Filmfest München:Bleiben, gehen?

John Sayles, der "27 Club" oder "Gogol Bordello": Die Musikfilme, die auf dem Münchner Filmfest gezeigt werden, feiern die Jugend im Widerstand.

Rainer Gansera

Schon mit der ersten Szene zerstreut Stephen Walkers "Young@Heart" alle Bedenken, dass hier ein betulicher Doku-Themenfilm über so etwas wie Alt-sein-aber-jung-bleiben stattfinden würde. Da steht der Chor, der sich Young@Heart nennt und in Northampton/Massachusetts beheimatet ist, auf der Bühne des Academy Theater - zwei Dutzend Sängerinnen und Sänger mit einem Durchschnittsalter von 80 Jahren.

Gogol Bordello

Gogol Bordello

(Foto: Foto: oh)

Erwartungsvolle Stille. Aus dem Chorverband löst sich eine kleine, zerbrechliche Gestalt, tritt ans Mikrofon. Die Dame heißt Eileen Hall und ist 92. Sie hält das hoch gespannte Publikum mit einer raffinierten Kunstpause hin, setzt ein zaghaftes, ironisches Lächeln auf, legt dann aber mächtig los: "Darling you gotta let me know / Should I stay or should I go ..." Der Saal tobt. "Should I stay or should I go" ist ein Hit der Punkband The Clash - aber er wird keineswegs als Parodie dargeboten, gewinnt neue, elektrisierende Kraft als eine Art Überlebenshymne. Verrückt, wunderbar, begeisternd.

"Young@Heart" überzeugt durch seine unprätentiöse, liebevoll beobachtende Nähe zu den Menschen und ihren - zum Teil von schweren Krankheiten gezeichneten - Schicksalen. Über zwei Monate hinweg hat der britische Dokumentarist Stephen Walker die Chorarbeit begleitet. Er zeigt, dass dieser Chor nicht "auf jung macht", wenn er sich Pop-Songs erarbeitet wie "Schizophrenia" von Sonic Youth oder Talking Heads' "Road to Nowhere", die durchaus rebellische Jugend-Hymnen sind.

Viele Chormitglieder gestehen freimütig, dass sie eigentlich Liebhaber von klassischer Musik oder Showtunes sind, aber dann kann man mitverfolgen, wie es ihnen unter der hingebungsvollen Chorleitung von Bob Cilman gelingt, sich die Songs anzueignen, wie in der Arbeit daran die Musik zum Lebenselixier wird (Gasteig, Dienstag 19.30; Rio, Samstag, 16.30 Uhr) .

In John Sayles' herrlich elegisch erzähltem "Honeydripper" (Maxx2, Freitag 17 Uhr) muss zu Beginn die alte Bluessängerin (Mable John) abtreten, um dem jungen Rhythm&Blues-Sänger (Gary Clark Jr.) mit der selbstgebastelten E-Gitarre Platz zu machen. Die Geschichte spielt 1950 im tiefsten Süden der USA, wo Rassismus an der Tagesordnung ist, und die afroamerikanischen Baumwollpflücker sich in der um ihren Fortbestand ringenden Musikkneipe "Honeydripper" treffen.

John Sayles, Galionsfigur des amerikanischen Independentkinos, baut seine Bilder wie Kondensatoren, in denen sich die Spannung ganz allmählich akkumuliert, um sich dann in der Musik zu entladen. Er zeigt, wie sich die musikalischen Traditionen der Afroamerikaner fortschreiben, vom Delta-Blues über den urban infizierten Rhythm & Blues bis zum Rock'n'Roll - Musik als Widerstand gegen gesellschaftliche Unterdrückung.

Rockmusik als Widerstand rebellischer Jungs gegen autoritäre Väter: dafür findet die britische Filmemacherin Erica Dunton bei ihrem US-Roadmovie "The 27 Club" (Forum, Dienstag 19.00 Uhr) einprägsame Bilder. Erinnerungsbilder, die von einem verhängnisvollen Lebe-schnell-stirb-jung-Szenario überschattet und einkassiert werden.

Zwei Freunde, Tom (James Forgey) und Elliot (Joe Anderson), schaffen es, der langweiligen Provinz und dem Diktat eines militaristischen Vaters zu entkommen, werden landesweit gefeierte Rockmusiker. An seinem 27.Geburtstag begeht Tom mit einer Überdosis Selbstmord. Er gehört nun zum "27 Club" - wie Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison, Kurt Cobain, die alle nur 27 wurden. Elliot ist versucht, es ihm gleich zu tun, begibt sich jedoch zunächst auf eine Reise in seinen Heimatort, die ihn aus den Abgründen seiner Trauer holen und läutern soll.

Eine Erfolgsgeschichte wie aus dem Rockmusik-Märchenbuch schildert Margarita Jimeno in "Gogol Bordello Non-Stop" (Forum, Mittwoch 20 Uhr). Es war einmal ein junger russischer Immigrant, Eugene Hütz, der landete abgebrannt und ohne Aufenthaltsgenehmigung in New York, legte in der legendären "Bulgarian Bar" als DJ auf, begeisterte mit seinem Balkansound, und gründete eine Band, Gogol Bordello, die mit ihrem Mix aus Zigeunermusik und Punk schnell Kult wurde. Im letzten Drittel versichert der Film nachhaltig, dass sich Hütz durch den Erfolg in keiner Weise hat korrumpieren lassen, dass seine Musik immer noch so springlebendig ist wie beim ersten Hinterhof-Auftritt.

Wie man seine Musik jung hält und wie einen die Musik dafür jung hält - das mag eine Formel fürs Musikfilmgenre sein. Die bewegendste Szene in "Young@Heart" spielt während eines Gefängnis-Auftritts. Der Chor intoniert einen Dylan-Song, bei dem die Inhaftierten aufspringen und sich die Tränen aus den Augen wischen: "Forever Young".

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