Filmfest München:Von Alki bis Amy

Von der Amy-Winehouse-Doku über die Sundance-Sexkomödie bis zur deutschen Spukgestalt - das sind unsere Empfehlungen für das Filmfest München.

Von R. Gansera, D. Steinitz, M. Knoben, T. Kniebe, F. Göttler und S. Vahabzadeh

Alki, Alki von Axel Ranisch, Deutschland 2015

"Tobias und Flasche haben sich gern / Und wo Tobias ist, ist Flasche nie fern." Ein Troubadour stimmt uns balladenhaft ein auf die herrlich skurrile und schonungslos wahre Geschichte von Tobias' Kampf mit dem Dämon Alkohol. Von den zahlreichen Sucht-Storys, die das Filmfest quer durch die Reihen zu bieten hat, bleibt Axel Ranischs Alkoholiker-Dramödie einzigartig in ihrem spielerischen Übermut.

Ranisch gibt dem Alki-Dämon eine menschliche Gestalt namens Flasche: pummelig wie Tobias, reale Person und allegorische Gestalt, beides zugleich, eine verrückte Idee, aber sie funktioniert prächtig. Flasche (Peter Trabner) ist also überall mit Tobias (Heiko Pinkowski) dabei: im Architekturbüro, bei der Ehefrau im Bett, und abends geht es richtig zur Sache mit Party-Saufgelagen - bis Tobias beruflich und familiär alles ruiniert hat und in der Entzugsklinik landet. Axel Ranisch, der 2011 mit seinem Festivalhit "Dicke Mädchen" überraschte, beim Filmfest 2013 mit "Ich fühl' mich Disco" vertreten war, bleibt in "Alki Alki" seinem exzentrischen Impro-Stil treu. Robert Gwisdek alias "Käptn Peng" gibt den Troubadour, und seine Band "Die Tentakel von Delphi" liefert den fulminanten Soundtrack.

The Overnight von Patrick Brice, USA 2015

Eine Swinger-Komödie über sexuelle Neurosen, erzählt als verschwitzter kalifornischer Sommernachtstraum. Ein junges Pärchen - Taylor Schilling aus "Orange Is the New Black" und Adam Scott aus "Parcs and Recreation" - ist mit seinem kleinen Sohn frisch nach Los Angeles gezogen. Über eine Spielplatzbekanntschaft werden sie zu einem gemeinsamen Familienessen bei einem anderen Pärchen eingeladen - gespielt von Judith Godrèche und Jason Schwarzman.

Was als lockere Pizzaschlemmerei mit den Kindern beginnt, wird bald - nachdem die Kleinen im Bett sind - zu einem sehr komischen Verführungsspielchen. Das Haus des Gastgeberpärchens ist auf Reizüberflutung angelegt: die riesigen plüschigen Schlafzimmer, der Garten, der in Neonlicht getaucht ist, das im Swimming- sowie im Whirlpool glitzert. Auch die Menge an Champagner und Rotwein ist genau kalkuliert - so viel eben, bis Tops und T-Shirts und Shorts und BHs allesamt im Gras landen. Was Indie-Regisseur Patrick Brice in seinem Film, der bereits ein ziemlicher Hit auf dem diesjährigen Sundance-Festival war, erkunden will, ist aber weniger die Körperlandschaft von Mittdreißigern. Sondern die Frage, ob berufstätige Jungeltern überhaupt noch in der Lage sind, ihr Burnout-gefährdetes Hirn in einen Erotik-kompatiblen Modus zu schalten.

Der Nachtmahr von AKIZ, Deutschland 2015

Grunzend hockt die Kreatur vor dem Kühlschrank. Eine Missgeburt - grauhäutig, klein und krumm, mit blinden Augen und dickem Bauch. Das ist Johann Heinrich Füsslis "Nachtmahr" , gemixt mit Ängsten vor behinderten Föten, dazu eine große Portion E.T. Der hübschen Gymnasiastin Tina (toll: Carolyn Genzkow) macht diese Spukgestalt das Leben zur Hölle. Unmöglich zu schlafen, wenn es in der Küche und in ihren Träumen rumort. Tina will wieder zu Mama und Papa ins Bett - aber das geht doch nicht bei einer 17-Jährigen!

Die Pubertät kann bekanntlich der Horror sein. Achim Bornhak, der sich als Regisseur AKIZ nennt, hat schwarze Romantik, Comic- und Gruselfilmelemente gemischt, um Tinas Ängsten Gestalt zu geben. Die ist angenehm analog, der Nachtmahr ist eine Puppe - nur seine Augen und Zunge sind 3D-animiert. Der Freak ist am Ende - natürlich - Tina selbst. Noch mal 17 sein? Ach nö. Der Druck, der auf den Jugendlichen im Film lastet - immer gut aussehen, das Richtige tun, sich niemals gehen lassen, weil überall Handys drohen - ist höllisch. AKIZ hat daraus keine typische Coming-of-Age-Geschichte gemacht, sondern einen lässigen, mitreißenden, coolen, gruseligen Horror, mit einem tollen Soundtrack und sehr gut aussehenden Mädchen.

Amy von Asif Kapadia, Großbritannien 2015

Das ewige Rätsel des Pop und seiner Legenden: Woher kommt eigentlich diese innere Urgewalt, die einen Blick durch alle Bildschirme brennen, eine Stimme durch Mark und Bein gehen lässt? "Amy" startet mit einer verwackelten, sehr privaten Handyaufnahme, in der ein paar Teenie-Girls im Norden Londons "Happy Birthday" singen. Eine davon ist Amy Winehouse, und sie ragt auf eine Weise bereits aus dieser Szene heraus, die alles klar macht - dieses Mädchen wird die Welt rocken.

So kommt es dann auch, und der aufstrebende britische Dokumentarfilmer Asif Kapadia hat einzigartiges Material gesammelt, um diese große, traurige, wohlbekannte Geschichte noch einmal schockierend genau zu erzählen: Vom Aufstieg des jüdischen Working-Class-Girls mit der großen Beehive-Frisur und der noch größeren Persönlichkeit, das die Qualen seines Herzens in Powersongs verwandelt und in wenigen Jahren weltberühmt wird. Dann das Drama, für diesen Ruhm nicht im Geringsten gerüstet zu sein, leichte Beute für Alkohol, Drogen, Selbstzweifel und schöne, sexbesessene Junkies. Und am Ende eine Seelensuche unter Freunden, Managern und Kollegen, an welcher Stelle genau man ihren frühen, sinnlosen Tod noch hätte verhindern können.

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa, Portugal 2014

Hier ist es wieder, das Wispern in einem fernen Korridor, das seit Urzeiten die Kinogeschichte durchspukt. Ein weiteres Stück zur Geschichte von Fontainhas, dem Viertel von Lissabon, in dem die Immigranten von den Kapverden lebten. Ein Terrain, auf dem, mit seinen schmalen Gassen und finsteren engen Häusern, das Innen und das Außen ineinander übergehen. 1997 hat Pedro Costa erstmals Fontainhas in einen Film geholt, "Ossas", noch mit richtiger Crew auf Zelluloid gedreht. Danach ging er immer wieder zu den Menschen dort, wurde selber "heimisch" , drehte digital allein weitere Filme.

"Cavalo Dinheiro" ist ein Phantomfilm, Fontainhas ist inzwischen geräumt und abgerissen, es lebt weiter in den Erinnerungen der Umgesiedelten. Den alten Ventura finden wir nun in einer Anstalt, seines Ichs nicht mehr sicher. Dies ist film noir im wörtlichen Sinne, ein tiefes Schwarz erfüllt den Raum, aus dem die Bilder von der Kamera herausgeschabt werden. Die Misere in Portugal heute vermischt sich weiter mit den Schrecken der Kolonialzeit, dem Schmerz der verpassten Revolution. Was man vor allem nicht aufgeben darf, sagt Pedro Costa, das ist, glaube ich, die Einsamkeit. Am Donnerstag läuft im Filmmuseum noch der vorige Fontainhas-Film, in Anwesenheit von Pedro Costa, "Juventude em marcha/Jigend voran", wieder mit dem enigmatischen Ventura.

Manglehorn von David Gordon Green, USA 2014

Al Pacino kann alles, und das sieht man besonders gut, wenn er sich so weit von den urbanen, intellektuellen Figuren, die ihn berühmt gemacht haben, entfernt. Wie hier, wenn er mal nicht aufdreht, sondern ein bisschen leiser und nuancierter spielt. Eine kleine Charakterstudie, David Gordon Green hat Pacino in die Provinz geschickt, Manglehorn hat einen Schlüsseldienst und eine Katze und einen Haufen Probleme, die meisten davon mit sich selbst. Er lebt in einem heruntergekommenen kleinen Haus, kämpft mit einem Bienennest am Postkasten und selbst wenn er versucht, nett zu sein, was keineswegs immer der Fall ist, geht das daneben. Egal ob er mit seinem anzugtragenden Sohn redet oder mit Dawn (Holly Hunter), die er eigentlich gern hat und der er trotzdem auf den Schlips tritt. Ein entspanntes Verhältnis hat Manglehorn nur zu Kindern und zu der geliebten Katze.

Filmfest München: Der große Schlossöffner: Al Pacino als "Manglehorn" im gleichnamigen Film.

Der große Schlossöffner: Al Pacino als "Manglehorn" im gleichnamigen Film.

(Foto: Festival)

Man ahnt es schon, bevor man den ersten seiner Briefe im Voiceover hört: Manglehorn kommt nicht hinweg über einen tief empfundenen Schmerz, seine Gefühle, seine Aufmerksamkeit und seine Hoffnungen sind in einer anderen Welt, bei Claire, die schon lange weg ist und die er immer noch liebt, der er eine Art Schrein gebaut hat in einem Zimmer hinten im Haus. Deshalb kann er keine Bindung aufbauen im Hier und Jetzt. Einmal geht er in einem fast magischen Moment in Zeitlupe an einem Autounfall vorbei, als wäre die Welthinter ihm nur an die Wand geworfener Surrealismus. Und überhaupt hat dieses kleine Haus etwas ganz Verzaubertes, als lauerten in den dunklen Zimmer nicht nur all die Erinnerungen an Claire. Es spuken dort auch die Seelen, von Michael Corleone und Frank Serpico und dem Mann, den sie Scarface nannten. . .

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