsse werden für den Tierschutzverein durch ein sogennantes Umlagesystem gleichmäßig auf die Gemeinden aufgeteilt. Zwar gebe es jedes Jahr Streitigkeiten zwischen Gemeinden und Tierheimen, ob die Zuschüsse wegen Teuerungen erhöht werden müssten. Aber sonst kenne er keine Klagen, sagt der Sprecher.

Ganz anders hingegen der Tierschutzverein Rosenheim. Die lückenhafte Regelung der finanziellen Unterstützung mache ihm das Überleben schwer, berichtet die Vorsitzende Barbara Angermaier. Denn Kosten für Fundtiere sollen rechtlich von der Gemeinde getragen werden. Nicht aber die Kosten für herrenlose Tiere, die müsse das Tierheim übernehmen. Deshalb müsse akribisch nachgewiesen werden, dass das Tier ein Fundtier sei.

Dies sei nur möglich, wenn das Tier von der Polizei gefunden oder vom Finder bei einer Behörde abgegeben werde. Zu diesen rechtlich nicht verorteten Tieren gehören auch junge Katzen, die in ländlichen Gegenden von Bauernhöfen entlaufen. Jedes Tier müsse entwurmt, geimpft und zur Erkennung mit einem Chip versehen werden. Nicht der Aufenthalt im Tierheim, sondern diese Versorgung verursache die höchsten Kosten.

Die finanziellen Probleme der Tierheime rühren daher nicht zuletzt von unklaren Regelungen im Tierschutz her. Die oberste zuständige Stelle in Gesetzesfragen zum Tierschutz ist das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). Auch hier sind die Probleme der Tierheime bekannt. Um Lösungen zu finden, soll im Januar 2011 ein "Runder Tisch" installiert werden.

Unter der Moderation des BMELV mit der Referatsleiterin "Tierschutz", Katharina Kluge, sollen in Bonn der Deutsche Städte- und Geimeindebund (DStGB) und Tierschützer ins Gespräch kommen. Der DStGB schickt Aktive aus den Verwaltungen von Städten, Gemeinden und Kreisen oder auch dem Ordnungs- oder Veterinäramt - Menschen, die mit dem Tierschutz in Berührung kommen und die Probleme kennen.

Bis neue Regelungen zustande kommen und schließlich in Kraft treten, kämpfen die Tierschützer weiter. Denn: "Die Krise des Tierheims ist die anhaltende Krise der Menschen", ist sich der Münchner Tierheimvorsitzende Perlinger sicher. Der ehemalige Manager versorgt mit seiner Frau nicht nur zwei Hunde und fünf Katzen, sondern auch drei Ziegen und Hühner, die aus einer Legebatterie stammen.

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