Finanzen:Die Stadt gibt immer noch mehr aus, als sie einnimmt

Lesezeit: 3 min

  • Um die Finanzen der Stadt München steht es wieder besser.
  • Stadtkämmerer Ernst Wolowicz kann sich vor allem über deutlich mehr Steuereinnahmen freuen.
  • Die Rathauskoalition aus SPD und CSU hatte Ende 2015 beschlossen, teure Entscheidungen nur noch unter Vorbehalt zu treffen - nachdem der Kämmerer Alarm geschlagen hatte.

Von Heiner Effern, München

Die Finanzen der Stadt entwickeln sich 2016 und in den ersten Prognosen für 2017 besser als erwartet. Kämmerer Ernst Wolowicz kann es sich dieses Jahr aufgrund überraschender Mehreinnahmen sogar leisten, 200 Millionen Euro weniger aus den Rücklagen zu entnehmen als bisher geplant. Sollten die Vorzeichen nicht trügen, käme die Stadt auch 2017 noch ohne neue Schulden aus. Das geht aus einer Vorlage der Kämmerei für die Vollversammlung des Stadtrats am Mittwoch hervor. Allerdings zeigt sich in diesem Papier auch, was zu dieser entspannten Lage kaum etwas beiträgt: die selbst auferlegte Etatkontrolle der Stadträte.

Die Rathauskoalition aus SPD und CSU hatte Ende 2015 beschlossen, teure Entscheidungen nur noch unter Vorbehalt zu treffen. Endgültig beschließen wollte sie weitere Ausgaben nur, wenn zum Zeitpunkt der Vollversammlung im Juli 2016 genügend Geld in der Kasse wäre. Dabei bauten sich die Stadträte allerdings eine Hintertüre für besonders dringende Ausnahmefälle ein.

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Diese dürfte ob der exzessiven Nutzung bereits reichlich schief in den Angeln hängen. Die anstehenden Beschlüsse im Juli miteingerechnet, gab die Stadt 2016 bisher 243 Millionen Euro mehr aus als im Haushaltsplan veranschlagt. Nur sechs Millionen Euro stehen davon noch unter Vorbehalt, der Rest ist wegen besonderer Dringlichkeit schon fix beschlossen.

Obwohl die selbst auferlegte Ausgabenkontrolle des Stadtrats offenbar nichts taugt: Unzufrieden dürfte der Kämmerer mit den neuesten Finanzzahlen nicht sein. Die zusätzlichen Ausgaben im ersten Halbjahr 2016 hält er für vertretbar, weil die Stadträte während der Haushaltskrise im vergangenen Herbst viele Beschlüsse verschoben hätten. Diese Krise hatte Wolowicz selbst ausgelöst.

Im Oktober zog er völlig überraschend den Entwurf für den Haushalt 2016 zurück, weil sich ein riesiges Loch in den Finanzen abzeichnete. Eine Notbremse, die selbst die Routiniers im Stadtrat noch nicht erlebt hatten. In Spargesprächen mussten die Referate ihre Ausgaben um etwa 400 Millionen Euro senken. "Das hat gewirkt, zunächst hat mal jeder auf den Haushalt draufgeschaut", sagt Wolowicz.

Deutlicher Anstieg bei den Steuereinnahmen

Diese neue Sensibilität für die Finanzen ist aber nur ein Grund für die entspannte Lage. Der zweite ist ein Plus bei den Einnahmen, mit dem zu Jahresbeginn noch nicht zu rechnen war. Die Kämmerei erwartet derzeit einem Anstieg von 351 Millionen Euro alleine im laufenden Betrieb der Referate und bei den Steuern. Dazu kommt unter anderem ein zusätzlicher Erlös von fast 140 Millionen Euro aus dem Verkauf städtischer Grundstücke.

Das geht aus dem vorläufigen Entwurf für den Nachtragshaushalt 2016 hervor, der am Mittwoch im Stadtrat präsentiert wird. Grund zur Euphorie sieht Kämmerer Wolowicz dennoch nicht. "Wir geben mehr aus, als wir einnehmen." Und zwar am Jahresende 2016 nach derzeitigem Stand 371 Millionen Euro.

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Vor allem die Abhängigkeit von zehn Großunternehmen bereitet Sorgen: Wenn eines weniger Steuern überweist, muss die Stadt sofort den Gürtel enger schnallen. 2016 gilt das als wahrscheinlich.

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Dieser Verlust wäre deutlich geringer ausgefallen, wenn Wolowicz die Rücklagen der Stadt nicht deutlich mehr schonen würde als ursprünglich geplant. 200 Millionen Euro behält er zusätzlich auf der hohen Kante, weil er den aktuellen Verlust noch locker aus der Barkasse der Stadt zahlen kann. Dort liegen derzeit noch 740 Millionen Euro. Sollten sich die positiven Anzeichen für das Jahr 2017 verfestigen, könnte dieses Polster noch einmal reichen, um neue Schulden zu vermeiden. Diese Zahlen bemüht der Kämmerer allerdings nur ungern, da sie "noch sehr vorläufig" seien.

Die Einnahmen sind unberechenbar

Entscheidend seien zum Beispiel auch 2017 die Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Blieben diese weiterhin mit 2,4 Milliarden Euro oder mehr auf Rekordniveau, stünden auch die Finanzen der Stadt auf einigermaßen sicheren Beinen. Derzeit gebe es von den wichtigsten Konzernen, die einen Großteil der Steuern zahlen, "keine Alarmzeichen". Doch das sei nur eine Momentaufnahme, warnt der Kämmerer.

Wie wechselhaft und unberechenbar die Finanzen einer Großstadt sind, zeigt sich beispielhaft im Sozialreferat. Es verfügt zusammen mit dem Bildungsreferat über den mit Abstand größten Etat in der Verwaltung. Im Nachtragshaushalt 2016 sind derzeit Ausgaben von gut 1,6 Milliarden Euro eingeplant. Klingt viel, hätte aber auch noch viel mehr sein können. Denn das Sozialreferat meldete im Sommer unerwartete Mehreinnahmen von 233 Millionen Euro. Darin enthalten sind die Kosten für die Betreuung minderjähriger Flüchtlinge aus den Jahren 2012 bis 2015, die lange nicht eingetrieben wurden. Das hatte die damalige Referentin Brigitte Meier das Amt gekostet.

Die Ausgaben der Flüchtlingshilfe sieht das Referat im Jahr 2016 dagegen deutlich höher als bisher angenommen. 170 Millionen Euro mehr werden nun dafür veranschlagt. Diese Ausschläge bei Einnahmen und Ausgaben im Sozialen entsprechen dem gesamten Etat eines mittleren Referats. Auch deshalb warnt Wolowicz, dass Prognosen bei den Finanzen in etwa so verlässlich seien "wie ein Blick in die Glaskugel".

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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